Outback Todesriff. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759511
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beide auf den steinigen Seitenstreifen ausweichen. Aber ihnen begegnete selten ein Auto. Öfter scheuchten sie ein paar Schafe von der Straße auf.

      Beinahe wäre er am Morgen wieder umgekehrt, als er seinen Vater vor dem Wohnwagen hatte sitzen sehen, den Blick auf die aufgeschütteten Sandhaufen geheftet. Doch er fuhr ab, und drehte sich nicht mehr um. Sein bisheriges Leben war zu einem einzigen großen Irrtum zusammengeschrumpft.

      „Hab auch mal nach Opalen gegraben“, hört er Scotty jetzt sagen, „ist verdammt lange her. Damals in Yowah. Neben meiner Mine haben sie alle was gefunden, nur ich nicht!“ Er lachte. „Das ist nichts für mich. Brauch ´ne richtige Arbeit, bei der ich weiß, was am Ende dabei rumkommt! Und du und dein Vater, habt ihr was gefunden?“

      Andy zuckte die Schultern.

      „Manchmal.“ Wollte nicht erklären, dass sein Vater und er seit fünf Jahren vergeblich dem zweiten Level Opal suchten, die Schicht, die unter der ersten liegt, die der Vorbesitzer der Lease schon vor zwanzig Jahren gefunden und ausgebeutet hatte. Wollte nicht erklären, dass er nicht mehr an seinen Vater glaubte.

      „Opale - das ist doch was für harte Jungs!“ Scotty sah an ihm herunter.

      „Ich weiß ´ne Menge und kann mit Maschinen umgehen.“

      Doch Scotty fragte weiter: „Warum bist du ausgerechnet heute abgehauen? Bin neugierig, na, komm schon, warum haut so einer wie du ab, Freundin?“ Scotty zwinkerte ihm zu. Andy schüttelte den Kopf, suchte nach einer Antwort, die Scotty zufrieden stellen und ihm die lange Geschichte ersparen würde.

      „Ich seh lieber fern. Da gibt es die schönsten Frauen. Und das Beste ist, dass man denen nicht antworten muss!“, sagte er – und so ganz war das ja auch nicht gelogen. Scotty lachte und schlug sich auf die Schenkel. Da lachte Andy auch.

      „Also bist du wegen der Weiber abgehauen!“, sagte Scotty, „ach, Junge, in deinem Alter hab ich auch noch ans große Glück geglaubt. Aber nach und nach wird dein Glück immer kleiner und du bist schon froh, wenn du wenigstens noch eine ganz schmale Scheibe davon erwischst.“

      Andy sagte nichts. Typisches Geschwätz von Losern, dachte er. Er jedenfalls glaubte ans große Glück und er wollte endlich sein Stück davon abhaben. Und deshalb hatte er an diesem Morgen seinen Vater allein im Camp zurückgelassen.

       Moodroo

      Moodroo kauerte sich zusammen. Fror. Lag da wie ein toter, schwarzer Embryo. Und dann träumte er wieder den Traum, immer wieder denselben Traum, aus dem er nicht aufwachen konnte, wenn er so viel getrunken hatte.

      Im Mund ein krabbelnder Knebel. Schmeckt nach ranzigem Fett und faulem Fisch. Fühler, spindeldürr und spitz, tasten sich über die Zunge, treffsicher bis in die Lunge hinunter. Haarige Beinchen schaben die Mundwände wund. Er weiß es, sie ist es wieder, hat ihn im Schlaf überrascht, sich in ihn gestohlen, die schwarze Kakerlake. Er würgt, hustet, will sie aus sich herausschleudern, doch sie bohrt die gezackten Beinchen mit den Widerhaken in sein Fleisch und ankert in seiner Schleimhaut.

      Sein Kopf wirbelt herum. Er bäumt sich auf, er wird ersticken – ersticken an der Kakerlake, die immer größer wird. Er schlägt um sich, bäumt sich auf – und knallt auf etwas Hartes. Und dann das Wagnis, die Augenlider zu heben. Tonnenschwere Lasten schieben sich widerstrebend hinauf. Gleißendes Licht schneidet die Augäpfel in Scheiben. Unkraut, metallisch, sprießt aus aufgerissenen Polstern. Fischaugen-Sicht: Tisch, Sessel, Fernseher, aufgeblasen und prall bis zum Platzen. Stechender Schmerz wird dumpf. Etwas hat seinen Kopf gerammt. Nässe, klebrig und warm auf den Händen. Plötzlich: Tisch, Sessel, Fernseher wieder schlank. Jemand hat die Luft rausgelassen – nein, es war die Flasche mit Schnaps, die Fischaugenflasche vor seinen Augen ist umgefallen. Die Kakerlake ist auch verschwunden.

