Outback Todesriff. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759511
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Tag gekauft hat. Der Ozean machte einen trägen Eindruck, und er hoffte, die Sache wäre in ein paar Stunden glatt über die Bühne gegangen. Kim strahlte. Die ersten zehn Minuten, nachdem sie abgelegt hatten, bestaunte er noch die polierten Holzplanken, die verzierten, metallenen Knäufe, Hebel und Haken, und freute sich auf die Drinks. Nebenbei stellte er noch fest, dass Kim die schönste Frau an Bord war. In jenen Minuten noch wertete er das Heben seines Magens als kurze Umgewöhnungsphase. Während er gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfte, kreischten über ihm die Möwen und der Schiffseigner plauderte munter über die Dreharbeiten – die ja schon ein halbes Menschenalter zurückliegen mussten. Kim strahlte immer noch und war überzeugt, dass sie gerade einen Wal gesehen hatte, als es aus war: Er flüchtete eiligst unter Deck auf die Toilette. Als er irgendwann als sein eigener Geist wieder hinauftaumelte, schob Kim ihn rasch in die hinterste Ecke des Hecks zu zwei anderen Männern. „Noch achtundvierzig Minuten“, brachte einer hervor, bevor er sich rasch abwandte und sich über die Reling übergab.

      „Unter ihrem Sitz sind Kotztüten“, sagte der Pilot, als sie die ersten grauweißen Wattebäusche durchflogen und dabei ordentlich durchgeschüttelt wurden.

      „Ich musste noch nie im Flieger kotzen“, brüllte Shane lauter als notwendig. Plötzlich war Bob zu einem anderen Menschen geworden. Vorbei seine Schläfrigkeit - mit wachen Augen verfolgte er die Wolkenberge, kurvte mal nach links, mal nach rechts, stieg mal höher, fiel mal ab, tauchte geradezu virtuos durch den Himmel wie ein Fisch in den Korallen des Barrier Reefs.

      Nach drei Stunden deutete Bob aus dem Fenster und behauptete, da unten läge Coocooloora. Shane reckte sich und konnte nicht mehr erkennen, als braunes Land.

       Andy

      Auf einmal wollte er aussteigen. Seine Mundschleimhaut war trocken wie Pergament und beim Schlucken klebte die Zunge am Gaumen fest. Zum ersten Mal gab Andy es zu: er hatte Angst vor der wirklichen Welt. Seine Welt, das war die Lease in Queensland gewesen, die sein Vater für dreißig Jahre gepachtet hatte, ein fünfzigtausend Quadratmeter großes Stück roter Wüste. Drei Stunden Autofahrt von Quilpie, dem nächsten Ort, entfernt und tausendzweihundert von der Küste.

      Die erste Stunde fuhr man über einen geteerte Straße, die in eine staubige, holprige Piste überging. Gras wuchs nur noch in stachligen, struppigen Büscheln auf der gelblichen, lehmigen Erde. Achtzig Kilometer weiter endete die Piste an einem Gatter. Und von da an musste man den Reifenspuren vom letzten Mal folgen. Zwei Stunden Fahrt durch immer gleiche, geröllbedeckte, rotschwarze Ebenen, die immer gleiche, flache Hügel voneinander trennten. Hatte man eine Ebene durchquert begann die nächste. In Andys Fantasie verwandelten sich die toten Baumstämme auf der verkrusteten, rissigen Erde zu Saurierskeletten, die Äste der Stämme sahen aus wie verdorrte Nervenstränge und die runden Felsbrocken wurden zu Eiern, die die Saurier gelegt hatten und aus denen jeden Moment ihre Jungen schlüpfen würden. Die hüfthohen, spitzen Termitenbauten, die in den roten Ebenen emporwuchsen, waren Wohnburgen von Marslebewesen, und die Piste, über die sie fuhren, war die Blutspur, die ein verletzter Urelefant auf seinem Weg zu seinem Friedhof hinter sich hergezogen hatte.

      Wenn Regen oder Wind die Reifenspuren vom letzten Mal weggewischt hatten, würde sich auch der beste Pfadfinder nicht mehr sicher sein. Und wenn es regnete, verwandelte sich die Erde in einen roten Morast. Jedes Vorwärtskommen wurde unmöglich. Man blieb ganz einfach im klebrigen Schlamm stecken. Und wenn man ausstieg, um weiterzulaufen, verlor man seine Schuhe.

      Gestern Morgen war diese Welt plötzlich wie ein Luftballon an einer Nadel zerplatzt. Diese Nadel war Bernie.

      Sonnenstrahlen hatten sich durch das Fliegengitter des aufgeklappten Wohnwagenfensters gezwängt. Bald würde es im Wohnwagen so warm sein, dass man kaum noch atmen konnte. Andy tastete am Boden nach den Jeans, die er am Abend dort fallen gelassen hatte, kramte aus der Hosentasche eine fast leere Schachtel Zigaretten und das Feuerzeug. Hier draußen gab es keinen Geruch – keinen Gestank – keinen Duft – und wenn sie nicht arbeiteten, auch kein Geräusch. Deshalb brauchte er unbedingt eine Zigarette. Er ließ das Feuerzeug klicken, sog den Benzingeruch ein, hörte das Knistern des verbrennenden Papiers und sah den Tabak rötlich aufglühen. Dann schlug er die löchrige Bettdecke zurück, verschränkte die Arme unter dem Kopf und spürte die Morgenluft auf seiner nackten Haut. Er blies den Rauch in die Luft, dachte an seine Mutter, wie sie stets gegen den Willen seines Vater geraucht hatte.

