Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Kompendium DaF/DaZ
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301196
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sind als andere. Für einen Lerner zumindest ergibt sich daraus, das Problem, dass er bereits über ein vorentwickeltes Niveau an Fremdverstehenskompetenz oder kommunikativem Konsens verfügen muss, um Zugang zur fremden Sprache und Kultur bekommen zu können. Die Minimalinventarien kommunikativer Prämissen sind zudem mit einem methodischen Problem behaftet, das auch die Ansätze des interkulturellen Trainings belastet: dem Problem der interkulturellen Äquivalenz der Definitionskriterien. Die Semantik der Dimensionen, Standards und Orientierungen im interkulturellen Training ist keinesfalls universell einheitlich. Eine semantische Äquivalenz lässt sich auch beim methodischen Inventar nicht durch eine einfache Übertragung der Begriffe in andere Sprachen herstellen, sondern erfordert die Ermittlung der kulturellen Bedeutung (des kulturellen Wertes) der Kriterien. Die ethnozentrische Besetzung der Kriterien spiegelt also nur eine nach einheitlichen Kategorien klassifizier- und steuerbare Kommunikation vor (vergleiche hierzu auch die Kritik von van Es 2004).

      Beeman, Hayami und Rabson (1993: 159) veranschaulichen die Problematik der semantischen Übertragbarkeit mit Blick auf die Vermittlung landeskundlicher Inhalte folgendermaßen:

      The prime objective of anthropology is to come to an understanding of society from the viewpoint of a native. This is difficult when everything is in translation. Many social and cultural concepts in Japanese have no English equivalents. It is usually necessary, therefore, to use the Japanese terms in explaining these concepts to an English-speaking audience. Confronting this vocabulary in a Japanese setting gives a whole new impact to students’ understanding of the ideas behind the words. Additionally, Japanese writing styles convey a flavor in the material which itself is extremely significant for understanding Japanese culture. This cannot be adequately conveyed in English.

      Bei der Ermittlung der kulturellen Bedeutung ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Gewichtungen der durch die Begriffe abgebildeten Werte und Einstellungen, zum Beispiel bei der Konstruktion von Wahrhaftigkeit, die unter den Grice’schen Kommunikationsmaximen eine zentrale Rolle einnimmt. Im Gegensatz zu der Grice’schen Maxime der Wahrhaftigkeit gilt es in manchen Gesellschaften zum Beispiel als höflich und gesichtswahrend, einem Ortsfremden ausführliche Orts-, Richtungs-, Entfernungs- oder Zeitangaben zu geben, obwohl dem Sprecher das sachlich zutreffende Wissen fehlt und er dies auch weiß. Wenn aber selbst einfachste Standards in interkultureller Kommunikation nicht als gesichert gelten können, scheint das gegenseitige Verstehen stark vom Zufall abhängig. Die explizite Kontrastierung von Eigenem und Fremdem bietet dabei nur eine begrenzte Lösungsmöglichkeit.

      1.3.2 Innen- und Außenperspektive

      Viele Lehrpläne fordern für die Vermittelbarkeit fremder Kulturen nicht nur die Gegenüberstellung unterschiedlicher Perspektiven, sondern auch deren wechselseitige Einnahme durch die Lerner. Die Einnahme der Fremdperspektive (der Innenperspektive des Fremden) liefert dazu die entscheidenden Impulse: „Die Grundstruktur des Verstehens besagt, dass wir uns in Andere versetzen und eine Innenperspektive einnehmen, so dass wir die Welt mit ihren Augen zu sehen versuchen“ (Bredella 2010: 24).

      Die Übernahme der Innenperspektive soll Missverständnisse in der Kommunikation abbauen oder verhindern (siehe Bredella 2010: 101). Zum Verstehen des Fremden reiche das Einnehmen seiner Innenperspektive aber nicht aus. Es müsse immer mit dem Einnehmen einer Eigenperspektive (der Außenperspektive des Betrachters und der Betrachterin beziehungsweise des Lerners) einhergehen, mit der wir „die Welt mit unseren eigenen Augen sehen, um auf das, was sie uns zu sagen haben, antworten zu können“ (Bredella 2010: 24).

