Abb 1 Gemälde von Andreas Herneisen für den Rat der Stadt Windsheim 1601. [Bildnachweis]
Er ist überhaupt der Schöpfer dieses Bildtypus eines evangelischen Bekenntnisgemäldes, der danach Generationen lang fast vierzig Mal für weitere, überwiegend großformatige Bildtafeln, zumal in Franken, Thüringen und Sachsen Pate stehen wird. Konstant bleiben Jahrzehnte lang insbesondere die beiden folgenden zentralen, von Herneisen [<<17] zusammengeführten Bildelemente: Verschiedene Reichsfürsten und Städtevertreter überreichen Kaiser Karl V. die Confessio Augustana; dahinter, daneben oder ringsum werden viele gottesdienstliche Handlungen angedeutet, wie sie lutherische Kirchenordnungen des 17. Jahrhunderts vorsehen. Die identitätsstiftende historische Reminiszenz ist eingebettet in eine katechetische Lehrtafel. Sie veranschaulicht wesentliche Elemente lutherischer Orthodoxie im Zeitalter verfestigter Konfessionalisierung. Der Rückbezug auf den Augsburger Reichstag verbürgt, dass sie dogmatisch, liturgisch und pastoral in der Confessio Augustana von 1530 wurzeln – liturgische Handlungen, katechetische Unterweisung, bestimmte religiöse Verhaltensweisen der „Gnesiolutheraner“ (wie die Forschung jene Lutheranhänger nennt, die auf strikte Abgrenzung zur calvinistischen Reformation pochten), hierfür signifikante Realien.
Lutheraner polemisieren gegen Katholiken …
Überall geißelt die Zurschaustellung korrekter Glaubensübung, weil auf die neuralgischen Streitpunkte fokussiert, die Abweichung hiervon. [<<18] Alles wird auf den Bildtafeln mehr oder weniger ausführlich schriftlich kommentiert. In Bild wie Text finden wir viele kontroverstheologische Anspielungen. Sie zielen in zwei Richtungen. Zum einen wird – wenig überraschend – „papistische Abgötterei“ gegeißelt. Der Teufel, der dem Betrachter sein „Verzeichnis meiner getreuen Diener“ entgegenreckt, hat ein Jesuitenhütlein auf, die Namensliste beginnt so: „Papst der Erzketzer“.
Aber die Abgrenzung zur römischen Kirche scheint gar nicht das Hauptanliegen unseres Bildes zu sein. Was würden wir denn im Zentrum eines lutherischen Bekenntnisgemäldes vermuten? Doch wohl die Kanzel, auf ihr ein Prediger mit der Bibel in der Hand; die Kanzel hängt indes rechts oben am Rand. Wäre nun eine Zentrierung des Bildraums auf die Wortverkündigung hin nicht vorzüglich für eine demonstrative Absetzung von katholischer Messe mit ihrer multiplen Sinnlichkeit vom gemalten Himmel bis hin zu Weihrauchduft geeignet gewesen? Seht her, im evangelischen Gottesdienst geht es nicht [<<19] um allerlei Brimborium, hier steht das Wort Gottes im Mittelpunkt? Darum scheint es der Tafel gar nicht in erster Linie zu gehen.
… aber genauso heftig gegen Calvinisten
Viel größer und zentraler als die Kanzel setzt sie, außer dem Reichstagsgeschehen, den Altar und das Taufbecken ins Bild. Hier nun werden die anderen reformatorischen Bewegungen ins Unrecht gesetzt. Denn getauft wird unübersehbar ein splitternacktes Baby (und nicht etwa ein Erwachsener, wie das die Täufer praktizierten). Und der Altar? Gewiss, dort wird Wein gereicht (der „Laienkelch“; in katholischen Kirchen trank und trinkt nur der Priester Wein). Vor allem aber wird Luthers Auffassung von der Realpräsenz Christi beim Abendmahl propagiert, liturgischer Bezugspunkt ist der Kreuzaltar und nicht Calvins sitzende, zum bloß symbolischen Mahl versammelte Tischgemeinschaft. Calvinisten entfernten Altäre aus den Kirchen – schon deshalb rückte ihn unser lutherischer Maler ins Zentrum. Vor allem also spießt er den Calvinismus auf, was wir übrigens fast wörtlich nehmen dürfen: Wo Kirchenwächter ihre Hellebarden unliebsamen Gästen entgegenrecken, erkennen wir „Zwingel“ und „Calvin“ – die müssen leider draußen bleiben.
Ein Beispiel für katholische Polemik
Betrachten wir noch ein katholisches Beispiel (Abb 2)!
