Der Dreißigjährige Krieg. Axel Gotthard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Axel Gotthard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846345559
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dort als Militär nicht habsburgischer, sondern „der Landschafft Kriegs officir“, der ständische Einfluss auf die „Landesdefension“ war groß. Sogar außenpolitisch wurden die Landstände bisweilen aktiv – so verhandelten sie beispielsweise in den Anfangsjahren der Union (wenn auch ohne bleibende Resultate) mit Vertretern dieses Konfessionsbündnisses über Kooperationsmöglichkeiten.

      Kurz, die habsburgischen (auch, und zumal die böhmischen) Landstände agierten, als seien sie Reichsstände, eigene Herrschaftsträger. War es nicht ein signifikanter Unterschied, dass sich die Reichsstände zwar einem Habsburger unterstellten, den aber als Reichsoberhaupt frei und zu ihren – in der Wahlkapitulation festgehaltenen – Bedingungen wählten, während Böhmen Erbbesitz der Dynastie war? Sogar dieses Erbrecht der Habsburger wurde immer wieder angezweifelt [<<60] oder relativiert. So führte man bei jedem Herrscherwechsel Huldigungsverhandlungen – man stellte also seine Bedingungen für die ‚Unterwerfung‘, eben die Huldigung. Oder man behauptete ganz offen, die böhmische Krone sei tatsächlich eine Wahlkrone; Matthias (Böhmenkönig seit 1611) musste ein Dokument unterzeichnen, das seine Nachfolge als „freie Wahl“ der Landstände deklariert. Es gab unter den Landständen in dieser Frage drei Positionen: ein kleines Häuflein, das der Erbkrone das Wort redete; gemäßigte Anhänger der Wahlkrone; und radikalere. Letztere behaupteten, „Wahl“ meine nicht nur Auswahl innerhalb der angestammten Dynastie, sondern beinhalte auch die Möglichkeit des Dynastiewechsels.

      Hinzu kommt, dass die im Konfessionellen Zeitalter so zentrale Kirchengewalt traditionell eher ständisch als landesherrlich war. Ungefähr vier Fünftel der von den katholischen Habsburgern regierten Adeligen waren im 16. Jahrhundert evangelisch geworden, sie nötigten diese Option auch ihren Hintersassen auf; was die Regierungen durch weitreichende Konzessionen absegneten. Faktisch besaß also in den Habsburgerlanden nicht die Landesherrschaft, sondern der landständische Adel das Ius reformandi.

      Warum Böhmen schon lange nicht mehr geschlossen katholisch ist

      Jetzt sind wir fast unvermerkt doch schon beim zweiten Aspekt angekommen: der konfessionellen Ausrichtung. Die meisten böhmischen Adeligen waren keine Mitglieder der römischen Kirche. Welcher Konfession gehörten sie denn an? Nun, zum Teil tendierten sie zu den neueren europäischen Reformationsströmungen (wie dem Calvinismus oder, häufiger, dem Luthertum); zum Teil standen sie in der älteren, einheimischen hussitischen Tradition.

      In Böhmen gab es nämlich schon hundert Jahre vor der Publikation der lutherschen Ablassthesen Nichtkatholiken. Ein Prager Prediger, Jan Hus, fand mit seinen kirchenkritischen, in manchem die lutherische Reformation vorwegnehmenden Ansichten begeisterte Zustimmung. 1414 wurde er zum Konzil nach Konstanz geladen, mit einem Geleitbrief, der ungestörtes Reisen und ungehinderte Anhörung in Konstanz garantierte – und doch wurde er dort, am Bodensee, verhaftet und verbrannt. Jan Hus ist tot – der Hussitismus setzt sich in Böhmen weitgehend durch. Übrigens sah der damalige Kampf um Prag einen „Fenstersturz“: Einige reformunwillige Ratsherren stürzten in den Burggraben. Die Hussiten gewannen in Prag und anderswo, [<<61] genauer: ihr gemäßigter Flügel, die sogenannten „Utraquisten“. Es ging keine Sprengwirkung davon aus, die Bewegung, pointiert tschechisch von Anfang an, expandierte nicht in andere Teile Europas – anders als hundert Jahre später das Luthertum, dann der Calvinismus. Aber geschlossen „römisch-katholisch“ war Böhmen schon hundert Jahre vor Luther nicht mehr.

      Böhmen als Bestandteil der habsburgischen Composite Monarchy

      Freilich kam das Land dann in die Hände einer erzkatholischen Dynastie: der Habsburger. Im Jahr 1526 fiel der letzte Jagiellonenkönig im Kampf gegen das Osmanische Reich. Die Habsburger erhoben Erbansprüche auf die Kronen Ungarns und Böhmens, die Stefans- wie die Wenzelskrone. Den Anspruch auf Ungarn konnten sie nur zum kleinen Teil realisieren, sie regierten einen schmalen westlichen Gebietsstreifen, den Rest besetzte das Osmanische Reich. Mit der Stefanskrone hat das Haus Habsburg die welthistorische Aufgabe geerbt, das christliche Abendland gegen einen immer wieder die Expansion suchenden Islam zu verteidigen. Genau deshalb wird es in den nächsten beiden Jahrhunderten wieder und wieder den Kaiser stellen: In kurfürstlichen Wahlgutachten steht stets dieser Gesichtspunkt (wer kann das Alte Reich am wirkungsvollsten vor dem islamischen „Türken“ schützen?) im Zentrum.