      So entstehe ein dialogischer Prozess, der Rückwirkungen auf das Selbstverständnis eines jeden Einzelnen habe und eine Veränderung des eigenen Vorverständnisses mit sich bringe. Die besondere Bedeutung des Einnehmens der Innenperspektive in diesem Prozess sei dadurch begründet, dass sie verhindere, dass der Andere im Verstehensprozess unter bestehende Wertvorstellungen subsumiert werde. Aufgabe des Unterrichts sei es, diesen Perspektivenwechsel anzuregen. Hierin sieht Bredella die Grundlage für den Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht, den er vorwiegend an historischen literarischen Texten illustriert. Der eingängige und auch in der Alltagssprache etablierte Begriff Perspektivenwechsel neigt jedoch zur Verdeckung der Tatsache, dass der beabsichtigte Wechsel mit dem gleichbleibenden Wahrnehmungsapparat erfolgt, in dieser binären, idealisierten Form also kognitionsbedingt kaum möglich ist. Zumal dann nicht, wenn der Lerner / Leser – wie auch bei den Deutungsmustern dargestellt – nicht bereits über das entsprechende Vorwissen verfügt. Bolscho (2005) verweist in diesem Zusammenhang auf die Begrenztheit der Definition von Eigenem und Fremden und führt die intrakulturelle Variationsvielfalt und Binnendifferenz als Gegenevidenz zu binären Fremdheitsmodellen an, wie sie in Arbeiten des Gießener Graduiertenkollegs Didaktik des Fremdverstehens angewendet wurden (Bredella, Christ & Legutke 2000; Bredella & Christ 1995 in Datta 2005; vergleiche auch Brumlik 2006 und Fäcke 2006). Auch würden gesellschaftspolitische Bedingungen der Fremdkulturen nicht thematisiert oder reflektiert (Fäcke 2006: 13). Dass der Lerner durch Kontrastierung verschiedene Perspektiven kennenlernen kann, ist unbestritten, aber ob er sich durch die reine Gegenüberstellung, also ohne den Einfluss seines Vorwissens, willkürlich in die Innenperspektive einer anderen Gesellschaft versetzen kann, ist fraglich (vergleiche Krusche 2002: 389). Es ist empirisch bisher nicht belegt, dass die theoretischen Konzepte in der Lehr- und Lernpraxis funktionieren. Es gibt wenige Studien aus dem Schul- und Studiumsbereich, die interkulturelle Lernziele einer empirischen Überprüfung unterziehen. Hierzu gehören die Arbeiten zur Einstellungsveränderung durch Austauschprogramme. Deren Ergebnisse aber lassen Zweifel daran aufkommen, ob die rein kontrastbasierten, ohne Vermittlungs- und Reflexionsbegleitung auskommenden Austauschprogramme das erreichen, was sie vorgeben. Insgesamt dokumentieren die Studien sogar eher gegenläufige Bewegungen: Ein Mehr an Kontakt und Beschäftigung mit der fremden Kultur führt oft zu einer Verstärkung bestehender Vorurteile und Stereotypen über die fremde Kultur, also einem erschwerten Zugang zur Innenperspektive und einer weiteren Verzerrung der Außenperspektive. Verzerrte Wahrnehmungen der eigenen Kultur sind ein ebenso häufig beobachtetes Ergebnis. Die Verstärkungen bestehender Vorurteile lösen sich unter Umständen erst in späteren Phasen auf, wie eine Forschungsübersicht und die empirischen Ergebnisse der deutsch-japanischen Studie in Sato-Prinz (2011 und Lerneinheit 7.3 in diesem Band) belegen. Durchgängig verweisen die Studien auf die Notwendigkeit guter Rahmenbedingungen und begleitender Vermittlungsprozesse für das Gelingen von Perspektivenwechseln und den Abbau verzerrter Wahrnehmungen (Webber 1996).

      Brière (1986: 205) spricht hier von einem explizit interkulturellen Ansatz im Kulturkontakt:

      The study of a foreign language does not, in itself, automatically offer a way out of ethnocentrism. It is a mistake to believe that contact with a foreign world automatically brings cultural understanding. On the contrary. As Laurence Wylie pointed out about a survey of some junior year abroad programs, ‘students who were somewhat suspicious of what they were about to experience in France returned francophobes. Those who had been curious and eager about their experience became ardent francophiles. Contact simply deepens the feeling you already have.’ […] An explicit intercultural approach is all the more essential […].

      Unter guten Betreuungs- und Vermittlungsbedingungen, wie ihn der interkulturelle Ansatz fordert, stellt Medina (2008) positive Veränderungen in den Einstellungen von Austauschschülerinnen und -schülern bei Aufenthalten in Mexiko gegenüber ihrem Heimat- und dem Gastland sowie ein verändertes Verständnis ihrer eigenen kulturellen Identität fest. Auch Seebauer (2009) verzeichnet ähnliche Verhaltenstendenzen, kann aber keine signifikanten Änderungen vermerken. Coleman (1996) gehört dagegen zu den Skeptikern von Austauschprogrammen. Die Studie zeigt, dass viele Untersuchungen zu vermeintlich positiven Aspekten des Austauschs auf anekdotischer Evidenz basieren (Coleman 1996: 110). Laut Colemans Vergleichsstudie unterschiedlicher Jahrgänge kann davon ausgegangen werden, dass sogar circa 15 % der Studentinnen und Studenten, die im Ausland studieren, mit schlechteren Einstellungen zur fremden Kultur zurückkehren, als sie sie vor der Ausreise hatten. In Lerneinheit 7.3 in diesem Band stellt Manuela Sato-Prinz die neuesten Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Lern- und Veränderungsverhalten von Austauschstudentinnen und -studenten ausführlich dar und diskutiert die gängigen Vorstellungen von Internationalisierungsstrategien kritisch im Lichte dieser Ergebnisse.

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