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Durch die Verfassung ist für Fragen der Entschädigung bei Enteignung der ordentliche Rechtsweg vorgegeben.[96] Nach Art. 14 Abs. 3 GG steht im Falle einer Enteignung „[w]egen der Höhe der Entschädigung [. . .] im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen“. § 40 Abs. 2 VwGO versucht, Staatshaftungsfragen an dieser Vorgabe zu orientieren: „Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.“ Der Gesetzeswortlaut lässt erkennen, dass die Zuständigkeit im Einzelfall doch schwieriger zu bestimmen ist, als es Art. 14 Abs. 3 GG bei oberflächlicher Betrachtung suggeriert. Hier spiegelt sich die historisch gewachsene Mehrgleisigkeit des deutschen Staatshaftungsrechts wider. Nicht selten hängt von der Einordnung der geltend gemachten Entschädigung der Rechtsweg ab, sie muss entsprechend vorab erfolgen. So kann bei einem Entschädigungsanspruch zweifelhaft sein, ob es sich um einen Aufopferungsanspruch oder einen Anspruch auf Ausgleich für eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt, wobei für ersteren der ordentliche Rechtsweg, für letzteren der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.[97]
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Der Regierungsentwurf zur VwGO sah noch eine Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, was aber aufgrund „massiver Lobbyarbeit führender Repräsentanten der Zivilgerichtsbarkeit“ verhindert wurde.[98] Die heute etablierte und konsolidierte Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtfertigt eine solche Rechtswegaufspaltung an sich nicht mehr. Als Erklärung für ihren gleichwohl gegebenen und mit der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für das Vergaberecht und das Regulierungs- und Kartellverwaltungsrecht sogar eher noch ausgebauten Fortbestand erscheint ein Misstrauen der Politik gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit am Wahrscheinlichsten.
b) Positionierung zur Verfassungsgerichtsbarkeit
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Die Abgrenzung zur Verfassungsgerichtsbarkeit auf der Zuständigkeitsebene erfolgt zunächst einmal anhand des gesetzlich niedergelegten Kriteriums der „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art“ (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist dabei für die Annahme einer Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art die doppelte Verfassungsunmittelbarkeit. Danach geht es um unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte, die um Rechte oder Pflichten unmittelbar aus der Verfassung streiten. Daneben nimmt Art. 93 GG ausdrückliche Zuweisungen an das BVerfG vor.
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Die Verwaltungsgerichte sind demnach für die nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten zuständig. Diese Abgrenzung und die formale Zuständigkeitsbeschreibung und ‑gegenüberstellung als Verwaltungs- bzw. Verfassungsgericht[99] lässt indessen nicht erkennen, dass auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit in erheblichem Umfang mit Verfassungsrecht „hantiert“.
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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit darf alle verfassungsrechtlichen Fragen stellen und sogar die Verfassungsmäßigkeit eines Parlamentsgesetzes am Maßstab der Verfassung prüfen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Verwaltungsgerichte alles staatliche Handeln auch verwerfen könnten. Für Gesetze (erst recht verfassungsändernde Gesetze) verfügt das BVerfG über das Verwerfungsmonopol. Falls ein Verwaltungsgericht – die Regelung gilt freilich für alle Gerichte in Deutschland – ein Gesetz für verfassungswidrig hält, sieht Art. 100 Abs. 1 GG zwingend die Richtervorlage vor, mit der die Frage unter Aussetzung des Ausgangsverfahrens zum BVerfG gelangt, das dann auch Gesetze für verfassungswidrig und nichtig erklären kann.
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Wird verfassungswidriges Verwaltungshandeln von den Verwaltungsgerichten zu Unrecht nicht beanstandet, wird auch das verwaltungsgerichtliche Handeln verfassungswidrig. In einem solchen Fall richtet der Einzelne seine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG an das BVerfG sowohl gegen das ursprüngliche Verwaltungshandeln wie auch gegen das dieses – zu Unrecht – bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil.
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Insoweit steht das BVerfG über den Verwaltungsgerichten, auch über dem BVerwG. Das mit diesem Über-/Unterordnungsverhältnis verbundene Spannungspotenzial[100] hat sich nicht sonderlich häufig realisiert.[101] Das Verhältnis der Gerichte zueinander erscheint heute als geklärt und konsolidiert.[102] Dabei mag eine Rolle spielen, dass es auch einen kontinuierlichen personalen Austausch dadurch gibt, dass regelmäßig Richter des BVerwG in das BVerfG berufen werden und in der Folge gelegentlich auch wieder den Weg zurück zum BVerwG gehen.[103]
c) Verfassungsdimension der Verwaltungsgerichte
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Die Verwaltungsgerichte prüfen das Verwaltungshandeln am Maßstab von Gesetz und Verfassung. Inzident stellt sich dabei auch die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der als Maßstab herangezogenen Gesetze. So wie nach einem berühmten Diktum Fritz Werners Verwaltungsrecht konkretisiertes Verfassungsrecht ist,[104] so lässt sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit in vielerlei Hinsicht als konkretisierte Verfassungsgerichtsbarkeit interpretieren. Die materiellen Anknüpfungspunkte sind dabei vor allem die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip.
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Die Grundrechte kommen bereits im Konzept der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Ausdruck. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG begründet bereits die Erforderlichkeit einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Verwaltung. Wo immer das einfache Gesetzesrecht Lücken aufweist, kann Art. 19 Abs. 4 GG herangezogen werden, um diese zugunsten des Bürgers zu schließen. Gäbe es beispielsweise in der VwGO keine Regelungen zum Eilrechtsschutz, so würde ein solcher sich gleichwohl alleine aus dem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes konstruieren lassen.
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Daneben fließen die Grundrechte abhängig vom Rechtsgebiet in vielfältiger Form in die verwaltungsgerichtliche Prüfung des Verwaltungshandelns ein. Im Bereich des Versammlungsrechts steht natürlich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG im Vordergrund, im Bereich des Baurechts die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG usf.[105]
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Über das „Auffanggrundrecht“ der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie es vom BVerfG der Sache nach in Art. 2 Abs. 1 GG hineingelesen wird,[106] ergibt sich jedenfalls stets ein verfassungsrechtliches Argument, wenn keine spezielleren Gesichtspunkte eingreifen. Damit kann jedes den Einzelnen belastende Verwaltungshandeln als verfassungsrechtliche Frage geprüft werden, selbst wenn es um von der Verfassung nicht gesondert ausgewiesene Aktivitäten geht, wie etwa das Reiten im Walde.[107] Ferner können damit selbst die den Deutschen vorbehaltenen Grundrechte, wie beispielsweise die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), von ausländischen Staatsangehörigen geltend gemacht werden, wenn auch nur in dem über Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Umfang.[108]
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Zwei zentrale Gehalte des Rechtsstaatsprinzips, wie