      Am Morgen seines elften Geburtstags hatte sie ihm einen Schokoladenkuchen gebacken. Als er dann mit seinen Freunden spielte, schlang sie auf einmal die Arme um ihn, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte leise: „Ich vergesse dich nicht.“ Er wusste nicht, was sie damit meinte. Sein Vater murmelte am nächsten Tag, dass Mary mit einem Mann auf und davon sei. Nach zwei Jahren lag eine Postkarte aus Perth von ihr im Briefkasten: Sie hätte jetzt einen Hund und ein Bed & Breakfast-Hotel. Das lag jetzt vier Jahre zurück. Seitdem hatten sie nichts mehr von ihr gehört. Flucht nannte sein Vater das, Flucht vor Problemen, die sich immer im Leben stellten. Und Andy lernte, dass man nicht fliehen durfte, sondern ausharren musste, egal, was passierte.

      Auf seiner Armbanduhr war es halb sieben, sein Vater war bestimmt schon wach, saß wahrscheinlich schon am Tisch, trank Kaffee und wartete, dass Andy endlich kam, um mit ihm raus zur Mine zu fahren.

      Nach ein paar Zügen stand Andy auf, zog die Jeans an, wühlte ein verwaschenes T-Shirt aus dem Kleiderhaufen auf dem Tisch und klappte die Tür des Wohnwagens auf. „Elefantenfriedhof“, nannte er das Camp: Drei baufällige Wohnwagen, die einen Ortswechsel nicht mehr überstehen würden und drei Wellblechverschläge für Generator, Dusche und Klo. Dazwischen dürre, verkohlte Bäumchen, auf deren schwarzen Zweigen manchmal kleine, dicke Vögel saßen. Der Himmel strahlte blau. Gegen Mittag, wenn es so heiß werden würde, dass man kaum noch atmen könnte, lagen weiße Schleier über dem Blau.

      Andy schlüpfte in die staubigen Gummilatschen, schlurfte am Wohnwagen seines Vaters vorbei, vor dem sie einen moskitonetzbespannten Verschlag errichtet hatten. Sein Vater war doch noch nicht aufgestanden. An den Metallfässern, die hinter dem Wohnwagen lagen, blieb er stehen, hielt einen zerbeulten Blecheimer unter den Hahn, der das Fass verschloss und drehte ihn auf. Bei der nächsten Fahrt nach Quilpie müssten sie Wasser kaufen. Dass er nicht mehr dazu kommen würde, wusste er in diesem Moment noch nicht. Er trug den Wassereimer zur Dusche, dem Blechverschlag, in dem ein Sack mit Zotte aufgehängt war, schüttelte das Wasser in den Sack, zog sich aus, drehte die Zotte auf und zuckte zusammen. Über Nacht war das Wasser kalt geworden.

      Als er zurück zum Wohnwagen schlenderte, hockte sein Vater am Tisch unter dem Moskitonetz, seinen blauen Becher vor sich. „Gut geschlafen?“, fragte er Andy, als der an ihm vorbei die Stufen zum Wohnwagen hinaufstieg. Andy brummte. Er schüttete das noch warme Wasser aus dem Kessel auf zwei Löffel Bushells Instant Kaffee, holte drei Scheiben Toast und die süße Marmelade ihrer Nachbarin in Quilpie, Dora Hamilton, aus dem Kühlschrank und setzte sich zu seinem Vater an den Tisch.

      „Du erinnerst dich doch an die Geschichte mit Terry“, begann sein Vater und kratzte seinen Bart. Natürlich erinnerte er sich. Er kannte sie in- und auswendig.

      „Damals in Andamooka“, holte sein Vater aus, „als deine Mutter und ich angefangen haben zu graben, war da auch dieser Terry Walton. Wo der grub, fand er Opal. Terry war sicher schon zehnmal in seinem Leben Millionär! Und wenn er wieder einen dicken Fund hatte, dann ist er nach Sydney oder nach Las Vegas, hat gespielt auf Teufel komm raus, bis nichts mehr da war. Zweihunderttausend in einer Nacht waren da nichts. Einmal hat er sogar sein Ticket verspielt, da mussten dann ein paar Freunde zusammenlegen und ihm ein Ticket schicken.“ Er lachte, schlurfte Kaffee und sah in die Weite. Andy schob lustlos die Toastpappe in seinem Mund herum. Er wusste, dass die Geschichte noch lange nicht zu Ende war.

      „Aber da machte sich keiner Gedanken!“, ging es auch gleich weiter, „alle wussten ja, wenn Terry zurückkommt, dann findet er wieder Opal! Das war auch so. Bis auf einmal. Da war es mit einem Schlag vorbei. Peng. Nix mehr, gar nix mehr, tja, er ist jetzt, soweit ich weiß, in einem Armenasyl in Sydney.“ Sein Vater sah kopfschüttelnd in die Ferne.

      „Letztes Mal hat er sich umgebracht“, konnte sich Andy nicht verkneifen, zu sagen.

      „Ach