      Er rappelt sich auf, nur ein bisschen, damit er besser sehen kann. Er hat es geahnt. Es geht wieder los. Sie kriecht unter dem Ritz der Badezimmertür hervor, die rote, dunkelrote Lache kriecht auf ihn zu, wird so groß wie ein See. Die Kakerlaken werden es riechen, sich draufstürzen wie auf rohes Fleisch. Er hört sie schon scharren und kratzen. Sie winden sich aus Steckdosen, klopfen in den Wänden, huschen unter dem Teppich hervor, schlüpfen aus dem Fernseher, fallen von der Decke, rutschen die Lampe herunter, krümmen sich in seinem Magen. Er würgt, kotzt ätzende Säure - und Kakerlaken. Die ersten schmatzen schon, schlürfen die rote, zähe Flüssigkeit, die unter der Tür hervorfließt, dabei hat er es doch längst aufgewischt. Ihr Blut.

       Shane

      Shane hasste es, zu fliegen, auf holprigen Pisten zu landen, in weißen Wolkenhaufen nichts mehr zu sehen. Er hasste Turbulenzen und enge Sitze und taub machendes Getöse. Er hasste es, im strahlenden Blau des Himmels nach irgendwelchen Punkten Ausschau zu halten, die in Sekundenbruchteilen größer wurden, auf einen zuschossen und sich als Flugzeuge entpuppten. Und er hasste es, das alles angeschnallt über sich ergehen zu lassen. Liebend gern verzichtete er aufs Fliegen. Und diesmal hätte er ganz besonders gern darauf verzichtet. Es sah nämlich ganz danach aus, als wäre es das tote Gleis seiner Karriere. Ein schlagender Beweis: Der Jet, den die Homicide normalerweise zur Verfügung hatte, stand für ihn diesmal nicht bereit. Es handelte sich ja um nichts wirklich Dringendes. Und so musste er in dieser einmotorigen Bonanza fliegen.

      Sein Hirn war noch immer gefüllt mit den Daten des Falles, den man ihm einfach weggenommen hatte.

      Das erste Opfer war eine achtundvierzigjährige Kassiererin, die im Coles Supermarkt gearbeitet hatte. Auf dem Weg zu ihren Eltern, die sie übers Wochenende hatte besuchen wollen, hatte sie eine Reifenpanne gehabt. Man fand ihr Auto am Straßenrand, nicht weit von Dalby, zweihundert Kilometer von Brisbane entfernt. Der Wagenheber lag neben dem platten Reifen. Ein Grundstücksmakler, der das Gebiet inspizierte, sah etwas Helles hinter einem Busch und nahm einen süßlichen Geruch wahr. Zuerst dachte er, es handle sich um ein verwesendes Tier – Schafe und Rinder fand man öfter – doch als er näher kam, erkannte er menschliche Hände.

      Das zweite Opfer war die dreiundvierzigjährige Deb Johanson, die sich auf der Rückfahrt von einem Wochenendtrip mit ihrem Freund gestritten und darauf bestanden hatte, drei Kilometer vor Barcaldine aus dem Auto zu steigen. Zwei Tage später stolperte ein Familienvater über die Leiche. Er wollte zum Fischen und wählte für seinen Camper einen Platz unter Bäumen, denselben, den auch der Mörder ausgesucht hatte. Die dritte und bisher vorletzte Leiche, die der achtunddreißigjährigen Anita Horwitz, entdeckte eine Reiterin auf ihrem morgendlichen Ausritt, hinter einem gefällten Baum, unweit von Tambo am Mitchell Highway, zwischen Charleville und Longreach.

      Bis auf den letzten Fall in Roma waren die Toten stets nach kurzer Zeit gefunden worden. Trotzdem hatten Vögel, kleinere Tiere und Ameisen oft Leichenteile bereits gefressen. Man fand auch Knochen in einem Vogelnest. Offenbar vergrub der Mörder also die Leichen nicht, weil er um deren schnelle Verwesung wusste.

      Die Kollegen vom Bureau of Criminal Intelligence (BCI) analysierten die Morde. Die Enthauptung weise auf eine Hinrichtung hin und diene weniger der Absicht, die Identifikation des Opfers zu erschweren, sagten sie. Der Stich in den Bauch war offenbar ein weiteres Ritual, und sie rieten dazu, dieses Detail vor der Presse nicht zu erwähnen, um einem Verdächtigen vielleicht eine Falle stellen zu können.

      Shane sah aus dem Fenster. Unter ihm sah das Land aus, als hätte man einen staubigen Kartoffelsack darüber geworfen. Kein Grün, kein Rot, kein Gelb, nur die Straße als ein heller Strich ins Braun geritzt, und bis zum Horizont kein Anzeichen menschlicher Besiedlung.

      „Wird gleich ein bisschen ungemütlich“, sagte auf einmal der Pilot, „da hinten kommt ´ne kleine Wolkenfront. Kontrollieren Sie mal Ihren Sicherheitsgurt!“

      „Großartig“, brummte Shane. Auch das noch, Turbulenzen kamen mit einem Kater ganz besonders gut. Er tastete unauffällig nach dem Beutel unter seinem Sitz. Als Alptraum war die Fahrt auf einem historischen Segelboot in seinem Gedächtnis gespeichert. Die Yacht war ihm von Anfang an suspekt erschienen, nicht nur, weil sie in diesem, uraltem Softporno mit Brooke Shields vorgekommen war, nein, auch weil er am Hafen beobachtet hatte, wie langbeinige Mädchen die Segel geflickt hatten ... Doch Kim bestand darauf,