Die inhaltliche Ungenauigkeit des Begriffs der Heilpädagogik einerseits und der intensive Ausbau des Sonderschulwesens andererseits führten dazu, dass in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Begriff der Sonderpädagogik favorisiert wurde. Er bezieht sich auf die Theorie, Forschung und Praxis der Erziehung von Menschen mit Behinderung. Die Ausweitung und Differenzierung des Sonderschulwesens in den alten Bundesländern verlangte entsprechende Sonder-Pädagogiken wie z. B. die Sehgeschädigten-, Sprachbehinderten-, Körperbehinderten- oder Geistigbehindertenpädagogik. Die ‚Besonderheit‘ oder ‚Andersartigkeit‘ behinderter Menschen trat stärker in den Vordergrund. Die Sonderpädagogik verstand sich als ‚Besonderung‘ der Allgemeinen Pädagogik. Was zur Folge hatte, dass sich das Gesamtgebiet der Sonderpädagogik auseinander entwickelte und zwar in neun verschiedene Sonderpädagogiken oder sonderpädagogische Fachrichtungen, wovon eine die Geistigbehindertenpädagogik ist. Im Begriff der „Sonderpädagogik“ wurde der Teilinhalt des Separierens dominant. „Der Begriff Sonderpädagogik ist zwar unter dem dominanten Einfluss des Sonderschulsystems der in Deutschland am meisten verbreitete Begriff, wird aber aus diesem Grunde, d. h. wegen seiner unleugbaren Gleichsetzung mit institutioneller Besonderung, am stärksten abgelehnt“ (Speck 2008, 55). Heute findet der Terminus der Sonderpädagogik vordringlich in Bezug auf das differenzierte Sonderschulwesen Anwendung und wird zunehmend durch den Begriff der Förderpädagogik bzw. der Sonderpädagogischen Förderung ersetzt.
Förderpädagogik/Sonderpädagogische Förderung
1994 hat die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) den Sonderpädagogischen Förderbedarf und den Begriff der Förderung zu neuen Schlüsselkategorien der Pädagogik für Menschen mit Behinderung erhoben, obwohl der Begriff der Förderung kein originär pädagogischer Fachbegriff ist. Ihm wird dennoch „eine übergeordnete Bedeutung quer zu den erziehungswissenschaftlichen Grundbegriffen von Erziehung, Bildung und Unterricht zugeschrieben“ (Schuck 2006, 84). In den KMK-Empfehlungen ist der Förderbedarf als personale Kategorie gedacht, die den individuellen pädagogischen Unterstützungs- und Lernbedarf wiedergibt. Doch im alltäglichen Gebrauch hat er sich zu einer institutionellen und verwaltungstechnischen Kategorie entwickelt. Er ist damit uneindeutig.
Behinderte, Behindertenpädagogik
Der Begriff der Behindertenpädagogik bzw. Pädagogik der Behindertenwurde in den 1970er Jahren in den alten Bundesländern eingeführt. Die Bezeichnung ergibt sich zum einen aus dem Oberbegriff „Behinderung“ für alleSchädigungen und Beeinträchtigungen und zum anderen als Ersatz für das missverständliche Wort „Heilpädagogik“ und das formale und segregierende Wort„Sonderpädagogik“. Der Behindertenpädagogik liegt ein pädagogisches Verständnis von Behinderung zugrunde. Als Behinderte im pädagogischen Sinnegelten für Bleidick „Kinder, Jugendliche und Erwachsene, deren Lernen undsoziale Eingliederung erschwert sind. Gegenstand der Behindertenpädagogiksind somit der besondere Bildungsvorgang und der besondere Erziehungsprozess angesichts der durch Behinderung beeinträchtigten Bildsamkeit und Erziehbarkeit“ (1992b, 69).
Aber auch dieser Begriff ist kritisch zu sehen, weil er die Gefahr der Verabsolutierung von Behinderung, der Zuschreibung des Behinderten-Status, enthält und damit zu Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung führt. Heute versucht man stärker das Spezifische ihrer Erziehung im Allgemeinpädagogischen zu entdecken, um so der Besonderung von Menschen mit Behinderung zu begegnen und zur Integration zu gelangen.
