Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Kompendium DaF/DaZ
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301196
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phonetische Markierungen. Quist und Jørgensen (2009) zeigen, wie etwa durch den Wechsel von einem labio-dentalen /w/ zu einem dentalen Verschlusslaut /v/ in dänischer Jugendsprache eine Markierung als ausländisch beziehungsweise Ausländer oder Ausländerin entsteht und welche Folgen diese sprachliche Identitätskonstruktion bewirkt. Hierzu gehören etwa auch lexikalische Markierungen eines Registerwechsels: zum Beispiel in der deutschen und dänischen Kanaksprak isch schwör oder Dänisch jeg sværger, (Quist & Jørgensen 2009: 383) im Sinne von ‚ehrlich‘, ‚ich sags dir doch‘ oder ‚wonn isch dirs doch saach‘ (Hessisch). Nicht jeder Sprecher oder jede Sprecherin greift jedoch auf diese Konstruktionsmittel zurück. Die Markierung des Wechsels verlangt eine Bereitschaft, Sensibilisierung, und persönliche Anlage und Kompetenz für die Konzeptualisierung beim Sprecher, eine hinreichende Salienz in der Kommunikation sowie eine entsprechende Einschätzung der sozialen Bedeutung durch den Sprecher. Auer und Dirim (2003) zeigen in ihrer Studie, wie Jugendliche in Hamburg Strategien zur Identitätskonstruktion und Markierung von Gruppenzugehörigkeiten verwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die aus einer der beteiligten Sprachen entlehnten Elemente reale Wörter oder Chunks dieser Sprache sind. Sie können auch als Anlehnungen an diese Sprachen zur Markierung der Fremdsprachigkeit oder eines Identifizierungs- oder Distanzverhältnisses zu einer Sprache verwendet werden. Damit kann man sich von dieser Sprache oder von einer Gruppe abgrenzen, der man die Sprache zuordnet, zum Beispiel indem man sich über sie lustig macht (vergleiche Hinnenkamp 2003). Jørgensen (2004) nennt dieses Verfahren languaginglanguaging und Wächli (2005) bezeichnet den Vorgang der Neu- oder Umbenennung mittels fremdsprachiger Elemente in Anlehnung an Kreolisierungsprozesse der Relexifizierung relexicalisationrelexicalisation. Auch als foreignizingforeignizing kann man dieses Verhalten bezeichnen (siehe Abschnitt 3.3.1 und Lerneinheit 4.3).

      Wie Lo (1999) anhand des heteroglossischheteroglossischen Verhaltens asiatischer Jugendlicher in Los Angeles zeigt, bedarf es aber trotz der genannten sprachlichen Identifikationsmittel immer noch der Ratifizierung und Legitimierung der sozialen Rolle der Jugendlichen durch das soziale Umfeld. Die soziale Legitimierung ergibt etwa die Aufnahme in die Ingroup und die Übernahme bestimmter Rollen. Wo sprachliche und soziale Identität nicht korrespondieren, bedarf es oft weiterer Legitimierungsprozesse.

      2.1.2 Kollektivzugehörigkeit als Ausdruck von pluraler Identität

      Wie lassen sich die pluralistischen Rollenzuschreibungen eines Individuums darstellen und vereinbaren? Hansen (2011) entwickelt hierzu ein Modell, das versucht, die intragesellschaftliche Heterogenität so abzubilden, wie es im Bereich der Soziolinguistik die Variations- und Registerforschung tut (vergleiche auch die Prolegomena von Lüdi 2003 zu den mehrsprachigen Repertoires und pluriellen Identitäten von Migranten).

      Hansen (2011) unterscheidet aus guten Gründen systematisch zwischen dem traditionellen ethnologischen und einem wissenschaftlichen Kulturbegriff, für den er das Konzept des Kollektivs verwendet. Das Kollektivsystem sei demnach nicht als fertiges System vorhanden, sondern bilde sich aus ungeplanten Konventionen der Beteiligten und könne sich beliebig differenzieren und proliferieren, sei also dynamisch. Normen und Standardisierungen der Kollektive entstehen aus Konventionen, die sich ihrerseits aus präkollektiven Elementen entwickeln. Die Gültigkeit der Normen für ein bestimmtes Kollektiv konstituiere keine Gültigkeit für andere. Individuen gehören nicht nur einem Kollektiv, sondern einem System der Multikollektivität an. Die Identität eines Individuums entsteht somit aus dem Profil der verschiedenen Subkollektive, zu denen ethnische Kollektive, also auf pankollektiven Komponenten wie Nationalität, Religion, Sprache oder ethnischer Gruppe basierende Schicksalskollektive, und Interessenskollektive wie Arbeit und Freizeit gehören. Hansen unterscheidet ferner zwischen verschiedenen Ebenen von Kollektiven, nämlich denen des ersten Grades, die Individuen betreffen, und denen des zweiten Grades, die die Organisation verschiedener Kollektive untereinander bezeichnen. Jedes Kollektiv bildet auf diese Art eine eigene Kultur aus. Hansens Kulturmodell teilt Nationalkulturen damit in eine flexible, untereinander organisierbare Menge von Kollektiven auf, die mehr oder weniger deutlich trennbar bleiben. So erlaubt das Modell, Individuen als multikollektiv auszuweisen. Wie das Individuum diese Dynamik kognitiv verarbeitet oder transkollektiv organisiert, klärt es nicht.

