Wenn wir einmal der Übersichtlichkeit halber stark schematisieren, können wir im damaligen deutschen Protestantismus drei Denkschulen und Politikstile ausmachen. Da gab es erstens Territorien, die ihre konfessionellen Besitzstände so wenig gefährdet sahen – und in Norddeutschland gab es nun einmal keine mächtigen katholischen Nachbarn wie im Süden Bayern oder Österreich –, dass man keine Notwendigkeit empfand, für ihre Verteidigung Geld auszugeben und den Reichsverband zusätzlichen Spannungen auszusetzen. Zweitens gab es Regierungen – es waren hauptsächlich die süddeutschen Lutheraner, ob kleinere Fürstenhöfe, ob reichsstädtische Magistrate –, die sich durchaus lebhaft bedroht fühlten und lebhaft um ihre konfessionellen Besitzstände bangten, aber genauso lebhaft um die Stabilität des Reiches und den Frieden in Mitteleuropa. Sie versuchten sich in einer anstrengenden, oft quälenden Gratwanderung zwischen betonter Reichs- und Kaisertreue einerseits, koordinierter konfessioneller Interessenwahrung andererseits, unterstrichen den defensiven Charakter der Union und dass diese der Friedenswahrung, nicht der Kriegsvorbereitung zu dienen habe. Drittens gab es eine Gruppe von evangelischen Politikern – es waren vor allem, aber nicht nur Calvinisten –, für die der große, europaweite Endkampf zwischen Licht und Finsternis sowieso unvermeidlich war und offenkundig nah bevorstand; die dem bestehenden, strukturell prokatholisch wirkenden Reich, so, wie es sich momentan präsentierte, weder eine lange Lebensdauer gaben noch ihm eine Träne nachweinen wollten und deshalb die Priorität eindeutig auf energische, risiko- und konfrontationsbereite Konfessionspolitik legten – unter Inkaufnahme weiterer Eruptionen im zerschlissenen Reichsverband. Die erste der drei Gruppen war für die Union nicht zu gewinnen. Die beiden anderen Gruppen mussten in der Union miteinander auskommen. [<<38]
Das führte im Vorkriegsjahrzehnt immer wieder zu Spannungen und Querelen; dass die Union 1617 um ganze vier Jahre verlängert wurde, kann man als Auflösungsbeschluss mit abfedernder Gnadenfrist interpretieren. Als im Mai 1618 zwei Räte und ein Sekretär in den Burggraben des Prager Hradschin fallen (vgl. Kap. 2.1.2), wirft das erneut das alte, nie gelöste Grundsatzproblem dieses längst im Niedergang begriffenen Bündnisses auf: Soll es furchtsam die Stabilität des Reiches hegen oder aber risikofreudig darauf aus sein, den als unbefriedigend empfundenen Status quo aufzubrechen? Wir werden sehen, dass sich der pfälzische Direktor der Union an die Spitze der böhmischen Aufstandsbewegung stellt. Er lässt sich von den Sezessionisten zum neuen Böhmenkönig wählen. Viele andere Mitglieder der Union stufen das böhmische Projekt ihres Direktors als Hazardspiel ein, weshalb sie ihn nur lau unterstützen – was der Pfälzer wiederum als Verrat an der evangelischen Sache wertet. Das evangelische Lager war eben zerklüftet, reichsweit und sogar unter dem Dach der Union. Das sollten wir uns merken, weil es für den Böhmisch-Pfälzischen Krieg noch wichtig werden wird.
Konservativer Charakter der Liga
Blieben der Union eine ganze Reihe (auch und gerade großer) evangelischer Territorien fern, hat die Liga das katholische Deutschland sehr weitgehend umfasst. Sie hatte es einerseits leichter als jene Union, die ja auf Innovation drängen musste, ohne dass ein Konsens über deren Ausmaß geherrscht hätte – genügten Detailkorrekturen am Reichsgebäude, stand ein Totalumbau an? Bundeszweck der Liga war es, den überwiegend katholischen Charakter des Reiches zu konservieren.
Der Katholizismus war im Reichsverband strukturell bevorzugt: katholischer Kaiser, deshalb katholischer Reichshofrat; katholischer Reichstagsdirektor, in den beiden maßgeblichen Reichstagskurien zuverlässig Mehrheiten für katholische Positionen. (Um kurz zu erläutern: Die Geschäftsführung am Reichstag oblag ja, in seiner Eigenschaft als Erzkanzler des Reiches, dem katholischen Kurfürsten von Mainz; im konfessionell ausgewogenen Kurfürstenrat votierte Kursachsen „politice Bäpstisch“, den Fürstenrat prägte schon wegen der vielen Fürstbischöfe eine deutliche katholische Majorität.) Da das Hebelwerk der Reichsinstitutionen, so man es nur einigermaßen ungestört funktionieren ließ, regelmäßig dem Katholizismus in die Hände gearbeitet [<<39] hat, brauchten die Ligastände lediglich auf den Status quo zu pochen und von den Protestanten einzufordern, dass sie sich „gehorsam“ in die nun einmal gegebenen Strukturen einfügten.
