Habsburgs 'Dark Continent'. Clemens Ruthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clemens Ruthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000539
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      11) Gendering bzw. „Eroticization“ (170ff.): der/die/das Fremde wird sexuell aufgeladen bzw. verweiblicht („the cliché of colonial history“, 171). Die Darstellung folgt „Principles of unveiling and repetition“ (175) und ist einer Dialektik von Angst und Begehren unterworfen.22

      Mit diesen kritischen Kategorisierungsversuchen des Kolonialdiskurses (die paradoxerweise innerhalb der westlichen Academia formuliert worden sind, gleichsam als tool set einer institutionalisierten Selbstkritik) stehen zumindest Anregungen für die folgenden Fallstudien und Detailanalysen zur Verfügung. Sie werden freilich nicht systematisch appliziert werden, um einerseits einen ermüdenden Schematismus, andererseits den Eindruck unreflektierten Transfers bzw. kritikloser ‚Anwendung‘ zu vermeiden und außerdem die Texte zunächst mittels eines close reading für sich selbst ‚sprechen‘ zu lassen.

      Teil B: FallStudien (I)

      Kolonialismus als Vorstellung:

      Stichproben aus der österreichischen Literatur,

      1815–1914

      Abb. 1

      B.0. FrageStellungen:

      „Koloniales Begehren“ in literarischen „Kontaktzonen“

      […] literature […] creates what Williams calls ‚structures of feeling‘ that support, elaborate, and con solidate the practice of

      empire.1

      Die früh verstorbene amerikanische Germanistin Susanne Zantop spricht in ihrer 1997 erschienenen, inspirierenden Arbeit zu „Conquest, Family and Nation in Precolonial Germany, 1770–1880“ von „Colonial Fantasies“, die sie als wirkungsmächtige, aber gleichsam subkutane Kategorie der deutschen Kultur vor deren Übersee-Landnahme in den Jahren nach 1884 ausweist. Jene „Kolonialphantasien“ hätten als Bindeglied zwischen dem Individuum und dem „politischen Unbewussten“ (Frederick Jameson) seiner Zeit gewirkt und seien dabei Vehikel wie auch Triebfeder kolonialer Ideologien:2 „stories of sexual conquest and surrender, love and blissful domestic relations between colonizer and colonized, set in colonial territory, stories that made the strange familiar, and the familiar ‚familial‘.“3

      Zantop sieht also diese Narrative inner- und außerhalb der deutschen Literatur häufig als Liebesgeschichten und Familienromane imaginiert, in denen es Paare, Eltern, Kinder und Geschwister gebe; auf diese Weise hätten sie mitgeholfen, eine nationale Identität zu schmieden („producing not just a ‚family‘“).4 Zusammenfassend heißt es: „Colonial fantasies provided an arena for creating an imaginary community and constructing a national identity in opposition to the perceived racial, sexual, ethnic, and national characteristics of others, Europeans and non-Europeans alike.“5 Auch die Gender-Hierarchien des modernen Europas bräuchten das koloniale Andere als Hintergrund, von dem sie ihre ‚Kultur-Leistung‘ abzuheben trachteten.6

      Zantops Arbeit fokussiert zwar auf die deutsche Kultur vor und nach der wilhelminischen Reichsgründung von 1871. Es scheint aber, dass es dergleichen Kolonialphantasien und Familienaufstellungen – wie erste Stichproben in Teil A. der vorliegenden Arbeit nahelegten – durchaus auch in jenem deutschsprachigen Territorium gibt, das von der staatlichen Vereinigung unter Preußen ausgenommen blieb: das Kaisertum Österreich bzw. (nach 1867) die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.7

