„Ihr könnt – Kinder kriegen?“
„Klar geht das!“
Kinder – dieser Gedanke war für sie fast wie die Tür in eine vergessene Welt. Rein faktisch tickte ihre biologische Uhr schon längst, und da sie seit dem Tod ihres Freundes keinen Partner mehr gehabt hatte, war eine eigene Familie nie in Reichweite gekommen.
Sehnsucht, Hoffnung, Zweifel – alle drei purzelten mit einem Schlag in ihrem Kopf herum, doch Arabella redete schon weiter: „Du und wir anderen hier gehören zu den äußerst seltenen Frauen, die zur Symbiose mit einem Vampir fähig sind, deshalb können wir auch Kinder von ihnen bekommen. Wird es ein Junge, ist er ein Vampir. Bringst du ein Mädchen zur Welt, wird eine ganz normale Frau daraus, die allerdings zur Symbiose fähig ist wie du. Aber mach dir keine Hoffnungen, die Wehen bleiben die gleichen. – Irre, wie schnell die Zeit vergeht, jetzt studiert Susi bereits.“
„Deine Tochter – ist schon erwachsen?“
„Denkt sie zumindest.“ Ara grinste.
„Aber du bist doch höchstens …“
„Hey, hey! Nur nicht unhöflich werden und nach meinem Alter fragen“, protestierte Arabella mit erhobenem Zeigefinger. Dann drehte sich das Exmodel einmal im Kreis und strich mit ihren Händen an ihrem Oberkörper entlang.
„Vampirblut ist klasse für den Body, was? Bleib doch noch ein bisschen. Ich mach dir noch einen Latte und wir quatschen.“
„Nein, danke. Nett von dir, aber ich muss dringend nach Hause, um meine E‑Mails abzurufen und meinen Auftritt in England vorzubereiten.“
„Du musst unbedingt mit John reden. Außerdem wäre es schade, wenn du schon fährst. Weißt du nicht mehr, was ich dir versprochen habe, als du unseren John gesucht hast?“
„Nein, was denn?“
„Vinz zeigt dir, was Italiens Küche zu bieten hat. Die Zeit der pappigen Lieferpizza ist vorbei! Er wollte heute Abend für dich und John echt italienisch kochen. Vielleicht bleibst du ja doch noch ein bisschen?“
Sie sah, dass Ara sich nervös auf die Lippe biss. Ihr mulmiges Gefühl, das durch das vorige Thema verdrängt worden war, kehrte zurück. Schnell öffnete sie die Tür. Beim Blick auf die Waffe in ihrer Hand murmelte sie: „Lara Livingstone-Rambo.“
Sie war schon fast um die Ecke, da rief Arabella noch hinter ihr her: „Vinz hat dir auch eine Kevlarweste in Größe S bestellt. Die kommt heute und du sollst dich bei ihm melden, falls sie zu klein ist.“
***
Wie so oft in den letzten Monaten träumte John, dass er am Flussufer stand und sah, wie Elisabeth ertrank.
Mit einem gequälten Aufbrüllen wollte er zu ihr ins Wasser springen. Tief in sich wusste er jedoch, dass er sie nicht retten konnte, wie immer in diesem Albtraum. Aber anders als sonst hielten ihn dieses Mal unvermittelt stählerne Ketten zurück. Das Bild vor seinen Augen veränderte sich und er sah Ramón am Pool stehen, der Lara unter Wasser drückte. Wie wahnsinnig riss er an den Fesseln – vergeblich. Gleich darauf musste er von Neuem durchleben, wie Ramón Lara mit einer schweren Kette um den Körper ein zweites Mal in den Pool stieß. Sie kämpfte sich immer wieder verzweifelt an die Wasseroberfläche, um nicht zu ertrinken.
Wie aus der Ferne hörte er sich selbst ihren Namen brüllen, wieder und wieder – bis er schweißgebadet aus dem Schlaf hochschreckte.
Nur ein Traum!, dachte er zunächst. Seine Erleichterung dauerte aber nur einen Atemzug, denn das Bett neben ihm war leer und Laras vertrauter Herzschlag nicht zu hören.
In bodenloser Panik stürmte er durch die Wohnung, bis er im Bad Arabellas Einladung am Spiegel entdeckte. Sofort wählte er ihre Nummer.