      Zu den Ländern der Wenzelskrone gehörte Böhmen. Dieses Königreich war nun habsburgisch, geschlossen römisch-katholisch wurde es deshalb (wie wir soeben schon sahen) noch lange nicht. Im Gegenteil, zu den alten hussitischen traten neue lutherische, später calvinistische Einflüsse. Mit der „Confessio Bohemica“ gaben sich die verschiedenen nichtkatholischen Bewegungen 1575 eine gemeinsame Rahmenordnung. Sie sollte politische Verhandlungen mit der Landesobrigkeit erleichtern, also politisch und nach außen wirksam sein, nicht die konfessionellen Binnenunterschiede einebnen.

      Lang musste Habsburg zusehen, aber nicht ewig. Die Habsburgerlande gehörten zu denjenigen Gebieten, in denen der nachtridentinische Kampfkatholizismus seit den 1570er-Jahren am frühesten und entschiedensten Terrain zurückeroberte.

      „Die Habsburgerlande“: Warum steht das hier im Plural? Nun, es handelt sich um eine „composite monarchy“. Solche „dynastische Unionen von Ständestaaten“ (wie der ältere deutsche Ausdruck hierfür lautet) waren im vormodernen Europa nicht untypisch: Territorien mit [<<62] ganz unterschiedlichen kulturellen Traditionen und administrativen Strukturen werden auf der obersten staatsrechtlichen Ebene dadurch verklammert, dass sie von Mitgliedern ein und derselben Dynastie regiert werden. Im zuletzt gestreiften Zeitraum der habsburgischen Gegenreformation gab es fast durchgehend drei regierende Habsburger, dementsprechend drei größere Happen vom Gesamtbesitz, die jeweils in sich mehrere historische Landschaften vereinten. Erstens sprach man von „Niederösterreich“ – meinte: die Erzherzogtümer Österreich ob der Enns (Hauptort Linz) und unter der Enns; Regierungssitz war Wien. Der dort residierende Erzherzog regierte außerdem, unter der Wenzelskrone, die böhmischen Länder: das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Schlesien, die Markgrafschaften Nieder- und Oberlausitz. Und er regierte ferner, unter der Stefanskrone, das „Königliche Ungarn“ (also jenen schmalen westlichen Teil von Ungarn, der nicht vom Osmanischen Reich besetzt war). Zweitens gab es „Innerösterreich“: die Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und einige kleinere Gebiete wie die Grafschaft Görz oder die Markgrafschaft Istrien, Regierungssitz war Graz. In unserem Zeitraum regierte sodann fast immer, und zwar von Innsbruck aus, ein weiterer, dritter Habsburger Oberösterreich (dessen Kernland Tirol war) sowie Vorderösterreich (also den Streubesitz im heutigen Oberschwaben sowie den Breisgau).

      Energische habsburgische Gegenreformation

      In fast allen Landesteilen (am wenigsten in Oberösterreich) fanden evangelische Anschauungen zeitweise großen Anklang. In den späten 1570er-Jahren setzte indes die habsburgische Gegenreformation ein. Sie zeitigte insgesamt große Erfolge, am durchschlagendsten in Innerösterreich; auch in Böhmen erstarkte der Katholizismus unübersehbar. Dann freilich schienen mehrere Turbulenzen die habsburgischen Terraingewinne infrage zu stellen: der Lange Türkenkrieg (1593–1606), der Bocskay-Aufstand sowie der „Bruderzwist“ im Hause Habsburg. Damit bewegen wir uns endlich wieder in den Jahren um und nach 1600.

      1.5.2 Der „Bruderzwist“ im Hause Habsburg

      Die Probleme: Langer Türkenkrieg, Aufstand in Ungarn

      Es hat die energische habsburgische Gegenreformation zunächst begünstigt, dass gerade keine gezielten osmanischen Expansionsversuche abzuwehren waren – also ‚lediglich‘ die notorischen kleineren [<<63] Grenzscharmützel. Aber seit 1593 band die Türkenfront wieder erhebliche Mittel. In ihrem Rekatholisierungseifer verprellte die rudolfinische Regierung die von Truppendurchmärschen, türkischer Streifzüge wegen, aber auch finanziell ohnehin schon schwer belasteten Untertanen im Königlichen Ungarn, die sich schließlich von Habsburg abwandten, in einem lockeren Vasallenverhältnis zur Pforte das kleinere Übel sahen: Bocskay-Aufstand (1604–1606), es droht eine Sezessionsbewegung weg von Habsburg.

      Das ist der Anlass für die Eskalation des „Bruderzwists“ im Hause Habsburg. Die altertümlich klingende Bezeichnung geht auf den wahrscheinlich