      Dies hat jüngst auch der deutsch-amerikanische Germanist Ulrich Bach in einer Studie zu Colonial Utopias8 in Anschluss an das alte Credo der Habsburg-Forschung gezeigt, wonach es keine k.u.k. Kolonien gegeben habe.9 Mutatis mutandis ließe sich aber mit Zantop behaupten, dass „precisely the lack of actual colonialism […] created a pervasive desire for colonial possessions and a sense of entitlement to such possessions“.10 Bach spricht von einem imaginärem Imperialismus, der sich begehrlich auf den „paracolonial space“11 Osteuropas richte; dementsprechend würde etwa im Falle Sacher-Masochs eine „parakoloniale“ Literatur Österreichs mehr reflektieren als „the empire’s ethnic diversity“.12 Ob das so stimmt, soll vorläufig dahingestellt bleiben; fest steht, dass mit jenen kulturellen Kolonialphantasien sehr wohl auch ein Reflexionsmedium der ‚eigenen‘ ethnischen Diversität zur Verfügung steht – und in manchen Fällen sogar ein Kritikforum für den real-existierenden Kolonialismus der Nachbarstaaten „Kakaniens“.

      In diesem Sinne handelt auch der folgende erste Fallstudien-Teil der vorliegenden Arbeit – die in Abschnitt A. entwickelten Frageperspektiven aufgreifend – vom heimlichen kolonialen Begehren in der österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert, aber auch von deren Auseinandersetzung damit. Zu diesem Zweck werden abseits der von der bisherigen Forschung begangenen Bahnen (Kafka,13 Sacher-Masoch,14 Robert Müller15 u.a.) ohne Anspruch auf Vollständigkeit16 drei Stichproben präsentiert, die Positionen und Dimensionen österreichischer Kolonialphantasien (und -kritik) sichtbar machen sollen (während deren Realisierung zumindest ersatzweise in der Landnahme und Administration Bosniens-Herzegowinas 1878–191817 stattfinden wird):

      Franz Grillparzer (1791–1872), so unsere These, widerspiegelt im traumatischen – und proto-kolonialen – Kontakt zwischen ‚zivilisierten‘ Griechen und ‚barbarischen‘ Kolchern die kulturellen Differenzen des Habsburger Reiches und hinterfragt dessen ethnische Hierarchien im 19. Jahrhundert. Peter Altenberg (1859–1919), der sich anlässlich einer sogenannten „Völkerschau“ im Wiener Prater-Zoo 1896 als Advokat der zur Schau gestellten „Aschanti-Neger“ auf der Folie seiner rousseauistisch libert(in)ären Zivilisationskritik geriert, erweist sich zugleich als Gefangener seines eigenen bedenklichen Begehrens für das afrikanische Andere. Alfred Kubin (1877–1959) schließlich, genialer Jahrhundertwendezeichner dunkler Mächte, imaginiert in seinem einzigen Roman Die andere Seite (1908/09) eine Staatssatire des Habsburger Reiches nicht zufällig als koloniales Untergangsszenario in Zentralasien.18

      In Imperial Eyes (1992), einem Standardwerk der Reiseliteraturforschung, hat Marie Louise Pratt von „contact zones“ gesprochen: „spaces where disparate cultures meet, clash, and grapple with each other, often in highly asymmetrical relations of domination and subordination“,19 „usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict“.20 Dieses Prinzip liminaler Kontaktzonen herrscht aber auch im imaginären Raum – ebenso wie im realen Kontext – der untersuchten Texte vor, ob es sich nun um Argonauten und Touristen bei Grillparzer handelt, um die Völkerschauen um 1900 bei Peter Altenberg oder das mitteleuropäische Kolonisationsprojekt bei Kubin. Dabei liegt es wohl auf der Hand, diese Berührungs(t)räume mit dem multiethnischen Alltag der Habsburger Monarchie bzw. ihrem Binnenkolonialismus in Verbindung zu setzen, wie noch zu zeigen sein wird.

      Literatur – so eine erste Arbeitshypothese – fungiert hier als symbolisches Bewältigungsmedium eines immer schwierigeren k.u.k. Differenzmanagements, zugleich aber auch als Erweiterungsphantasie, das dieses in die Weite des geografischen Raums oder der historischen Vergangenheit projiziert – als potenziell unionistischer Diskurs eines anachronistisch werdenden Imperiums in Bedrängnis. Es sind dies koloniale Vorstellungen in zweifacher Hinsicht: als Ideen wie auch als deren virtuelle Performanz in der Versuchsanordnung eines literarischen Als-Ob.

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