Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage). Reto Luder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reto Luder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035517071
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nimmt in Rücksprache mit den Eltern selbstständig an sportlichen Aktivitäten teil. (ICF: Allgemeine Aufgaben und Anforderungen)Ivan besucht während der nächsten vier Wochen das Fußballtraining zweimal in der Woche (erinnert durch die eingeschaltete Handy-Erinnerungsfunktion).Ivan schreibt in der Schule einen Plan auf für das Packen einer Sporttasche.Ivan stellt seine Sporttasche jeweils bereits beim Mittagessen zusammen.Ivan notiert sich im Wochenheft der Schule zwei Gedanken zu jedem einzelnen Fußballtraining.Ivan reflektiert zweimal innerhalb von vier Wochen seine Erfahrungen mit dem Fußballtraining mündlich mit dem SSA (schulischen Sozialarbeiter).Das Handy wird mit einer Erinnerungsfunktion für die Taschenpacktermine und alle Trainingstermine eingestellt. Die Eltern oder die LP helfen bei Bedarf.Ein Wochenheft ist normal für alle Kinder der Klasse.In der Klasse werden komplexe Handlungsabläufe und Arbeitsaufträge auch schriftlich festgehalten und/oder mit Bildern visualisiert.Die Eltern halten die Trainingsabende frei für Ivan.Der SSA hat Beratungszeiten, die für Ivan erreichbar sind während der Schulwoche.[In dieser Tabelle oder alternativ in elektronischen Tools, welche die Kriterien des Datenschutzes erfüllen, können zielbezogene Beobachtungen und Notizen zur Einschätzung der Zielerreichung notiert werden. Diese stehen für die Evaluation, die Vorbereitung von Zielüberprüfungsgesprächen sowie für die Verschriftlichung von Lernfortschritten in Lernberichten zur Verfügung.]

      Wichtig für die Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme weitergeführt oder sistiert wird, ist eine datengestützte Bewertung des Erreichten pro Ziel. Solche Evaluationsgespräche werden teilweise bereits beim Standortgespräch, bei dem die Ziele festgelegt werden, terminlich fixiert. Dieses Vorgehen erhöht die Verbindlichkeit und schafft Transparenz.

      Förderplanung, Unterrichtsplanung und Ressourcenplanung

      Entwicklungslogik und curriculare Logik bei der Planung von Unterricht und Förderung

      Förderplanung ist in der Praxis kein unabhängiger Prozess. In inklusiven Schulen ist Förderplanung eng vernetzt mit der Gestaltung des Klassenunterrichts. Inklusion beginnt nicht beim Schüler oder bei der Schülerin, sondern bei der Schule und der Zusammenarbeit aller Beteiligten, auch der Eltern. Förderplanung fokussiert sich auf der einen Seite auf die Entwicklung des Kindes und seiner Fähigkeiten und strebt die Zone der nächsten Entwicklung (ZNE, vgl. Wygotski, 1987) für eine individuelle Förderung an. Man könnte von einer Entwicklungslogik sprechen als Vorgehensvorschlag für Förderplanung. Unterrichtsplanung orientiert sich auf der anderen Seite dafür klar an den Bildungszielen und den durch Lehrpläne legitimierten Curricula in den einzelnen Fächern und bedient sich dabei einer curricular orientierten Logik bei der Planung von Unterricht für eine ganze Klasse mit Jahres-, Quartals- und Lektionszielen (siehe Abbildung 2).

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      ABBILDUNG 2: Verhältnis einer Entwicklungslogik zu einer curricularen Logik

      Werden beide Perspektiven miteinander verbunden, so bereichern sich die Sichtweise der Entwicklungslogik und die Sichtweise der curricularen Logik, indem zum Beispiel ein Lehrer seinen Unterricht plant, diese Planung mit einer schulischen Heilpädagogin bespricht und von dieser ein Feedback erhält, wie einzelne Anpassungen des Unterrichts und/oder des verwendeten Materials einem Kind mit Förderbedarf helfen könnten, ebendiesem Unterricht zu folgen und davon zu profitieren (vgl. Kornmann, 2010). Dabei gehen die beiden Fachpersonen, die Klassenlehrperson und der schulische Heilpädagoge oder die Therapeutin, mit je unterschiedlichen Sichtweisen auf ein und dasselbe Ziel zu: die adäquate kognitive Aktivierung der Lernprozesse beim Kind durch einen adaptiv gestalteten Unterricht.

