Eine der grundlegendsten Einschränkungen für eine effektive Landwirtschaft, so heißt es, waren Fragen des Grund und Bodens, die herrschende Kombination von Flurzwang, Dreifelderwirtschaft und Allmende.
Dreifelderwirtschaft bedeutete, einen Acker im einen Jahr mit Sommergetreide zu besäen, im nächsten Jahr mit Wintergetreide und im folgenden Jahr brach liegen zu lassen; auf der Brache durfte das Vieh grasen und seinen kostbaren Dung hinterlassen. Durch den Flurzwang mussten die Bauern eines Dorfs oder einer Herrschaft alle gleichzeitig dieselben Getreide- und Erdfrüchte säen und pflanzen und im Herbst auch ernten bzw. reihum die Äcker als Brachen liegen lassen. Keiner sollte dem anderen voraus sein, die fehlenden Wege und Überfahrtrechte zu den weit über die Fluren verteilten Äckern machten solche Uniformität sinnvoll. Aber die Entwicklung neuer Saaten und Sorten, Methoden des Anbaus und der Ackerpflege blieben dadurch aus. Und weil sich zudem die Einteilung der Felder von Jahr zu Jahr änderte, machte sich keiner die Mühe, ›seinen‹ Boden zu verbessern.
Ein weiteres großes Problem war das Hutungsrecht, also das Recht aller, seine Gänse, Schweine, Schafe und Rinder jederzeit auf den Gemeindewiesen und Brachen zu weiden. Das wohlwollende Prinzip der Allmende war mit wachsender Armut einer immer größeren Regellosigkeit gewichen, in der sich nur noch die Stärkeren durchsetzten. Unter dem Titel »Von dem geringen Nutzen gemeiner Hut und Weiden« zählte die Zeitschrift »Neues Hannoverisches Magazin« 1801 sieben Punkte auf, die zeigten, wie sehr diese Praxis inzwischen die Gemeinschaft selbst schädigte. Überall würden Maulwürfe Gras verschütten, Pfützen und Kuhlen würden nicht entwässert, sodass nur schlechtes oder gar kein Gras wüchse, allerlei Disteln, Binsen und Schilf fände sich ein, die sich durch ihre Samen immer weiter verbreiteten und vom weidenden Vieh immer stehen gelassen würden, während »die guten, nahrhaften Kräuter« schon vor dem Aussamen gierig abgenagt würden und sich deshalb nicht fortpflanzen könnten. Beklagt wurde auch, dass die Schweine des Dorfs den Anger unkontrolliert umwühlten, Gänse das Gras mit den Wurzeln ausrissen und ihren ätzenden Mist überall fallen ließen und Schafe das Ganze zusätzlich verdürben durch ihren Gestank und ihren Biss bis zur Wurzel. Überdies sei den Rindern und Pferden »deren Miste eckelhaft und zuwider«, und sie könnten dort nicht mehr geweidet werden.
Behördliche Anordnungen zur Abstellung solcher Missstände waren meist von kümmerlicher Art, und so drängten die Experten – darunter Albrecht Daniel Thaer – auf eine schnelle Abschaffung oder wenigstens Einschränkung von Flurzwang und Huterecht.
Zur Verbesserung der Ernten war außerdem der Schutz vor pflanzlichen und tierischen Schädlingen dringend geboten. Unkraut- und Mäusebefall konnten eine Ernte derart schmälern, dass für den Menschen kaum noch etwas übrig blieb. Die Behörden wiesen bei schwerem Befall durch ein Kraut dann wohl an, dass jeder, »welcher dergleichen Land besitzt oder in Pacht hat, ohne Unterschied, er sey von was Stande oder Würden er wolle«, die Pflanzen auszureißen habe, und kündigten Kontrollen durch »Feld-Geschworene« an. Und einer Mäuseplage will man dadurch Herr werden, indem man zu etwa acht Kilogramm »Gersten- oder Weitzenmalz ein halbes Pfund feingepulvertes Arsenicum« hinzugibt, mit Wasser anmischt, daraus Kugeln formt, »einer guten Muscatnuß groß«, und die Kügelchen in die Mäusegänge steckt, während man Ratten bekämpfte, indem man sie mit Getreide in einen geschlossenen Hof lockte, ihnen den Rückweg versperrte und sie erschlug. »Ein Abend hintereinander wiederholt man diese traurige Mordgeschichte«, wurde angewiesen, so müsse man sich dann immerhin nicht mit dem »unerträglichen Geruch« herumschlagen, mit dem vergiftete Ratten die Luft in Häusern, Ställen und Scheunen oft Monate lang »infizieren«. 1802 wurden Sperlinge als besondere Schädlinge ausgemacht, und da, wie im »Hannöverschen Magazin« steht, die üblichen Vogelscheuchen hier nichts bewirken, soll »jeder Besitzer eines Hauses auf dem platten Lande, in den Sand-Gegenden sowohl als in den Klei*-Gegenden«, im Kampf gegen die Sperlingsplage »6 Stück Sperlinge«, und zwar ihre Köpfe, zwischen dem »1.sten Februar bis zum 1.sten Mai dieses Jahres« abliefern.
