„Was ist?“
„Ich, ähm“, sie deutete auf den zweiten Ärmel, den er gerade bearbeitete, „mache mit meinen Blusen immer das Gleiche.“
Erleichtert registrierte sie, dass der Ansatz eines Lächelns auf seine Lippen zurückkehrte.
„Und du versteckst deinen Brieföffner im Stiefel, genau wie ich mein Messer“, meinte er. Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher.
„Vinz hat Zahnstocher dazu gesagt“, entgegnete sie humorvoll empört und er hob eine Augenbraue.
„Ach so, jetzt verstehe ich. Und was war dein Niespulver?“
„Eine kleine Gaspistole.“ In Erwartung eines verächtlichen Kommentars ergänzte sie schnell: „Aber hey, damit hab ich immerhin einen Vampir aufgehalten!“
Sie rechnete damit, dass John nachfragen würde, wie sie das angestellt hatte, doch stattdessen wandte er seinen Blick ab. Er seufzte und setzte sich auf die gepolsterte Bank, um seine Schuhe anzuziehen.
„Du hast dich in Lebensgefahr gebracht. Bitte tu so was nie wieder.“
„Ich habe dir dein Leben gerettet!“, protestierte sie.
„Nicht einmal dafür, Lara.“ John hatte seine Unterarme auf die Oberschenkel gelegt und blickte auf den Boden. „Ich könnte mir nie verzeihen, wenn auch noch du meinetwegen getötet wirst.“
„Was meinst du damit?“
Er schloss kurz die Augen und stieß geräuschvoll die Luft aus. „Ich dachte immer, Elisabeth wäre bei einem Autounfall gestorben. Aber seit zwei Tagen weiß ich, dass ich an ihrem Tod schuld bin. Sie würde noch leben, wenn ich kein Wächter wäre.“
John hatte ihren Namen vorher erst einmal ausgesprochen und sie hörte die Qual in seiner Stimme. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schlimm es sein musste, einen Partner zu verlieren, mit dem man ganze Jahrhunderte verlebt hatte.
Ihr fehlten die Worte, also trat sie einfach neben John und strich ihm mit einer Hand über seine goldbraunen Locken. Für einen Moment schien es, als wollte er seine innere Last ablegen, sich fallen lassen und ihren Trost annehmen. Doch dann hob er den Kopf und deutete auf ihre Hand, in der sie immer noch die Waffe und das Zeug aus Leder hielt.
„Von Vinzenz, nehme ich an?“
Sie verstand, was er damit bezweckte. Um nicht in einen Abgrund aus Trauer zu fallen, hatte auch sie sich nach der Tunnelkatastrophe ablenken müssen – mit Bergen von Arbeit.
„Ja, die Sachen sind von Arabellas Mann.“ Um die Stimmung etwas aufzulockern, fügte sie scherzhaft hinzu: „Mit Niespulver von einem gewissen Ambi.“
John nahm ihr die Pistole aus der Hand und betrachtete die Waffe fachmännisch. „Aha, eine Glock. Gute Wahl. Die hat den Vorteil, dass sie leicht ist und besonders zuverlässig. Außerdem ist es eine Safe Action, das heißt, sie ist speziell gesichert. Fällt dir diese Pistole mal herunter, löst sich kein Schuss und auch der Abzug hat eine Sicherung, damit sie nicht versehentlich ausgelöst werden kann. Das verhindert, dass du dir …“
„Ich weiß, ich weiß! Damit ich mir keine Löcher in die Füße schieße.“ In dem Bedürfnis, ihn aufmuntern, schaute sie nach unten und wackelte mit den pinkfarbenen Bärentatzen aus üppigem Plüsch an ihren Füßen.
„Wäre doch schade um die hübschen Schuhe, nicht wahr?“
Bei diesem Anblick mussten beide schmunzeln und die Stimmung hellte sich wieder auf.
Sie fuhr mit dem Zeigefinger an seiner Oberlippe entlang. „Dein Lächeln gefällt mir.“
„Und mir gefällt der Grund, den ich dafür habe.“
Einen Moment herrschte Stille und sie meinte, in seinen bernsteinfarbenen Augen einen Hunger zu erkennen, der ihr gleichzeitig Angst und Verlangen bereitete. Sie wollte gerade einen Schritt zurückweichen, als John ihr das seltsame Lederding abnahm.
