Sein heißer Atem an meiner Nasenspitze schnürte meine Kehle zu.
»Ähm.«
»Sorry. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Drakon richtete sich sofort auf. So viel Gentleman hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
Die Blätter, die er unter uns vergrößert hatte, damit es wirkte, als säßen wir auf einer Picknickdecke, raschelten. Ich legte mich gemütlicher hin und blickte in den Himmel. Die Wolken, die wie ewig stehengebliebener, kalter Atem eines Riesen ihre Bahnen zogen, brachten mich runter.
»Also?« Drakon ließ sich neben mich fallen und die Blätterdecke wackelte gefährlich.
Ein bisschen überkam mich die Angst, dass wir gleich fallen würden. Da es für Drakon nicht unnatürlich war, zwang ich mich, besonnen zu bleiben.
»Also?«
»Daphne.«
»Zuerst du. Vielleicht nimmst du mich auf den Arm und wenn ich dir etwas erzähle, tust du es nicht, lachst mich aus und haust ab.«
»Mann. Du hast ja echt Vertrauensprobleme.«
»Ja, zum Beispiel wegen Menschen wie dir.« Dieser Kommentar war vielleicht unnötig bissig. Trotzdem hasste ich es, wie er mich darstellte. Wenngleich es auch die absolute Wahrheit war.
»Nun gut.« Drakon drehte sich zu mir.
Er wich meinem Blick aus. Wann hatten wir die Rollen getauscht?
»Meine Familie …« Warum hängen alle Probleme stets mit der eigenen Familie zusammen? »Sie ist ein wenig besonders, wie du mitbekommen hast. Es ist manchmal schwer, dem gerecht zu werden. Unser Familienname umschlingt mich wie eine Lichterkette, die mich anzapft und mir ständig Energie entzieht.« Schon als Drakon angefangen hatte, darüber zu sprechen, huschten seine Blicke auf das Blatt unter uns. Er zeichnete die Fasern mit dem Finger nach, während der Waldduft uns einnahm.
»Hm.« Ich wandte mich wieder dem Himmel zu.
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?« Sein Kopf tauchte über mir auf. Seine sonst zurückgestrichenen Haare fielen ihm wie ein Vorhang ums Gesicht. »Ich bin enttäuscht, oder bist du so abgebrüht, dass dir meine Geschichte zu fad gewesen ist? Fader als ein fader Nachtisch?«
Lächelnd schob ich ihn von mir weg, um den Himmel wieder zu sehen. »Habe mir nur meine Worte überlegt, Junge. Lass mich nachdenken. Weißt du, ich glaube, keine Familie zu haben oder eine, die dich aussaugt, bringt ähnliche Probleme.«
»Was kann man dagegen machen?«
Wieder ließ ich mir Zeit und dieses Mal gab Drakon sie mir.
»Wenn ich das wüsste. Sag du es mir.«
»Und Daphne?«
Es lief auf sie hinaus, natürlich tat es das. Obwohl ich gehofft hatte, er vergäße es.
»Sie ist meine beste Freundin gewesen. Wir haben uns am Athos Berg kennengelernt.«
»Da dürfen doch nur Männer ganz rauf. Und Katzen.«
»Witzbold. Das ist der Punkt. Ich habe dort rebelliert, dass es unfair sei und ich da rauf will.«
»Das kann ich mir vorstellen. Margo, die Rebellenbraut.« Drakon legte sich dicht neben mich und als wir beide dieselben Wolken bewunderten, gab es mir ein vertrautes Gefühl.
»Jedenfalls hat mich ein Kerl in einer Kutte mit verdecktem Gesicht weggezogen.« Die Erinnerung schmerzte. »Es ist Daphne gewesen.«
»Wie, was?«
»Sie hat sich als Mann verkleidet und ausgegeben. Ich weiß noch, wie sie gesagt hat, ich soll mit Verstand erreichen, was ich will, nicht mit Herumschreien und Aufstampfen.«
»Weise Worte.« Dasselbe hatte ich einst zu Daphne gesagt.
Die Erinnerung an ihren frechen Blick, die verschwitzten Haare und die herabbrennende Sonne, die ich heute noch an mir fühlte, tat weh.
