Der Grundbestand der Verkündigung des Täufers lässt sich relativ sicher ermitteln; sie ist Gerichts- und Bußpredigt und ganz von einer eschatologischen Naherwartung bestimmt.
Kommender Zorn und Feuergericht
Im Zentrum der Verkündigung des Täufers steht Gottes unmittelbar bevorstehendes Gerichtshandeln (Q 3,7–9): „Schlangenbrut! Wer hat euch in Aussicht gestellt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entkommt? Bringt darum Frucht, die der Umkehr entspricht, und bildet euch nicht ein, bei euch sagen zu können: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Aber schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird daher herausgehauen und ins Feuer geworfen.“ Johannes lebte offenbar in der Gewissheit, dass der ‚kommende Zorn‘ unmittelbar ganz Israel bedroht. Die Metapher der ‚Schlangenbrut‘ dient als Unheilsandrohung, denn Schlangen werden zertreten oder erschlagen. Auch der Rekurs auf Abraham ist nicht mehr möglich und die bedrohliche Gerichtsnähe wird mit der Zeitangabe (ἤδη = „schon“) zugespitzt und durch das Bildwort von der Axt und dem Baum konkretisiert. Alles zusammen macht die Ausweglosigkeit der Situation deutlich. Nirgends begründet der Täufer, warum Gott zürnt; er konfrontiert Israel in aggressiver Selbstverständlichkeit mit seiner Gerichtsbotschaft. Damit steht Johannes in prophetischer Tradition (vgl. Am 5,18–20; 7,8; 8,2; Hos 1,6.9; Jes 6,11; 22,14; Jer 1,14)45, die er bewusst aufnimmt und verschärft, denn die Gerichtskatastrophe kommt nicht irgendwann, sondern steht unmittelbar bevor: Wenn die Axt schon angesetzt ist, muss nur noch die Person kommen, die fällen soll. Die Trennung von Spreu und Weizen durch Worfeln hat schon begonnen, danach wird die Spreu verbrannt (Q 3,17). Auffallend ist, dass bei dem schmalen Überlieferungsbestand gleich dreimal das Feuermotiv als Metapher für das Gericht46 in verschiedener Konnotation begegnet (vgl. Q 3,9.16b.17). Es dürfte für den Täufer charakteristisch gewesen sein, auch wenn es nur in Q und nicht bei Josephus, Markus und Johannes erscheint.
Die entscheidende theologische Weichenstellung des Täufers liegt allerdings nicht in der Schärfe und Dringlichkeit des Vernichtungsgerichts47, sondern in der ausweglosen Situation der Angeredeten. Weil Gericht und Heil immer zugleich Bestandteil des Handelns Gottes sind48, ist Gottes Heilshandeln stets auch sein Gerichtshandeln. Die herkömmliche Stellung der Gruppen innerhalb dieses Geschehens (hier die auserwählten Gerechten, dort die Abtrünnigen und/oder Heiden) verschiebt sich allerdings grundlegend. Der Täufer teilt nicht die im antiken Judentum allgemein verbreitete Auffassung, wonach auf die Einsicht in die eigene Schuld und das Bekenntnis der Buße die Vergebung Gottes folgt, der an seinen Bund mit den Vätern trotz des wiederholten Versagens Israels festhält (vgl. z.B.Neh 9; Tob 13,1–5; PsSal 17,5; LibAnt 9,4; TestLev 15,4). Die bisher offene Möglichkeit der Wiederholung der Buße aufgrund der Erwählung Israels steht nicht mehr zur Verfügung! Die trügerische Hoffnung, Gott werde um des Bundes willen Israel wohl züchtigen, nicht aber ganz verwerfen, denn Gott könne sich nicht untreu werden, wird vom Täufer zerstört. Jerusalem, Tempel oder Tora werden noch nicht einmal erwähnt. Neu und besonders provokativ war schließlich, dass Johannes die Flucht zu Abraham und den damit verbundenen Verheißungen versperrte. Die von Johannes geforderte Umkehr orientiert sich nicht am Gesetz und am Tempel, sondern sie erfolgt in der Taufe49. Dabei geht es nicht nur um eine sittliche Besserung, sondern die Wendung βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (Mk 1,4: „Taufe zur Vergebung der Sünden“) beinhaltet eine anthropologische Prämisse: Das gesamte vorfindliche Israel ist ein Unheilskollektiv und dem Unheilsgericht verfallen. Die von Johannes verkündete Umkehr verlangt von Israel das Bekenntnis, dass Gott mit seinem Zorn im Recht ist. Dieses Bekenntnis ist nach Auffassung des Johannes die letzte Möglichkeit, die Gott Israel einräumt, um dem kommenden Unheil zu entgehen. Gott wird in Kürze seinen Willen universal durchsetzen und es ist die Stellung zur Botschaft des Täufers, die über Heil oder Unheil im Endgeschehen entscheidet. Die Taufe des Johannes als eschatologisches Bußsakrament ist der Ausdruck der geforderten Umkehr und sie verbürgt als eine Art Versiegelung das Heil. Damit ist Johannes der Täufer nicht einfach nur ein Vorläufer des kommenden Richters, sondern er ist zugleich Mittler des Heils, denn seine Taufe ermöglicht es, im kommenden Gericht auf der Heilsseite zu stehen. Wer der kommende Richter sein wird, lässt sich den Texten nicht mehr mit Sicherheit entnehmen.
