Wie soll ich darauf bloß reagieren?
»Ja. Sasha.« Er schüttelte ihre Hand und war überrascht, dass seine Stimmbänder überhaupt funktionierten.
»Sie kommen mit den besten Empfehlungen eines meiner früheren Lieblingsprofessoren. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.«
Joanne ging um ihren Schreibtisch herum und ließ sich elegant nieder. »Setzen Sie sich bitte.« Sie deutete auf einen weichen Stuhl ihr gegenüber. Es handelte sich um dasselbe Modell wie ihr eigener. Keins von diesen Spielchen, damit sich der Gast auf einem weniger erhabenen Platz kleiner fühlte. Sasha mochte sie schon jetzt.
»Danke für die Einladung. Ich bewundere Harrison Kingsley seit Jahren. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«
Joanne Kingsley kicherte. Sie kicherte. »Wissen Sie, es überrascht mich immer noch, wenn jemand so etwas zu mir sagt, Sasha. Vielen Dank.«
Sasha lächelte zurück.
Das Vorstellungsgespräch verlief glatt. Eigentlich sogar perfekt. »Bitte nennen Sie mich Jo.« Sie war charmant, gesprächig und wollte alles über Sasha wissen. Sie war genauso, wie Sasha in zehn Jahren sein wollte. Auf den Etiketten der Kleidung mochte der Name von Harrison Kingsley stehen, er mochte derjenige sein mit dem Schloss in den Hamptons, den Zeichenbrettern, Stoffproben und den ganzen Designern, die ihm unterstellt waren, aber es war Joanne Kingsley, die die wichtigen Entscheidungen traf. Sasha wollte alles in seiner Macht Stehende tun, um ihr dabei zu helfen.
Creative Director bei einem großen Modelabel. Allein der Gedanke an diesen Titel ließ ihm einen Schauer den Rücken hinunterlaufen. Das war es, was er mehr als alles andere wollte... eines Tages. Ein Kindheitstraum. Im Moment wäre er allerdings vollauf zufrieden, wenn er nur der Assistent eines solchen werden durfte.
Joanne überflog ein weiteres Mal seinen Lebenslauf, bevor sie die Mappe zuklappte. »Eine kurze Frage, aus reiner Neugier. Hier steht, dass Sie vor Kurzem an der Parsons den Abschluss gemacht haben, aber Sie sind bereits achtundzwanzig. Ein Karrierewechsel?«
Sasha schüttelte den Kopf. »Schon als Kind wollte ich das immer tun. Zu Hause in Kansas musste ich lange kellnern, bis ich mir den Umzug nach New York und die Schule leisten konnte. Die Stadt ist nicht billig, wie Sie bestimmt wissen.« Nicht, dass das jemals ein Problem für die Kingsleys gewesen wäre. Laut ihrer Biografie waren sie in Harrison Kingsleys schlossartigem Anwesen in den Hamptons aufgewachsen, bevor Joanne sich ihr nicht weniger pompöses Appartement in der Park Avenue gekauft hatte, kurz nachdem das Label den Durchbruch geschafft hatte.
»Das ist richtig.« Joanne holte tief Luft. »Hören Sie, vermutlich sollte ich das nicht machen, aber ich werde es dennoch tun. Wann können Sie anfangen?«
»Anfangen?« Einen Moment lang war Sasha verwirrt, dann verstand er und ihm stockte der Atem. »Anfangen. Heili– ich meine, ich kann anfangen, wann immer Sie möchten. Ich habe keine anderweitigen Verpflichtungen.«
OhGottohGott. Sie hat mich gerade eingestellt. Joanne Kingsley hatte ihn gerade eingestellt. Sasha fühlte sich einer Ohnmacht nahe.
»Wie wäre es mit morgen?«
»Morgen klingt gut.« Sasha ballte die Hände zu Fäusten und grub seine Fingernägel in die Handflächen. Hoffentlich würde ihn das ein wenig runterbringen, aber es klappte nicht. Solche Dinge passierten einfach nicht. Nicht im wahren Leben. Von morgen an würde er bei seiner Traumfirma mit einem seiner größten Vorbilder arbeiten. Das konnte nicht real sein. Anders konnte man es nicht ausdrücken.
»Fantastisch«, sagte Joanne mit ihrem berühmten Lächeln. Er hatte immer angenommen, dass sie es nur für die Kamera aufsetzte. Sasha konnte nicht glauben, dass Joanne Kingsley so freundlich war. Niemand mit so viel Macht war tatsächlich derart nett, aber anscheinend war sie die Ausnahme. »Melden Sie sich in der Personalabteilung, bevor Sie gehen, und füllen Sie die notwendigen Papiere aus. Ich werde dort anrufen und Bescheid geben, dass Sie kommen.«
»Ja. Selbstverständlich.«
Joanne Kingsley stand auf. Ihr grünes Kleid floss über ihre üppigen Hüften, bis es erneut glatt herabhing. Sasha verspürte den Wunsch, den Stoff zu berühren. Er war einfach so... wunderschön. Alles in seiner neuen Welt war wunderschön und er widerstand mühevoll dem Drang, sich zu kneifen.