Rehabilitationspädagogik
Der Begriff der Rehabilitationspädagogik wurde in der ehemaligen DDR (Becker et al. 1979) in Abhebung von der Heil- und Sonderpädagogik verwendet. Sie versteht sich als Zweig der pädagogischen Wissenschaft, der Theorie und Praxis der sozialistischen Erziehung physisch-psychisch geschädigter Kinder und Erwachsener unter dem Aspekt der Rehabilitation. Unter Rehabilitation verstand man in den sozialistischen Ländern „die zweckgerichtete Tätigkeit eines Kollektivs in medizinischer, pädagogischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht zur Erhaltung, Wiederherstellung und Pflege der Fähigkeit geschädigter Menschen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (Becker et al. 1979, 159). Der Begriff der Rehabilitation findet in den alten Bundesländern seit den 1960er Jahren Anwendung, und zwar vor allem im medizinischen, berufsbildenden, sozialpädagogischen und sozialrechtlichen Bereich. Rehabilitation verbindet heute alle medizinischen, pädagogischen und sozialrechtlichen Maßnahmen, die die soziale Eingliederung oder Wiedereingliederung zum Ziel haben.
BSHG 1961
Ihre erste gesetzliche Grundlegung erfuhr die Rehabilitation 1961 im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) („Eingliederungshilfe für Behinderte“). Heute versteht man unter Rehabilitation „das System und die Gesamtheit der Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen angeboten werden können, um sie beruflich und sozial in die Gemeinschaft einzugliedern. Ziele sind dabei ein Höchstmaß an Lebenstüchtigkeit und Lebensqualität, Teilnahme am Berufs- und Arbeitsleben, Selbstbestimmung und Selbständigkeit im Leben, Wohnen und in der Freizeitgestaltung“ (Stadler 1998, 22).
Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX)
Das ‚Wie‘ der Rehabilitation wird seit 2001 im Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) geregelt, während an die Stelle des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) das Zwölfte Sozialgesetzbuch (SGB XII) trat. Unzureichend bleibt der Begriff der Rehabilitation im Kontext schulischer Erziehung, weil Förderung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen eine erstmalige Befähigung, also „Habilitation“ und nicht „Rehabilitation“ ist.
Neben den zuvor genannten findet eine Reihe anderer Begriffe Anwendung. So spricht man beispielsweise in den osteuropäischen Ländern von Spezialpädagogik, Sonderpsychopädagogik oder Defektologie, in den anglo-amerikanischen Ländern von Special Education oder in den Benelux-Staaten von Orthopädagogik; Bezeichnungen, die zwar Ähnliches intendieren, die aber wegen der jeweiligen Landesspezifika nicht als Synonyme zur deutschen Terminologie gelten.
Integrationspädagogik
Gegen diese Oberbegriffe wendet sich die Integrationspädagogik. Ihre Vertreter fordern die Überwindung einer besonderen Pädagogik und fordern für alle Kinder und Jugendlichen einen gemeinsamen Lernort. Eine Integrationspädagogik vertritt eine neue Sichtweise von Erziehung an sich (vgl. Eberwein 1999), die alle unabhängig von Behinderung einschließt. „Die Integrationspädagogik beinhaltet vor allem gesellschaftspolitische Implikationen mit programmatischem Charakter, nämlich die Nichtaussonderung von Behinderten als sozial- und schulpolitisches Ziel“ (Speck 2008, 56f).
Die Begriffsvielfalt ist also groß und verlangt eine Eingrenzung. Obwohl jeder der hier genannten Bezeichnungen eine gewisse Unzulänglichkeit anhaftet, werde ich, vor allem der besseren Lesbarkeit wegen, den Begriff der Heilpädagogik verwenden. In seiner heutigen Interpretation ist er pädagogisch bestimmt, ohne die notwendigen (sonder)schulischen und rehabilitativen Maßnahmen auszuschließen.
„Unter Heilpädagogik wird der Theorie- und Praxisbereich verstanden, der sich auf die Erziehung, Unterrichtung und Therapie von Menschen bezieht, die wegen individueller und sozialer Lern- und Entwicklungshindernisse einer besonderen Unterstützung und Hilfe bedürfen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können“ (Speck 2006, 92).
Die Heilpädagogik ist eine „spezialisierte Pädagogik, die von einer Bedrohung durch personale und soziale Desintegration ausgeht“ (Speck 2008, 56). Sie stellt dem Menschen mit Behinderung pädagogische Mittel zum Erwerb von Kompetenzen, zur Selbstverwirklichung wie zum Erlangen sozialer und kultureller Teilhabe zur Verfügung.
Ziel