Der kommende Stärkere
Der Verweis auf einen kommenden Stärkeren ist ein weiteres zentrales Element der Verkündigung des Täufers (Q 3,16b–17): „Ich taufe euch mit/in Wasser, der nach mir kommt, ist jedoch stärker als ich. Ich bin nicht würdig, ihm seine Sandalen zu tragen. Er selbst wird euch mit/in [heiligem Geist und]50 Feuer taufen. Seine Schaufel ist in seiner Hand, und er wird seinen Dreschplatz säubern und den Weizen in seine Scheune einsammeln, die Spreu aber wird er in einem Feuer verbrennen, das nicht erlischt.“ Wer ist der Starke, der nach dem Täufer unmittelbar das Feuergericht vollziehen wird? In der Forschung schwankt man zwischen einer messianischen Gestalt und Gott selbst.
Für eine Identifizierung des Stärkeren mit Gott können folgende Argumente angeführt werden: 1) Nur Gott kann ein neues endzeitliches Handeln jenseits aller überlieferten jüdischen Heilserwartungen vollziehen und Sünden vergeben. 2) In Q 3,17 beziehen sich die Possessivpronomina („seine Tenne“, „seine Scheune“) auf Gott; ὁ ἰσχυρός („der Starke“) ist ein der LXX geläufiger Gottesname, was der Stärkere tut, ist traditionell Gottes Werk (vgl. Jes 27,12f; Jer 13,24; 15,7; Mal 3,19). 3) In Lk 1,15f wird gesagt, dass der Sohn des Zacharias ‚groß sein wird vor dem Herrn‘ und „dass er viele Kinder Israels hinwenden wird zu dem Herrn, ihrem Gott“51. Diesen Argumenten stehen andere gegenüber, die auf eine von Gott zu unterscheidende Mittlergestalt verweisen: 1) Die Beziehung des Täufers zu einem anderen, der „stärker“ ist und eine noch wirkungsvollere Taufe bringt, ist eine Verhältnisbestimmung, die beide Gestalten einem Bereich mit nur graduellem Unterschied zuordnet. 2) Der Anthropomorphismus vom „Tragen der Schuhe“ (Q 3,16b) bzw. vom „Lösen der Schuhriemen“ (Mk 1,7b) ist als Bild für Gott unpassend. 3) Die Frage des Täufers an Jesus: „Bist du der Kommende“ (Q 7,19) setzt eine auf Erden wirkende Mittlergestalt voraus. 4) Wäre Gott der Kommende, dann müsste sich der Täufer nicht so stark abgrenzen, denn Gott war selbstverständlich „der Stärkere“. Eine solche von Gott zu unterscheidende Mittlergestalt könnten der Menschensohn (vgl. Dan 7,13f; äthHen 37–71)52, der davidische Messias (vgl. PsSal 17; Achtzehngebet Ben 14) oder eine messianische Mittlergestalt ohne geläufigen Titel sein53.
Eine Entscheidung ist schwer zu treffen, aber der vom Täufer erhobene Anspruch lässt keinen Platz für eine weitere Mittlergestalt, sondern verweist auf Gott selbst als den in Kürze Handelnden54. Der Täufer proklamiert eine Neukonstitution Israels jenseits von Erwählung,