»Dann sehen wir uns morgen? Punkt neun Uhr?«
Sasha erlaubte sich ein Grinsen. »Ich kann's kaum erwarten.«
Sasha wartete, bis er zurück auf dem Flur war und Joannes Tür sich mit einem Klicken geschlossen hatte, bevor er sich nicht mehr halten konnte.
»Oh mein Gott...«, flüsterte er. »Oh. Mein. Gott.«
Er hatte sich Hoffnungen gemacht, selbstverständlich hatte er das, aber das war eine Sache. Was gerade passiert war, eine völlig andere. Für einen Moment ließ sich Sasha gegen die Wand sinken. »Ich bin dabei.«
»Wenn du damit meinst, dass du dabei bist, den Gang zu blockieren, dann muss ich dir recht geben«, erklang eine eher leise, aber bissige Stimme rechts von Sasha.
Sasha schaute gerade rechtzeitig auf, um mit einer großen, breiten Brust zu kollidieren – einer sehr schönen, teuer riechenden Brust in einem wundervollen Seidenhemd, die zu einem starken, bronzefarbenen Hals, schokoladefarbenem, gewelltem Haar und einem Gesicht mit vollen Lippen, die spöttisch verzogen waren, einer Hakennase, goldenen Augen und dunklen Augenbrauen gehörte.
»Heilige Scheiße.« Es war keiner von Sashas glanzvollsten Momenten, so viel war sicher. »Sie sind Harrison Kingsley.«
Und todsicher war es Harrison Kingsley. Dieses Gesicht hätte Sasha überall erkannt. Er hatte dieselben Augen wie Joanne, wenn auch von einem whiskeyfarbenen Goldton anstelle von Grau, außerdem volle Lippen, dunkles Haar, Designerkleidung und einen hochmütigen Gesichtsausdruck. Es bestand kein Zweifel. Harrison Kingsley atmete dieselbe Luft wie er. So sehr er Joanne auch verehrte, was quasi einer Heldenverehrung gleichkam, fühlte er sich von Harrisons Gegenwart wie berauscht. Er konnte kaum fassen, dass der legendäre Designer tatsächlich ein echter Mensch war.
Sasha hielt einen Moment die Luft an, um ja nicht die winzigste Kleinigkeit von diesem Tag zu vergessen, an dem er Joanne und Harrison Kingsley getroffen hatte. Was für ein Tag.
Er hatte unglaubliches Glück. Angeblich sah man den Designer, der sehr zurückgezogen lebte, im Manhattaner Büro nur, wenn man ihn auf den Bildern an den Wänden entdeckte. Sasha war, als hätte er ein Einhorn gesehen.
»Ja. Danke für den Hinweis. Da wäre ich sicherlich nie von allein draufgekommen«, blaffte Harrison. Ein Einhorn, das ebenso schön war wie seine Schwester, aber offensichtlich nicht annähernd so nett.
Kingsley rümpfte die Nase, als würde er einen unangenehmen Geruch wahrnehmen. Vielleicht hatte die obere Schicht der Gesellschaft einen besseren Geruchssinn als Sasha. »Ist das etwa... Ralph Lauren, was du da trägst?«
»Ähm. Ja.«
Und damit verschwand jedes Gefühl von Staunen. Ein herablassender Blick des Mannes, von dem er seit der Modeschule fasziniert war, und der gesamte unglaubliche Morgen löste sich in Luft auf.
Ja, sein Hemd stammte von Ralph Lauren, verdammt. Das bedeutete nicht, dass er den abschätzigen Blick von Harrison Kingsley verdient hatte. Es kam schließlich aus der Purple Label Collection und er hatte es vor fast einem Jahr im Ausverkauf ergattert. Außerdem war es eines seiner besten Hemden. Dass er sich in den letzten Jahren in der Fashionszene bewegt hatte, hatte Sashas Geldbeutel nicht gerade gutgetan, denn dort wollte einfach kein Geld nachwachsen, weshalb er sich selten etwas leisten konnte, was er wirklich wollte.
»Diese Farbe würde ich noch einmal überdenken, wenn ich du wäre«, murmelte Harrison. »Jedenfalls, wenn du hier weiterhin arbeiten willst.« Dann drängte er sich an Sasha vorbei und setzte seinen Weg fort, wobei er weiter vor sich hin grummelte.
Sasha war sprachlos. Ihm gefiel das zarte Lila. Außerdem