„Ja, sie ist hier bei mir“, antwortete Arabella, ehe er auch nur Piep sagen konnte.
War sie Gedankenleserin?
Nichtsdestotrotz legte er sich erst wieder ins Bett, nachdem er Elia gebeten hatte, alle Ausgänge zu verschließen.
Trotz seiner Müdigkeit wälzte er sich aber nur von einer Seite auf die andere. Mit den Bildern des Albtraums in seinem Kopf fand er keinen Schlaf mehr.
Kapitel 6
Lara war erleichtert, auf Anhieb den Weg zurückzufinden.
Doch kaum schloss sich die Tür hinter ihr, stieß sie frustriert die Luft aus. Draußen schien die herrliche Nachmittagssonne, aber durch die geschlossenen Jalousien war in Johns Wohnung alles stockdunkel wie in einem Sarkophag. Im Schlafzimmer fand sie das Bett leer vor, doch die Tür vom Bad stand ein Stück offen und ein Streifen Tageslicht drang zu ihr heraus.
„Guten Morgen, Lara. Komm ruhig rein, ich bin gleich fertig.“
Neugierig öffnete sie die Badezimmertür und atmete angesichts des lichtdurchfluteten Raums erleichtert auf. „Ich wollte nur kurz …“ auf Wiedersehen sagen. Aber der Rest des Satzes blieb irgendwie auf der Strecke, denn John schenkte ihr einen liebevollen Blick, der ebenso wie sein attraktiver Anblick ihren Bauch kribbeln ließ.
Ein Vampir, mit goldbraunen Locken und einem nackten Oberkörper wie zum Anbeißen, stand am Waschbecken und rasierte sich. Sie hätte gleichzeitig lächelnd den Kopf schütteln und sich über die Lippen lecken können.
Dank ihrer guten Erziehung tat sie nur Ersteres.
Sie öffnete den Mund erneut, um sich zu verabschieden, doch John brachte sie aus dem Konzept.
„Was ist? Noch nie einen Vampir beim Rasieren gesehen?“
Er grinste sie spitzbübisch an und wusch sich den restlichen Schaum ab.
„Nein, tatsächlich nicht.“ Aber an diesen Anblick würde ich mich gerne gewöhnen.
Unwillkürlich biss sie sich auf die Lippe, denn ihre sicherlich verräterischen Augen versuchten, sich schamlos an ihm sattzusehen.
Mit einem Schlag hatte sie wieder das grauenhafte Bild vor Augen, als er blutend und mit furchtbarsten Verletzungen halb tot in den Ketten hing. Seine Haut war teilweise verkohlt gewesen.
Wie in einem Echo erinnerten ihre Sinne sie an den Brandgeruch in dem Tunnel – damals. Bilder von verkohlten Leichen tauchten vor ihrem inneren Auge auf.
Ohne sich einer Bewegung bewusst zu sein, stand sie auf einmal direkt vor John, streckte eine zitternde Hand nach ihm aus. Sie musste ihn einfach berühren! Sich erneut davon überzeugen, dass er wirklich lebendig und heil war.
Die letzte Katastrophe in ihrem Leben hatte ihren Freund in ein verkohltes Etwas verwandelt. Kein friedliches Gesicht im Leichenhemd, kein offener Sarg, kein Abschied.
Sie legte die Sachen ab, die Ara ihr mitgegeben hatte, und fuhr vorsichtig mit ihren Fingern über Johns breite Schultern, die muskulöse Brust, den Waschbrettbauch. Sie spürte den Schauer, der seinen Körper dabei durchfuhr.
Während ihre Fingerspitzen seine vollen weichen Augenbrauen nachfuhren, schloss er die Augen, und als ihre Hand über seine Wange strich, legte er seine darüber. Dabei atmete er tief ein und wirkte, als würde er ihre Berührung wie ein Elixier in sich aufnehmen.
Der Geruch von beißendem Qualm war verschwunden, während sie seine Haut berührt hatte, doch leider wurden die Bilder aus dem Tunnel nun durch die aus dem Keller von Ramón ersetzt.
„Sie hatten dich so schrecklich zugerichtet, John. Ich hätte dich schneller finden müssen.“
***
John hörte das Zittern in ihrer leisen Stimme und öffnete die Augen. Eine einsame Träne rollte über ihre