      Ein ähnliches Kollektivitätsprinzip, das das Management der Kollektive aber stärker in den Blick nimmt, stellt die Cultural Theory von Douglas (1992) dar. Es differenziert die Kollektive dadurch, dass neben die Kollektivitätsdimension (group) eine Individualitätsdimension (grid) tritt. Mit der group dimension nehmen die Gruppenbindung und die damit verbundenen Schwierigkeiten des Zugangs (durch steigende Anforderungen) zur Gruppe zu, mit der stärkeren Zuordnung zur grid dimension steigt die Einschränkung der individuellen Wahlmöglichkeiten des Zugangs zu Gruppen. Nach Karmasin (2002: 840) ergeben sich daraus vier prototypische Kulturen: die Individualisten, die Fatalisten, die Egalitären und die Hierarchisten.

      Die prototypischen Kulturen lassen sich wie folgt genauer charakterisieren (Karmasin 2002: 846):

      Abbildung 2.1: Einteilung von Kollektiven nach Individualitäts- (Grid) und Gruppendimension (Group) in der Cultural Theory nach Douglas (Karmasin 2002: 840)

      Dieses Modell sieht starke (interne) kollektive Normierungen (Viabilisierungen) der Gruppe im Sinne von Wendt (1996) vor, die aber kaum externen Restriktionen der Gesellschaft unterliegen. Es handelt sich um ein Modell, in dem die Gruppenzugehörigkeit von sozialen und kommunikativen Prozessen gesteuert wird und das, wie auch das Modell von Hansen, multiple Zugehörigkeiten zu und Ausprägungen von Kollektiven erlaubt. Die Dimensionen sind dynamisch veränderbar. Durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen, unter Umständen konträren Kollektiven entstehen jedoch auch Probleme der Zuordnung und Vereinbarkeit. Wie die daraus entstehenden kognitiven Dissonanzen vom Individuum bewältigt werden können, wird in dem Modell nicht geklärt.

      2.1.3 Konvergenz und Divergenz im Kulturkontakt

      Kulturkontakt steht bekanntlich im Spannungsfeld von Ablehnung und Skepsis auf der einen Seite und Glorifizierung und Romantisierung auf der anderen. Auf der skeptischen Seite des Feldes ergibt sich gelegentlich der Verdacht, Kulturkontakt könne Interferenzen in den beteiligten sprachlichen und kulturellen Systemen erzeugen, die sich in unterschiedlichen hybriden Erscheinungen ausdrücken. Das Verdachtsspektrum reicht von der Angst vor Konturenverlust aller oder eines der beteiligten Systeme (doppelte Halbsprachigkeit beziehungsweise doppelte Halbkulturalität) über die Angst vor Identitätsverlust der beteiligten Personen und die Angst vor Beliebigkeit und Auflösung von Kulturen bis hin zu der Angst vor pathologischen Erscheinungen und geistigen Verwirrungen, wie sie in segregierenden und totalitären Systemen propagiert werden (Rassenwahn, Apartheit, ethnic cleansing).

      Auf der anderen Seite des Spannungsfeldes stehen dagegen Multikulturalismus- und Toleranzkonzepte, die sich als gesellschaftliches Ideal einer One World-Philosophie verstehen. Diese Konzepte basieren auf einem idealisierten Verständnis von der Machbarkeit eines multikulturellen Nebeneinanders, das sich unter anderem in der Zielsetzung Globalisierung und den daraus resultierenden bildungspolitischen (Lehr-)Zielsetzungen ausdrückt (world citizens, global village). Dieses idealisierte Verständnis funktioniert leicht auf folkloristisch-kulinarischer Ebene, scheitert aber in der übrigen Lebenspraxis meist am mangelnden Diskurs über den Austausch der Kulturen. Die Folge sind kulturelle Spannungen – unter und auf der Oberfläche – sowie gesellschaftspolitische Fehleinschätzungen der Abwehrreaktionen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit sich die kulturellen Differenzen durch Maßnahmen der interkulturellen Vermittlung überwinden oder vereinbaren lassen, beziehungsweise inwieweit Differenzen bestätigt, gepflegt oder betont werden müssen, damit Gesellschaften funktionieren. Zwei Paradigmen bieten sich dafür an: einerseits Konvergenz der Kulturen herzustellen (KonvergenzhypotheseKonvergenzhypothese), andererseits Divergenz zwischen ihnen bestehen zu lassen (DivergenzhypotheseDivergenzhypothese). In der gesellschaftspolitischen Praxis markieren diese beiden Paradigmen jedoch nur scheinbar gegenläufige Strömungen: Konvergente Kommunikations- und Handlungssysteme