Bauern, Land. Uta Ruge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uta Ruge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783956144165
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dem Platz war für Futterdiele und Vieh. Unser Lehrer hielt nur noch ein paar Hühner und Schafe, für die er von den Bauern traditionell Heu und Stroh bekam. Am wichtigsten war allerdings die Torflieferung an den Lehrer durch die Bauern, das Heizmaterial für seine Wohnung und unsere Schulstube.

      Seit 1860 wurde auch im Sommer unterrichtet – zumindest durften Kinder über elf Jahre, deren Kenntnisse als ausreichend angesehen wurden, zwölf Stunden wöchentlich zur Schule kommen, täglich zwei Stunden.

      Ich erinnere mich an die Auflösung der Schule in den 1960er-Jahren, als solche dörflichen Zwergschulen geschlossen wurden. Schulmöbel, Landkarten und die Bücher der Leihbibliothek aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Volksbibliothek genannt, sollten versteigert werden. Die alten Bücher waren in einem so guten Zustand, dass man sofort begriff, dass weder die Erwachsenen des Dorfs noch die Kinder jemals Zeit zum Lesen gefunden hatten. Tatsächlich war das Lesen noch in meiner Familie als Zeitverschwendung angesehen worden. Schließlich hätte man zur selben Zeit im Stall, im Haus oder auf dem Feld helfen können – und es eigentlich auch gemusst.

      11. KAPITEL

      DAMALS

       Kinderarbeit und Kinderträume. Was wir mit dem Körper lernten und dass Arbeit getan werden musste.

      WIR LIEFEN MIT. Im Stall und auf dem Feld. In Gummistiefeln und barfuß. Immer den Eltern hinterher. Wir waren dabei, wenn sie Kartoffeln legten, wenn sie Runkelrüben setzten, Steckrüben verzogen und Unkraut hackten. Wir waren beim Mähen und Wenden des Grases, beim Aufstellen der Getreidegarben in Hocken dabei, beim Aufladen von Heu, Kartoffeln, Rüben, beim Abladen der Wagen, Einbringen der Ernte, beim Melken und beim Treiben der Rinder von einer Weide zur anderen, beim Füttern der Schweine, Hühner und Enten, beim Schlachten und Rupfen und Ausnehmen des Geflügels, beim Kalben der Kühe und Ferkeln der Sauen, beim Ausmisten und Einstreuen, beim Zäunebauen, Düngerstreuen, Mistaufladen und -verteilen. Und wir waren auch dabei, wenn unsere Mutter anfangs immer wieder versuchte, ein Stück Garten zu kultivieren, wenn sie die Erde umgrub und harkte, an Anfang und Ende einer Reihe kurze Pflöcke in die Erde steckte, an die sie eine Schnur band und an ihr entlang mit dem Hackenstiel Rinnen in die vorbereitete Erde zog. Und in diese Rinnen streute sie aus kleinen Tütchen den Samen und spießte die leere Tütchen mit den kleinen Bildern von Kopfsalat, Mohrrüben, Radieschen, Bohnen und Erbsen an den Pflöcken auf, damit man wusste, wo was gesät war.

      Wir gingen zur Hand. Mit dem Eifer kleiner Kinder. Spielerisch, begeistert.

      Schleppten für sie den Eimer herbei, die Forke, die Kiepe, die Schaufel. Halfen beim Viehtreiben, riefen den Tieren und einander etwas zu, klopften dem Hund die Flanke, streichelten die Katzen, gossen ihnen Milch in die Näpfe. Und verloren uns dann, als wir noch klein waren, auch schnell in einer Einzelheit auf dem Weg zwischen dem einen und dem anderen, blieben stehen oder setzten uns hin, sahen Ameisen über den Weg krabbeln oder Hummeln über den Blüten der Wiese brummen und sahen dem Storch zu, der hinter dem Heuwender herging und Mäuse und Frösche aufspießte, untersuchten das Gewölle von Eulen, probierten, den Maulwurf unter der Erde zu finden, oder lagen im Gras und sahen den ziehenden Wolken nach, bis das Wasser für die Kälber in der Zinkwanne überlief – rannten los, den Wasserhahn zu schließen.

      Manchmal zog ich mich zurück. Wie jedes Kind wollte ich für mich sein, ohne die Erwachsenen und ihre Ansprüche, wollte nichts von ihnen sehen und hören. Dann ging ich, wenn es Winter war, auf die große Diele und setzte mich in das zur nächsten Fütterung aufgeschüttete Heu. Dort lag meistens schon die alte Katze, die vor uns auf dem Hof gewesen ist, oder sie kam, wenn sie mich hatte kommen hören. So saßen wir dann im Blickfeld der wiederkäuenden Kühe und ich sprach mit der Katze und streichelte sie, die sich schlängelnd und drehend ganz an mich und meine Hände drückte. Manchmal aber waren mir dann auch sie und die Gegenwart der Kühe zu viel und ich schubste sie weg und verließ die Diele, wollte eindeutiger und gründlicher für mich sein, denn auch die Tiere ließen mich nicht ganz frei, erinnerten mich an die Arbeit, die man mit ihnen hatte. Ich öffnete dann die kleine, ins große Dielentor eingeschnittene Tür und schlüpfte hinaus in die benachbarte Scheune, in der ich dann hoch oben auf das Stroh kletterte. Dort saß oder lag ich, umgeben nur von Stroh und Staub und Spinnweben und manchmal einem Rascheln, von dem ich annehmen wollte, dass es von Mäusen stammte, auch wenn ich wusste, dass es Ratten waren. Wahrscheinlich blieb ich gar nicht lange dort, denn es war ja kalt. Und doch war es eine kleine Ewigkeit da im Stroh, in die ich versank und die mich ein wenig träumen ließ.