      Ressourcenplanung gehört dazu

      Förderplanung beinhaltet auch die Zuweisung von Maßnahmen und Ressourcen, wie etwa Förderlektionen, zusätzliche Therapien oder Beratung (siehe Abbildung 3). Diese Angebote und Maßnahmen müssen bezahlt werden. In der Praxis kann das zu schwierigen Situationen und Entscheidungen führen, weil unter Umständen nicht alles angeboten oder finanziert werden kann, was eigentlich sinnvoll und nötig wäre. Deshalb ist es wichtig, bei der Förderplanung auch mit zu bedenken, welche Möglichkeiten und Ressourcen überhaupt zur Verfügung stehen und wie diese zeitlich und in Bezug auf ihre Intensität flexibel an einer Schule eingesetzt werden können. Förderplanung steht damit im engen Zusammenhang und in gegenseitiger Abhängigkeit mit Unterrichtsplanung und Bedarfsklärung/Ressourcenplanung. Die drei Aspekte und ihre gegenseitigen Wechselwirkungen müssen bei der Förderplanung berücksichtigt werden, wenn sie zu einer tragfähigen Lösung führen soll. Ein «agiles Projektmanagement» an einer Schule (vgl. Huber, 2019) kann hier die dafür notwendige bewegliche Stabilität im Förderplanungsprozess unterstützen.

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      ABBILDUNG 3: Zusammenspiel von Förderplanung, Unterrichtsplanung und Bedarfsplanung (vgl. Luder, 2011, S. 18)

      Professionelle Zusammenarbeit für eine interdisziplinäre Förderplanung

      Professionelle Zusammenarbeit

      Ein Förderplanungsprozess wird meist in multiprofessioneller Zusammenarbeit geleistet. Dabei sind neben der Lehrperson auch die Eltern und eine schulische Heilpädagogin oder ein Therapeut. In vielen Fällen ist es sinnvoll, das betroffene Kind oder die betroffenen Jugendlichen selbst in die Förderplanung einzubeziehen. Inklusive Förderplanung ist anspruchsvoll. In der Praxis werden die Lernsituationen von unterschiedlichen Beteiligten auch sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Besonders bei Vorschlägen, was wie gefördert werden sollte, ist man sich oft nicht einig. Analysiert man Förderpläne, so sieht man, dass es bei den vorgeschlagenen Maßnahmen oft weniger auf inhaltliche Tatsachen wie die Probleme des Kindes und die angestrebten Ziele ankommt als auf die persönlichen Vorlieben der beteiligten Personen oder darauf, welche Maßnahmen gerade verfügbar sind (McCormack, Pearson & Paratore, 2007; Luder, Ideli & Kunz, 2020). Zudem ist die Frage wichtig, ob und wie sich einzelne Beteiligte mit ihren Ideen für die Förderung im Team durchsetzen oder eben nicht (Edmondson, 2020). Zentrale Grundlagen für gelingende Zusammenarbeit sind willentliche, aufgabenbezogene, auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtete und mit einem gegenseitigen Vertrauensvorschuss gemeinsam durchgeführte Handlungen (Spieß, 2004). Dabei sind gegenseitige Autonomiegewährung, Vertrauen, Empathie, gegenseitige Wertschätzung und wechselseitige Kommunikation entscheidend (Axelrod, 2005; Spieß, 2004; Tomasello, 2012). Merkmale erfolgreicher Teams sind seit Längerem bekannt (z. B. Francis & Young, 1998, S. 19): Leistungsfähigkeit durch Stärkeergänzung, allen Mitgliedern bekannte Zielsetzungen, Dynamik im Sinne gegenseitigen Ansporns, Struktur durch Regelung von Führungsansprüchen, Arbeitsstil, Organisation und Rollenverständnis sowie ein vertrauensvolles Klima. Google konnte im Rahmen des Forschungsprojekts «Aristotle» ebenfalls Faktoren aufzeigen, die erfolgreiche Teams ausmachen (Google, 2020):

      — Psychologische Sicherheit (vgl. dazu Edmondson, 1999): Gemeint ist damit ein Klima, in dem sich die Teammitglieder trauen, nachzufragen, Fehler offen zuzugeben, in dem sie sich wohlfühlen und zusammenarbeiten, ohne Angst, sich zu blamieren.

      — Verlässlichkeit: Arbeiten rechtzeitig und mit hoher Qualität zu erledigen, erhöht den Erfolg.

      — Struktur und Klarheit: Klärung von Zielen, Aufgaben und Rollen vermitteln Struktur und Sicherheit.

      — Bedeutsamkeit: Arbeit, die jedem Teammitglied persönlich wichtig ist, erhöht die Bereitschaft, sein Bestes zu geben.

      — Sinnhaftigkeit: Die Haltung, dass die eigene Arbeit zu einem Erfolg führen kann, der auf ein gemeinsames Ziel orientiert ist, wird durch sinnhafte Tätigkeit befördert.

      Daraus lässt sich ableiten, dass man erstens die eigene Arbeit als Lernaufgabe betrachten und sich darüber klar sein soll, dass es immer auch große Unsicherheiten gibt. Zweitens ist es wichtig, die eigene Fehlerhaftigkeit zu (be-)achten. Dies erlaubt es, offen zu sprechen. Und