»Sie ist auf der Straße, weil sie einer Sekte entkommen ist. Vor Jahren. Jetzt wollte ein Typ mich entführen, als Callidora nur mich und nicht auch Daphne gerettet hat. Es bringt mich um, nicht zu wissen, was mit ihr passiert ist. Ist sie tot? Hat er sie entführt? Oder doch liegen gelassen und sie lebt ihr Leben weiter und denkt, ich habe sie im Stich gelassen? Dieser Kerl will etwas von mir. Vermutlich hat er sie entführt. Als Druckmittel.«
Die Kleinigkeiten ließ ich aus. Das nachts schweißgebadet Auf-wachen, das Aufschreien und wie Harmonia mir ominöse Pflanzen-säfte einflößte, damit ich ein paar Stunden Schlaf fand. Kleinig-keiten eben.
»Ich habe mich so an sie geklammert, weil –« Ein Schatten fiel auf mein Gesicht und ich stoppte, setzte mich auf, um dem nachzugehen.
»Oha. Das hätte ich nie erwartet.«
Diese Stimme, die sich vor mir auftat, sagte mir nichts.
Vor mir tat sich ein Typ auf, der an zwei Lianen hochgehoben wurde und für einen kurzen Moment aussah, als schwebte er neben der Baumkrone.
»Was machst du hier, Sinan?« Drakons komplette Präsenz veränderte sich. Kühler, steifer.
»Dürfen wir die Aussicht nicht auch betrachten?« Noch ein Kerl hob sich auf dieselbe Art wie Sinan zu uns hoch.
Ihm folgten noch vier weitere. Sie umkreisten uns, waren rund um die Baumkrone. Verschränkte Arme, süffisantes Grinsen. Egal, wohin ich mich drehte, man begegnete mir mit einer abfälligen Musterung.
»Was bedeutet das, Drakon?«
Er warf mir einen mitleidigen Blick zu, der sich rascher verhärtete, als ich: »Was ist hier los?«, sagen konnte.
»Ja, Drakon, was bedeutet das?« Sinan äffte mich nach und streichelte sich dabei über die stoppelige Glatze.
Die sechs Typen wackelten von links nach rechts, als hingen sie an Schlangen und nicht an Lianen.
»Sollten wir nicht die Neue kennenlernen?« Drakon stand auf und sah auf mich herab.
Plötzlich war ich die Neue?
»So ist das?« Ein Typ hinter mir sprach.
Seine feuerroten Haare zu einem hohen Zopf gebunden, starrte er mir gierig in die Augen.
»Na, klar. Ihr habt doch selbst gestern erwähnt, sie müsse durchleuchtet werden. Unsere Familien dürften nicht in Gefahr geraten, ausspioniert zu werden.«
Obwohl die Hitze schwer zu ertragen war, bekam ich eine Gänsehaut und fühlte mich so unwohl, dass ich am liebsten vom Baum gesprungen wäre.
»Willst du mich verarschen?« Ich wollte stark wirken. Stattdessen schwankte ich unter dem weichen Blättermaterial.
»Wie redest du mit ihm?« Diesen Kerl mit den Federohrringen kannte ich. Harmonia hatte über ihn gesprochen. Er hieß Ferdinand.
»Ich rede mit ihm, wie ihr mit mir.«
»Ganz schön temperamentvoll. Sonst wolltest du nichts von ihr, Drakon?« Sinans Lippen kräuselten sich und den Ekel, den er mir gegenüber verspürte, versuchte er erst gar nicht zu verheimlichen.
»Was soll ich von einem Straßenmädchen wollen?« Drakons Worte bohrten sich in meinen Kopf, hallten dort nach, ehe mich eine unsichtbare Faust mitten in den Magen traf.
Nein. Das war nicht die Zeit, mich zu einem ihrer Opfer machen zu lassen.
»Schön, dann wären wir uns ja einig, denn stellt euch vor, ich habe auch nur Informationen einholen wollen. Was sollte ich von einem platinblonden Schnösel wollen? Oder von sonst einem von euch?« Alles in mir spannte sich an, als ich meinem ersten Impuls nachging, losrannte und sprang.
Ich hörte das Sausen des Windes in meinen Ohren, das Gelächter der Typen oberhalb