Abb 2 Erlösung durch die Sakramentenverwaltung der Kirche. Gemäldeteil eines Kapitelherrnepitaphs, einst in der Vierung des Hildesheimer Doms von 1585 und also öffentliches Lehrbild. [Bildnachweis]
Das Bild hing seit 1585 im Hildesheimer Dom. In der Mitte sehen wir „Ecclesia“, Frau Kirche also. Sie sitzt auf einem Gebäude, das von den zwölf Aposteln, von Päpsten, Kirchenvätern und Gestalten des Alten Testaments ‚bewohnt‘ wird. Ecclesia ist durch zwei Ketten mit Gott und den Heiligen im Himmel verbunden. Von ihrer Taille aus führen sechs weitere Ketten zu Gefäßen, die das Blut auffangen, das aus Christi Seitenwunde quillt, ein siebtes Gefäß befindet sich über dem Haupt der Ecclesia. Soweit der Bildinhalt! Inwiefern versinnbildlicht er nun eine bestimmte, hier die katholische Konfession?
Indem er Streitpunkte zwischen den Konfessionen, sozusagen die Grenzmarkierungen herausstreicht. Jedes der sieben mit Christi Blut gefüllten Gefäße symbolisiert ein Sakrament – Luther aber hatte die Mehrzahl der herkömmlichen Sakramente verworfen. Bekanntlich hatte Luther auch die herkömmliche heilsvermittelnde Funktion der Kirche nicht akzeptiert (man bringt diese Auffassung auf die Formel vom „allgemeinen Priestertum der Gläubigen“). Auf unserem Bild aber sitzt Ecclesia ganz im Zentrum, sie ist Verbindungsglied zwischen Erde und Himmel. Die Sakramente sind allesamt in der Hand von [<<20] Geistlichen, von Berufsklerikern also, sie teilen die Gnadenwirkung zu. Diese katholische Kirche ist nicht irgendeine, sondern die weltweite, einzig wahre – wie der Erdapfel in der rechten Hand von Frau Ecclesia anzeigt, überschrieben mit „catholica“. Das Haus der Kirche mit all den Heiligen und Kirchenvätern, Sakramenten und Gnadenwundern steht auf einer Insel inmitten des Weltenmeers, in dem berüchtigte Ketzer mit dem Ertrinken ringen. Dass sie mit Bibeln herumfuchteln, charakterisiert sie als Protestanten (das evangelische Schriftprinzip!). Man erkennt die Erzschurken Luther (links), Calvin und Zwingli (rechts).
Unser Gemälde macht die kämpferische Konsolidierung des Katholizismus am Konzil von Trient (es tagte in drei Sitzungsperioden zwischen 1545 und 1563) sinnfällig. Die katholische Seite, die jahrzehntelang im Zweifelsfall eben immer zurückgewichen war, die verinnerlicht hatte, dass sie der dynamischeren evangelischen Bewegung ja doch nicht gewachsen war – sie begann nun energisch dagegenzuhalten. Der tridentinische Kampfauftrag begann zu greifen. Die „Gegenreformation“ wurzelte gewiss im außerdeutschen Bereich, vor allem in der romanischen Welt, begann sich aber nun auch in Mitteleuropa auszuwirken. Der Katholizismus schloss die Reihen und formierte sich zum Kampf. Alle Konfessionen schlossen europaweit die Reihen, in scharfer Abgrenzung zueinander. Aber in der Mitte des Kontinents geschah das innerhalb ein und desselben politischen Systems. Dieses wurde darüber zunehmend polarisiert und schließlich funktionsunfähig.
1.2.3 Der Interpretationskrieg um den Religionsfrieden
Jahrzehnte, ehe die Waffen sprachen, rangen die Theologen – sie ohnehin –, aber auch, in wachsender Erbitterung, die Rechtsgelehrten miteinander. Anstatt zu Söldnern griff man zu Juristen, die in professioneller Spitzfindigkeit das Beste für die je eigene Seite aus dem Ersten Religionsfrieden herauszuholen versuchten. Das gewiss in der subjektiv ehrlichen Überzeugung, der Wahrheit Breschen zu schlagen! Aber für das Funktionieren des politischen Systems wurde der immer zermürbendere Interpretationskrieg um den Text von 1555 problematisch, weil sich an die Stelle der geschmeidigen Suche nach dem Kompromiss (also der Politik) sukzessive die Rechthaberei setzte. [<<22]
Die „Verrechtlichung“ aller Lebensbereiche ist, wie ganz sicher die „Säkularisierung“ und wohl auch die sogenannte „Sozialdisziplinierung“, einer der elementaren Langfristtrends, die die Frühe Neuzeit ausfüllen. Und dass man sich beim Verrechtlichungsversuch von 1555, weil elementare Überzeugungen divergierten, dehnbarer Formelkompromisse bedient hatte (die Zeitgenossen drückten es anders aus, sprachen vom „Dissimulieren“), ist an sich typisch für die Reichspolitik. Das Regelwerk des Reiches war nicht fest gefügt, sondern locker gefugt, ließ Spielräume für tektonische Verschiebungen. Große Toleranzen also statt Präzisionsarbeit –