„Ach schau mal an, Vinz denkt an alles. Er hat dir gleich noch ein Holster mit Gürtel dafür besorgt.“
Hatte er ihre Angst gespürt? Sie deshalb abgelenkt?
Sie wollte ihn danach fragen. Doch sein Blick von vorhin, dieser Hunger in seinen Augen – sie war schlicht zu feige.
„Und was mache ich nun mit einem – Holster?“
„Da steckst du deine Glock rein. Sieh mal, das ist eine spezielle Ausführung, schön weich und extra flach gearbeitet. Damit kannst du die Waffe unauffällig unter einer Jacke oder einem Pulli tragen.“
Skeptisch hob sie eine Augenbraue. „Aha.“
„Komm her, ich zeig’s dir“, sagte er und schob die Pistole in das Holster.
Sie trat zu ihm an die Bank zwischen seine geöffneten Beine. Diese Nähe ließ ihren Bauch angenehm kribbeln – zu angenehm. Immerhin wollte sie doch gleich fahren.
Sie versuchte, sich abzulenken. „Ach ja, eine Kevlarweste soll heute auch noch für mich kommen. Ich schätze mal, das ist keine Strickweste für kalte Tage?“
„Nein, wohl eher für bleihaltige Luft“, meinte John amüsiert, während er den Ledergürtel in die dafür vorgesehenen Schlitze des Holsters fädelte. „Das ist eine kugelsichere Schutzweste. Ich muss mich unbedingt bei Vinz bedanken.“
„Klasse. Und als Nächstes krieg ich bestimmt einen Patronengurt, ein Stirnband und ein bisschen Tarnfarbe ins Gesicht“, grummelte sie, wobei jedoch ein bisschen Humor mitschwang. John, der immer noch auf der Bank saß, blickte verwirrt zu ihr hoch, bevor mit ihrem nächsten Satz der Groschen bei ihm fiel.
„Ihr macht einen Rambo aus mir!“
„Nein. Eine Schriftstellerin, die sich im Notfall wehren kann.“
Etwas in seiner Miene ließ sie ahnen, dass er es zu so einem Notfall gar nicht kommen lassen würde.
John senkte den Blick und zog ihr nun den Gürtel durch die Schlaufen ihrer Jeans.
Seine Nähe ließ ihr Herz schneller schlagen und sie erinnerte sich, wie seidig weich sich seine Locken angefühlt hatten, die so wild und ursprünglich aussahen. Sie konnte nicht widerstehen und fuhr mit ihren Fingern genüsslich durch seine goldbraunen Wellen. Gleichzeitig von ihm berührt zu werden, fühlte sich einfach zu gut an.
Als er den Gürtel in der Schnalle festzog, wäre ihr beinahe ein leises Stöhnen herausgerutscht.
Sie spürte, wie seine Hände auf ihrer Hüfte verharrten. Während ihre Finger abermals durch seine Haarpracht glitten, wurde sein Griff fester. Sie meinte beinahe, ein leises Knurren zu hören, doch er räusperte sich laut, ehe sie sich sicher war.
„Dann lass uns mal sehen, wie es für dich am besten ist.“
Wie es für mich am besten ist?
Ihre Hände wurden feucht. „Ich – ähm.“
Aber er steckte nur die Pistole in das Holster am Gürtel. Nun rettete sich Lara in ein Räuspern, um ihren Satz nicht zu beenden.
„So, die Waffe ist jetzt rechts hinten an deinem Rücken. Du bist doch Rechtshänderin, oder?“
„Ja.“
„Zieh die Glock mal raus und sag mir, ob du gut drankommst.“
Sie hatte Mühe, sich auf seine Worte zu konzentrieren, denn seine Hände ruhten mittlerweile an den Außenseiten ihrer Oberschenkel, fühlten sich viel, viel wärmer an, als sie sollten, und sandten angenehme Hitzewellen in den Rest ihres Körpers.
„Geht prima“, antwortete sie heiser.
„Okay, jetzt setz dich mal auf die Bank und probier, ob die Waffe dabei auf der Sitzfläche aufstößt oder drückt.“
Sie wechselten die Positionen.
„Nein,