      Im Sommer ging ich zum Alleinesein in den Buschhof. Dort lag am Rande der von Eichen umstandenen Kälberwiese und unter Holunderbüschen, in die sich Efeu und wilde Brombeeren gerankt hatten, allerlei altes Gerät, von wucherndem Kraut und Brennnesseln fast überwachsen. Da waren ein altertümlicher, inzwischen schon fast völlig verrosteter und in seine Bestandteile zerfallender Pflug, ein zusammengebrochener Ackerwagen, der einfach in den Busch geschoben worden war, auf dass ihn vielleicht irgendwann später jemand ausschlachten würde. Das Eisenband, das um seine hölzernen Räder lief, war bald verrostet, und das Holz der Räder, das durch die beständige Feuchtigkeit aufgequollen war, drängte sich unter dem Eisenband hervor, platzte sozusagen aus der Naht. Übereinandergeschichtet lagen da alte Eggen, denen Zähne fehlten oder die zu klein geworden und längst durch größere ersetzt worden waren. Durch sie hindurch wuchs Unkraut, und daneben gab es anderes veraltetes Gerät aus der Zeit der vorherigen oder vorvorherigen Besitzer – auch die Reste eines hölzernen Bocks, inzwischen schwarz und bröckelnd, auf den einmal Stroh zum Häckseln oder gar noch Flachs zum Brechen gelegt worden war. Die dazugehörigen Schneiden, verrostet, gekrümmt oder gerade, gezähnt oder von dünnlippiger Gefährlichkeit, lagen eingewachsen in wucherndes Gras und Gestrüpp.

      Deshalb sah unsere Mutter es nicht so gerne, wenn wir Kinder uns im Busch herumtrieben. Aber so ganz verboten war es nicht.

      Einmal im Frühling entdeckte ich, im frisch belaubten Gebüsch hockend und eigentlich vertieft in den Anblick der Farne, die dort schon üppig wuchsen, eine für mich ganz neue und eigenartige Pflanze. Still und bleich ragten Stängel aus dem Boden, kleine Röhren waren es, oben gekrönt von einem braunen, länglichen Puschel. Mir waren diese Stängel in ihrer Blässe ein bisschen ekelhaft, und gleichzeitig zogen sie mich wegen ihrer Fremdheit auch an. Anfassen wollte ich sie nicht. Und sie waren auch kein bisschen schön. Nein, ich wollte sie nicht pflücken. Sie waren einfach nur ganz für sich, waren nicht einmal recht was fürs Auge, waren nur da, und nichts an ihnen blühte oder wiegte sich in dem leichten Windhauch, in dem sogar die schweren Farne hier nahe der Erde sich ab und zu ein wenig bewegten. Starr und ergeben standen sie in der feuchten, moorigen Erde. Aus der Hocke brachte ich mein Gesicht nahe an sie heran. Alle paar Zentimeter umlief jeden Stängel ein brauner Ring aus winzigen, an den Hauptstamm geklebten Blättchen. Sie waren, so kam es mir vor, stiller und stummer als andere Pflanzenstängel, die nicht nur überhaupt grün waren und sich mal glatt, mal pelzig anfühlten, mal geriffelt, kantig oder rau waren, sondern aus denen auch Nebenästchen herauswuchsen und sie so überhaupt erst zu einer ordentlichen Pflanze machten.

      Meine Aufmerksamkeit ließ langsam nach und mein Blick ging wieder zu den Farnen, von denen ich wusste, wie riesig groß sie im Sommer an diesem Standort werden würden, sodass ich mir wieder einmal vorstellte, dass man, wäre man nur ein wenig kleiner, sich unter ihnen verstecken könnte. Da würde ich mir dann aus dem Moos, das überall an den Füßen der Stämme hier wuchs, eine Art Nest bauen, das ich zu einer kleinen Zwergenwohnung würde ausstatten können, mit Blättern und Ästen und Stückchen von trockenem Holz und Rinde, um im Sommer die hellen, sauren Wildkirschen da hineinzusammeln und im Herbst die in so großer Fülle von den Bäumen fallenden Eicheln. Nur die braunen schwammigen Pilze, die schlecht riechend auf absterbendem Holz wuchsen – und die Hallimasch hießen, wie ich später lernte –, würde ich nicht anfassen, genauso wenig wie die bleichen Stängel.

      Ich stand aus der Hocke wieder auf und bewegte mich leise und langsam weiter durch das Gebüsch, war Zwergin, Indianerin, vermied es, auf die trockenen Zweige zu treten, damit es nicht knackte und keine Feinde auf mich aufmerksam würden. Die Vögel sahen oder hörten mich dennoch und warnten. Aber das störte mich nicht, im Gegenteil, das gehörte nun zu meinem Urwaldgefühl dazu, auch die Vögel