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Die Verwaltungsgerichte werden bei belastenden Maßnahmen der Verwaltung stets als erstes die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage im Gesetz stellen. Es besteht zwar kein Totalvorbehalt in dem Sinne, dass jegliches Verwaltungshandeln sich auf ein Gesetz stützen lassen müsste. Sobald jedoch in Grundrechte eingegriffen wird, bedarf es einer ihrerseits verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage. Der Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalt wurzelt im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und lässt sich im Sinne eines hierarchisch verstandenen Gewaltenteilungsgrundsatzes als Überordnung des Parlaments gegenüber der Verwaltung deuten. Da die Verwaltungsgerichte jedoch auch das in Rede stehende Parlamentsgesetz auf seine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht – insbesondere der Verfassung – überprüfen, enthält der Gesetzesvorbehalt jedenfalls nur zum Teil eine Unterordnung der rechtsprechenden Gewalt unter die rechtsetzende Gewalt. Möglicherweise ist das Verhältnis der Gewalten zueinander ohnehin besser mit „checks and balances“ beschrieben als mit hierarchisch angelegten Über-Unterordnungsvorstellungen. Jedenfalls ist die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage im Gesetz in aller Regel die maßgebliche Leitfrage für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Ferner wird jegliches Verwaltungshandeln im Bereich der Eingriffsverwaltung am Verhältnismäßigkeitsprinzip gemessen. Es geht dabei im Kern um die Frage nach einer Zweck-Mittel-Relation. Das von der Verwaltung eingesetzte Mittel darf nicht außer Verhältnis zum Zweck einer Verwaltungsmaßnahme sein. Die hierzu entwickelte Struktur ermöglicht eine kleinteilige Überprüfung des Verwaltungshandelns, indem nach der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Verwaltungshandelns im Verhältnis zum seinerseits rechtmäßigen Zweck gefragt wird.[109]
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Mit Blick auf die weite Konzeption eines Auffanggrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG kann das BVerfG jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung zur Superrevisionsinstanz mutieren, weil jede unzutreffende Rechtsanwendung durch die Fachgerichte zugleich auch das Grundgesetz verletzt. Durch verschiedene Mechanismen versucht das BVerfG indessen, eine Grenzlinie zwischen der spezifischen Verletzung des Grundgesetzes und der richtigen Interpretation des einfachen Rechts zu ziehen.[110]
d) Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichtsbarkeiten
und ihre Lösungsformen
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Für alle Gerichte in Deutschland legt das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) übergreifende Grundsätze fest.[111] So ist beispielsweise nach § 184 GVG die Gerichtssprache deutsch.[112] § 17a Abs. 1 GVG trifft für Zuständigkeitskonflikte die Festlegung, dass wenn ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt hat, andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden sind. Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, so hat nach § 17a Abs. 2 GVG ein Gericht dies von Amts wegen auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.
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Eine institutionelle Lösung, wie sie beispielsweise im französischen Recht seit 1848[113] mit dem Tribunal des conflits für Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht,[114] kennt das deutsche Recht damit nicht (mehr[115]). Zwar besteht mit dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) eine Institution, die übergreifend Gegensätze zwischen den Gerichten klären soll.[116] Vertreten sind darin neben dem Bundesgerichtshof (Zivil- und Strafsachen) und dem Bundesarbeitsgericht mit dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundessozialgericht und dem Bundesfinanzhof gleich drei Verwaltungsgerichte,[117] das BVerfG ist nicht vertreten. Der außerordentlich selten aktivierte Gemeinsame Senat dient jedoch in erster Linie der Klärung sich übergreifend stellender materieller Fragen mit dem Ziel der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.[118]
e) Funktionale Äquivalente der Verwaltungsgerichtsbarkeit
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Verwaltungsgerichtliche Funktionen und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind nicht zwingend deckungsgleich. Bestimmte verwaltungsgerichtliche Funktionen können durch die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder durch ein Verfassungsgericht wahrgenommen werden.
aa) Verwaltungsgerichtliche Funktionen und ordentliche Gerichtsbarkeit
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In Deutschland besteht auf Ebene des Grundgesetzes eine wichtige Weichenstellung zu einem nicht unbedeutenden Aspekt von Rechtsschutz gegen die Verwaltung. Die Verfassung trifft in Art. 14 Abs. 3 GG seit 1949 die Festlegung, dass bei Enteignungen Streitigkeiten über die Höhe der Enteignung (Entschädigungsstreitigkeiten) vor den ordentlichen Gerichten auszutragen sind. Dadurch wird – an sich systemfremd – eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit den Zivilgerichten zugewiesen. Die Aufspaltung des Rechtswegs ist einer der Gründe für die Komplexität des deutschen Staatshaftungsrechts.
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Die Gründe für die Zuweisung in Art. 14 Abs. 3 GG mögen in einer 1949 noch bestehenden Unsicherheit über die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsgerichte liegen, die sich bis dahin ja noch nicht umfänglich bewährt hatten und gegenüber der ordentlichen (sic!)[119] Gerichtsbarkeit weniger etabliert waren. Die Formulierung ist ansonsten auch historisch erklärbar,[120] sie ist an die Vorläuferbestimmung in der WRV angelehnt, die bereits den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im Zusammenhang mit Enteignungen vorsah (Art. 153 WRV).[121] Als Begründung für die Befassung der Zivilgerichte mag im Übrigen gelten, dass Schadensersatzfragen und die damit verbundenen Kausalitäts- und Berechnungsprobleme zum Alltagsgeschäft der Zivilgerichte gehören.[122] Gegen die Zuweisung an die ordentlichen Gerichte spricht freilich die komplikationsträchtige Doppelspurigkeit des Rechtswegs.[123] In Italien hat man nicht zuletzt deswegen im Jahre 2000 die bis dahin bestehende mit Deutschland vergleichbare Doppelspurigkeit in Staatshaftungsfragen zugunsten einer Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte aufgegeben.[124]
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Thematisch verwandt ist die einfachgesetzliche Zuweisung in § 40 Abs. 2 VwGO. Danach ist der ordentliche Rechtsweg für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, gegeben, ferner auch für Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung. Diese Zuweisung ist in Teilen wiederum verfassungsrechtlich durch das Grundgesetz seit 1949 vorgegeben. Art. 34 Satz 3 GG legt für Amtshaftungsansprüche fest: „Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“ Die Zuweisung erklärt sich ursprünglich wohl auch aus der Nähe der fraglichen Ansprüche zu typischen privatrechtlichen Ansprüchen im Bürger-Bürger-Verhältnis, dieses Motiv ist mittlerweile indessen überholt. In das Themenfeld des Enteignungs- und Staatshaftungsrechts gehören auch speziellere einfachgesetzliche Zuweisungen wie bundesrechtlich in § 21 Abs. 4 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), der bei Streitigkeiten über die Entschädigung nach Widerruf einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auf den ordentlichen Rechtsweg verweist, oder auf landesrechtlicher Ebene die jeweiligen Bestimmungen im Polizei- und Ordnungsrecht zu Entschädigungen bei Maßnahmen der Polizei- oder Ordnungsbehörden.[125]
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Im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) legt § 23 EGGVG fest, dass das Handeln von Justizbehörden auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege durch die ordentlichen Gerichte überprüft wird. Das Gleiche gilt für Handlungen der Vollzugsbehörden im