Wer einfach den Status quo zu wahren sucht, braucht sich gemeinhin weniger Gedanken konzeptioneller Art zu machen als der, der auf Innovation drängt. Und doch litt auch die Liga alsbald unter erheblichen internen Spannungen. Es liegt am traditionell schwierigen Verhältnis zwischen den beiden führenden katholischen Dynastien, Wittelsbach und Habsburg.
Spannungen zwischen Wittelsbach und Habsburg
Die Wittelsbacher fuhren seit Langem gut mit einem Kurs wohl kalkulierter, freundlicher Distanz zu Habsburg. Man hielt in allen konfessionspolitischen Fragen zur Kaiserdynastie, profilierte sich aber zugleich als Bollwerk „teutscher Libertät“. „Teutsche Libertät“ – diese in damaligen Akten überaus häufige Parole besagt, wörtlich in heutiges Deutsch übertragen: „deutsche Freiheit“ (lat. libertas = Freiheit). Mit unserem modernen Freiheitsbegriff hat der Slogan aber wenig gemein, „Libertät“ meinte nicht individuelle Selbstverwirklichung jedes einzelnen Bewohners Mitteleuropas, meinte politische Spielräume für die Reichsstände, ist insofern meistens mit „Föderalismus“ treffender übersetzt als mit „Freiheit“. Wer „Wahrung der teutschen Libertät“ rief, meinte damit, modern ausgedrückt: „Kaiser und Reich sollen lediglich für ein unumgängliches Mindestmaß an Koordination sorgen, Deutschlands Fürsten und Grafen so wenig wie möglich vereinnahmen und gängeln.“
So also sahen das die gleichsam im Vorhof des riesigen Habsburgerreiches liegenden Münchner. Sie brauchten die Kaiserdynastie als Garanten der überwiegenden Katholizität des Reiches, aber diese Dynastie durfte nicht erdrückend mächtig werden. Deshalb drängten sich dem Bayernherzog diese Fragen auf: War die anstehende Allianz ein bayerisch dominierter, sozusagen kaiserfreier Schutzbund für den Süden und Westen des Reiches oder Mosaiksteinchen im ambitionierten Szenario einer europaweiten, letztlich von Madrid dominierten „Habsburger-Liga“? War sie ein Schutzbund nicht nur für den Katholizismus, sondern auch für die teutsche Libertät – oder, im Gegenteil, Vehikel zur Stärkung der monarchischen Gehalte in der Mischverfassung des Reiches? War die katholische Liga wittelsbachisch, war sie habsburgisch – und wie katholisch war sie überhaupt? [<<40]
Zunächst war sie sehr katholisch und sehr bayerisch. Die Bundesverfassung vom 10. Juli 1609 definiert die Liga als Bündnis zur Forcierung der katholischen Auffassung von Recht und Gesetz, proklamiert als Bundeszweck die „erhaltung der wahren catholischen religion“ – ein Sieg der bayerischen Vorstellungen. Bundesdirektoren waren der Kurfürst von Mainz (Inhaber des rheinischen Direktorats) und der Herzog von Bayern (Inhaber des oberländischen Direktorats); Maximilian als dem „Hauptbundesobristen“ kam im Kriegsfall die militärische Leitung zu – und faktisch auch in Friedenszeiten die politische, denn der Kaiser blieb vor der Türe, womit der Bayernherzog der starke Mann war.
Das änderte sich 1613. Zum einen bekam die Liga nun ein drittes Direktorium. Bekleidet hat es der habsburgische Erzherzog Maximilian, der von Innsbruck aus Tirol und Vorderösterreich regierte. Sodann wurde aus der „defensio catholica“ die „christliche defension“. Die Liga wurde nicht mehr als Bündnis der Katholiken definiert, sondern als Bund der Kaisertreuen – mit kaiserlicher Approbation der Direktorialbeschlüsse, ohne allgemeinen Bundesobristen: keine Ablösung der bayerischen Vorherrschaft im Bündnis durch die ebenso eindeutige Habsburgs, aber doch die kräftige Reduzierung Bayerns auf den Status einer lediglich regional vorherrschenden Mittelmacht. Maximilian ‚gehörte‘ sozusagen nur noch ein Drittel. Er sah sich mit der Bundesnotel vom 23. Oktober 1613 auf seine fränkische und einen Teil der schwäbischen Klientel zurückgeworfen. Ein Münchner Gutachten vermutet als Motiv für die Verfassungsänderungen vom Oktober 1613, man habe Bayern unterstellt, dass es „in effectu die oberhand in Teütschland … sueche“. Tatsächlich tat das aus Münchner Sicht Habsburg.
Die Liga zerfällt
Die „Defension“ von 1613 wurde nie wirklich mit Leben erfüllt. München ging auf Obstruktionskurs, ja, nachdem es dem Innsbrucker Erzherzog Maximilian im Lauf des Jahres 1615 endlich gelungen war, aus dem neu eingerichteten