Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive. Bernd Sieberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Sieberg
Издательство: Bookwire
Серия: Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300892
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zwischen Nähe und Distanz bleiben folglich ausschließlich die unten in der schematischen Darstellung dieses Modells (fünf Schemata) dargestellten Kriterien in Form von ‚Universalen Diskursverfahren‘ und ‚einzelsprachlichen Merkmalen‘ übrig.

      Um eine entsprechende Analyse an einem Beispiel zu veranschaulichen: Findet man in einem portugiesischen Alltagsgespräch am Ende eines Sprechbeitrags wiederholt die Form não é, oder zwischen den ‚turns‘ der an einem Dialog beteiligten Gesprächsteilnehmer die häufig eingestreute Form pois, lassen sich diese Ausdrücke im Rahmen des Modells dem universalen Diskursverfahren „Engführung der Orientierung“ zuordnen. Dieses Verfahren wiederum kann auf den Umstand zurückgeführt werden, dass Zeit und Raum der Produktion von Äußerungen mit der Zeit und dem Raum der Rezeption dieser Äußerungen zusammenfallen (cf. Axiom des Modells). Dass es unter diesen situativen Umständen prototypischen Nähesprechens für Sprecher und Hörer fast zwingend naheliegt, ein gegenseitiges Verständnis ihrer Äußerungen durch den häufigen Gebrauch entsprechender sprachlicher Formeln – im Portugiesischen u.a. durch die oben erwähnten sprachlichen Ausdrücke pois oder não é – anzustreben, ist logisch und ergibt sich als universal gültige Konsequenz aus dem Axiom des Modells.

      Anders würde es sich verhalten, wenn es nachzuweisen gelte, welcher „Grad der Vertrautheit“ zwischen Sprecher und Hörer besteht – bei Koch / Oesterreicher (2011, 7) eines der ursprünglich vorgeschlagenen Kriterien aus der Gruppe der „Kommunikationsbedingungen“ –, weil es sich hierbei um ein Kriterium handelt, das sich objektiv kaum nachweisen lässt und somit einer operationalisierbaren Anwendung des Modells im Wege stünde.

      Universale Geltung kann das Modell beanspruchen, weil man für alle Sprachen und für die in ihnen stattfindenden Dialoge annehmen darf, dass sie auf gegenseitiges Verständnis ausgerichtet sind und sich am gleichen Diskursverfahren einer ‚Engführung der Orientierung‘ orientieren, auch wenn dabei die sprachlichen Mittel jeweils unterschiedlich ausfallen, durch die sich dieses Diskursverfahren in den unterschiedlichen Sprachen manifestiert.