Als Thaer mit seiner Musterwirtschaft in Celle begann, war all dies noch im Schwange. Seine große Tat war eine neue Logik der Planung und Bewirtschaftung. Nicht mehr das Dorf stand als die kleinste landwirtschaftliche Einheit im Mittelpunkt, sondern der einzelne Betrieb. Als Praktiker nutzte er seine eigene Brache, die nicht mehr die Brache des ganzen Dorfs war, um Futterpflanzen und Hackfrüchte wechselweise anzubauen. Er zeigte, dass mit dieser Art Fruchtwechsel, Getreide und Rüben, später auch Kartoffeln, selbst ohne Brache gute Erfolge erzielt wurden. Und durch den Einsatz neuer Geräte und Maschinen konnte bei ihm oft mehr vom Feld geholt werden, weil es schneller ging und einem seltener die Ernte noch in letzter Minute verhagelte oder einregnete. Als Arzt empfahl er zudem die langsam aufkommende Kartoffel als Nahrungsmittel und bescheinigte ihr, dass sie eine vollwertige Ernährung für die Bevölkerung sei.
Von nah und fern kamen Grundbesitzer und Gutsherren – nur sie konnten seine Schriften lesen und hatten Zeit und Geld, um zu reisen –, besuchten das cellesche Mustergut und hatten tausend Fragen. Thaer begegnete dieser Anforderung, indem er zu festen Terminen kleine Fragestunden abhielt, 1799 die »Annalen der Niedersächsischen Landwirthschaft« gründete und dort Fragen und Antworten publizierte. Schließlich eröffnete er 1802 das erste landwirtschaftliche Lehrinstitut. Auch ging er bald selbst viel auf Reisen, fuhr nach Mecklenburg, Holstein und Brandenburg, stieß auf viele ungelöste Probleme von Ackerbau und Viehzucht, machte neue Erfahrungen in Bodenbearbeitung und Gerätegebrauch, führte Experimente in Woll- und Milchviehbehandlung, Pflanzen- und Tierkrankheiten durch, und er überzeugte sich von der Notwendigkeit, bessere Samen zu züchten. Er las und schrieb unermüdlich, berichtete auch über seine Misserfolge, was ihn bei Praktikern besonders glaubwürdig machte.
Tatsächlich war unter dem Bevölkerungsdruck in Europa eine Zeit permanenter Erforschung und Anwendung neuer landwirtschaftlicher Erkenntnisse angebrochen. Es war die hohe Zeit der Beobachtung und Beschreibung von Ursache und Wirkung. Thaer hatte bei den Versuchen auf seinem Celler Mustergut und bei den Reisen im ganzen Land bald begriffen, dass es auf die Art des Bodens ankam, welche Feldfrüchte dort mit welchem Erfolg angebaut werden konnten. Regeln konnten immer nur für einen bestimmten Standort gelten und nicht für einen anderen. Auch auf den Rhythmus des Anbaus kam es an. Zuerst hatte er eine durch Kleeanbau verbesserte Dreifelderwirtschaft versucht, dann kam er auf einen vierschlägigen Fruchtwechsel – Wintergetreide, Hackfrüchte, Sommergetreide, Klee. Damit erreichte Thaer einen um 30 Prozent höheren Ertrag, denn der Wechsel von Halm- und Blattfrucht verbesserte den Bodenhumus, der Boden hielt besser die Feuchtigkeit, weniger Insektenbefall war die Folge. Klee und Kleeheu kamen außerdem den Kühen zugute, die auch im Sommer im Stall gehalten wurden, damit der Dung wirksamer gesammelt und auf den Feldern verteilt werden konnte. Die Fruchtbarkeit des Bodens verbesserte sich, und das Einarbeiten des Mists bekämpfte gleichzeitig das Unkraut, während es die Erde für die nächste Einsaat vorbereitete. Die Milch der Kühe war für die Bauern weniger wichtig als die männliche Nachzucht, die nächste Generation von Spannvieh, die Ochsen vor dem Pflug.
Wollte man die anwachsende Bevölkerung ernähren, musste in der Landwirtschaft wirklich alles neu bedacht werden. Vielleicht konnte ein Außenseiter am ehesten die Dinge ohne Vorurteile betrachten – und verändern. Schon früh hatte Thaer geschrieben: »Der Instinkt des Menschen überhaupt ist: nach der Vernunft handeln. Er muss sich bei jeder Erscheinung Ursache und Wirkung denken.«
6. KAPITEL
ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS
Protokolle der Moorkonferenzen reisen per Pferdekutsche nach London. Die ersten Anbauer, Aschedüngung und Buchweizensaat.
WENN DIE HANNOVERSCHE REGIERUNG ein neues Dorf plante, wurde als Erstes das Land vermessen. Man prüfte die Boden- und Wasserverhältnisse, wandte die neuesten Methoden der Kartierung an und zeichnete Landkarten. Aus diesen Aufzeichnungen wurden Akten, und aus Akten wurden Aktenberge. Immer mehr Ämter wurden mit immer mehr Untersuchungen beauftragt und um Gutachten gebeten. Die sich ansammelnden »Promemoria«, »Protocolle« und »Rescripte« wurden gebündelt und der nächsthöheren Behörde vorgelegt.
Wer die originalen Dokumente aus den Archiven gräbt, trifft auf dicke Papierstöße in dünnen blauen Aktendeckeln,