      Bei der folgenden schematischen Darstellung des Modells von Ágel / Hennig gilt es einige von mir eingeführte Vereinfachungen bzw. Veränderungen zu beachten. Dabei gehe ich davon aus, dass sie die ursprüngliche Form des Models weder sinnwidrig verzerren, noch im Widerspruch zu seinen Grundvoraussetzungen stehen: (a) So handelt es sich um eine vereinfachende Darstellung, die zwei höhere Abstraktionsstufen, die Ágel / Hennig bei der Darstellung ihres Models benutzen (2007, 179), außer Acht lässt. Damit beziehe ich mich auf die in der Hierarchie des Models oberhalb der „Universalen Verfahren der Diskursgestaltung“ angeordneten Ebenen „Universale Parameter der Diskursgestaltung“ sowie „Universale Parameter der Kommunikation“ (Ágel / Hennig 2007, 184sq.). In einem zusätzlichen Schritt verkürze ich mit dem Ziel einer verbesserten Lesbarkeit den Terminus „Universale Verfahren der Diskursgestaltung“ zu ‚Universale Diskursverfahren‘. Dabei bleibe ich bei der ursprünglichen Bestimmung, die Ágel / Hennig für diesen Begriff vorsehen: „Um einen Diskurs bspw. interaktiv zu gestalten, wenden Kommunikationsteilnehmer bestimmte Verfahren an (wie bspw. das Verfahren der Rezeptionssteuerung), die wir deshalb ‚Universale Verfahren der Diskursgestaltung‘ nennen“ (Ágel / Hennig 2007, 185). Diese Definition bleibt auch an dieser Stelle gültig, mit der Einschränkung, dass der Terminus „Universale Verfahren der Diskurgestaltung“ im folgenden Text durch ‚Universale Diskursverfahren‘ ersetzt wird, und dass ich in den folgenden Kapiteln den Ausdruck im Fließtext zudem kleinschreiben und ohne Anführungsstriche darstellen werde. (b) Die Schemata weiter unten, die das ‚Universale Axiom‘ des Models, seine ‚Universalen Diskursverfahren‘ sowie die ihnen entsprechenden ‚einzelsprachlichen Merkmale‘ der portugiesischen Sprache7 zuordnen, bilden die Grundlage für die Gliederung dieser Arbeit und spiegeln sich ebenfalls im Inhaltverzeichnis des Buches wider. (c) Die Bezeichnungen für die verschiedenen universalen Diskursverfahren – wenn man von dem an dieser Stelle vereinfachten Terminus ausgeht – übernehme ich weitgehend und zum Teil wörtlich von Ágel / Hennig (2007, 189sqq.). Die Benennungen der einzelsprachlichen Merkmale hingegen, die in den Schemata jeweils den universalen Diskursverfahren zugeordnet sind, richten sich nach den thematisierten sprachlichen Phänomenen sowie den Begriffen und Termini, die auch in der portugiesischen Fachliteratur zur ihrer Kennzeichnung benutzt werden. Im Inhaltsverzeichnis dieser Arbeit erscheinen universale Diskursverfahren und sprachliche Merkmale als Titel und Untertitel der Kapitel, in denen sie erörtert werden. Für ein angemessenes Verständnis bei der Lektüre des Buches sollte der Leser also sein Augenmerk auf die Übereinstimmungen richten, die zwischen den in den folgenden Schemata des Modells genannten universalen Diskursverfahren und sprachlichen Ausdrucksmitteln einerseits, und der Inhaltsgabe und den in den Kapiteln des Buches thematisierten Inhalten andererseits, bestehen. (d) Im Zusammenhang mit der Analyse von kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ interpretiere ich das Axiom des Modells in dem Sinn, dass sich ihm auch der Begriff eines ‚virtuellen Raums‘ (Internet) sowie einer ‚subjektiv empfundenen Zeit‘ zuordnen lassen – letztere ist als empfundener Zeitmangel kennzeichnend für im Internet kommunizierende ‚User‘ und charakterisiert ihre rasch ablaufenden Routinehandlungen am Computer. Auch andere Faktoren, die als spezifische Rahmenbedingungen das Funktionieren einer ‚keyboard-to-screen communication‘ steuern, wie z.B. die Möglichkeit des Postens von Retweets oder zitierten Tweets beim Twittern, lassen sich m.E. in dieses erweiterte Modell integrieren und helfen, den Gebrauch bestimmter sprachlicher Ausdrucksmittel des Nähesprechens zu verstehen.

      Die folgenden fünf Schemata veranschaulichen den Zusammenhang zwischen dem „Universalen Axiom“ des Modells des Nähe- und Distanzsprechens ‚Zeit/Raum der Produktion = Zeit/Raum der Rezeption einer Äußerung‘ und den Analyseparametern ‚Rolle‘, ‚Zeit‘, ‚Situation‘, ‚Code‘ und ‚Medium‘, im Rahmen derer sich die Interpretation der jeweiligen ‚Universalen Diskursverfahren‘ anbietet. Darüber hinaus listen diese Schemata die ‚sprachlichen Merkmale‘ des Portugiesischen auf, in denen sich diese Verfahren manifestieren.

       Schema zum Parameter ‚Rolle‘


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Universale Diskursverfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen
Kontaktherstellung zwischen P und R a) Ausdrücke und Gesten zur Kontaktherstellung b) Anrede-/Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln
Sequenzierung der Rede a) Organisation des ‚turn-taking‘ durch Einsatz von Rederechtsmitteln b) Verschiedene Formen der Adjazenz, die oft elliptische Strukturen zur Folge haben, Wiederaufnahme oder Fortsetzung von Teilen der vorausgehenden Äußerung des Gesprächspartners bzw. elliptische Paarformelen in Frage-Antwort Sequenzen.
Engführung der Orientierung a) Sprachliche und tonale Zeichen zur Engführung, die nach Aufmerksamkeit suchen, Aufmerksamkeit anzeigen oder Verständnis bzw. Nichtverstehen signalisieren. b) Adjazente Strukturen der Wiederholung und Fortführung von Teilen der Äußerung des Gesprächspartners.
Formen aggregativer Rezeptionssteuerung a) Operatoren in ‚O-SK-ST‘: Sie leisten eine zusätzliche Verstehensanleitung zu der Aussage, die im ‚Skopus‘ der jeweiligen Aussage steht, auf die sie sich beziehen; sie explizieren die gemeinte Sprechhandlung; sie geben die subjektive Einschätzung des Sprechers zum Ausgesagten wieder und nuancieren auf diese Weise die Kraft der im Skopus übermittelten Illokution; sie verdeutlichen die formale Gliederung der Elemente in einer Sprechsequenz. b) Tópicos Marcados heben im Portugiesischen Teile der Sprechsequenz hervor und rücken sie in den Aufmerksamkeitsfokus des Hörers. c) Construções de Clivagem heben ebenfalls Teile der Sprechsequenz hervor und rücken sie in den Aufmerksamkeitsfokus des Hörers.