Still!
Stann!
Die Augen …
Nein, nicht gerade aus, sondern dahin, wo eben die zwei wichtigsten Persönlichkeiten des heutigen Tages mit ihrem „Trabbi“ 20 in die Stadt einrollen. Des Hansens Guter Vater und Er, der Hans, Selbst.
Und eben, wie sie – rumpel-die-pumpel! – über das grobe Markt-Pflaster holpern, erzählt der Vater dem Sohn ja auch, wie er in den 30er Jahren, da er noch Hitler-Junge war, hier immer mal wieder im braunen Hemd und mit der Schallmai vor den geblähten Backen, zackig am „Nackschen“ vorbei marschiert war und (fast) Alle auf dem Markt hatten lauthals das gebrüllt:
- Heitler! 21
Lang, lange her …
Heute tuckert der Vater mit dem Trabbi und dem Sohn neben sich über den Markt, lässt sie Beide vor dem Rathaus vorfahren, Sich und den Hohen Sohn dem „Trabbi“ entsteigen, wundert sich kurz, dass sich kein Empfangs-Komitee aufgestellt hat, die Vorgefahrenen ordnungsgemäß in Empfang zu nehmen, verwindet das dann aber doch.
Wir hier aber wollen erst mal kurz noch berichten, wie das Alles am Vortag begonnen hatte, da unser Hans von der Hauptstadt her in der Marx-Stadt angereist war, wo ja die Genossen Eltern wohnen. Bissel liederlich angezogen zwar wieder mal – die Schuhe z. B.: Nicht ordentlich geputzt! Kein Schlips am Kragen …
Na ja, wie der liederliche Sohn eben so ist …
Und heute, früh am Morgen, hatte sich der Genosse Vater flugs in seine grüne Majors-Uniform geworfen, hatte sich alle Orden an die Brust geheftet, die sonst immer nur in ihrem Papp-Schachteln in der Schrankwand rum lagen und hatte stolz beobachten dürfen, wie sich nun auch der Sohn endlich mal in Schale warf: Schlips am Kragen, Partei-Abzeichen am Revers – auch, wenn das Hemd kariert und nicht weiß war, wie sich das eigentlich gehörte. Immerhin aber: Wenigstens die Schuhe waren heute mal ordentlich geputzt!
Flott war der Vater dann zur Garage unten vor dem Neubau-Haus hin geschritten, war mit dem „Trabbi“ vor dem heute Hohen Sohn vorgefahren und hatte diesen den Wagen besteigen lassen.
Dann hatte Er, Werner Huber, Major der Deutschen Volkspolizei, Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes usw. sich und den Sohn, da noch Mitglied der SED, der FDJ, der DSF, des FDGB usw., nach hier her in ihre frühere kleine Heimat-Stadt kutschiert.
Wo sie nun also, mit Ihm an der Spitze, der den Hohen Sohn schließlich gemacht hat, ins Rathaus einschreiten, das Essen einzunehmen, das ihnen zu Ehren heute hier zunächst gegeben werden soll. Beifall brandet zwar auch da wieder nicht auf, wie Sie beide den Raum betreten und auf den Ihnen zugewiesenen Plätzen Platz nehmen. Neugierig beäugt aber werden Sie schon von den Honorationen der kleinen Stadt, die sich heute hier versammelt haben.
Wie Sie Sich dann aber der Essens-Einnahme hingeben, da kann der Gute Vater doch nicht einfach nur so an seinem Schnitzel rum schnippeln. Da muss Er seinen Nachbarn doch gleich erst mal das erzählen:
Wie gut der von Ihm Gemachte immer schon war!
- Schon als Pionier: Kreis-Meister im Chor-Singen!
- Aha …
- Und danach dann! Als FDJ’ler: Sekretär von der ganzen Schule!
- Ach nee!
- Ja! Von der größten Schule der ganzen Stadt – 800 Schüler!
- Oh! Oh!
- Und danach dann! Volontär 22 bei der zweitgrößten Zeitung des ganzen Landes! Eine Million Auflage!
- Ach da, wo wir angerufen haben: „Junge Welt“?
- Richtig!
Und auch das berichtet der aufgeregte Vater dann gleich noch mit: Wie er den Sohn da zum Vorstellungs-Gespräch hatte anrollen lassen.
- Natürlich nicht einfach mit dem Zug!
- Wie dann?
- Mit einem EMW 23! Den hab’ ich mir in meiner Dienststelle genommen. Geht doch, als Major. Und mit dem hab’ ich mich und den Sohn dann in die Hauptstadt zur Volontärs-Aufnahme-Prüfung hin fahren lassen.
- Ach nee!
- Ja!
- Und? Angenommen?
- Na klar! Wer so vorfährt …
- Klar!
Weiter und weiter erzählt der Gute Genosse Vater beim Kauen. Sohn Hans sitzt stumm dabei, kaut auch und hört dabei erstaunt, was da Alles wie abgegangen sein soll in seinem Leben. Dass sein Genosse Vater die Welt also wieder mal so darstellt, wie sie auf dem Papier steht und nicht so, wie sie in Wirklichkeit ist.
Wie gestern erst wieder …
Hatte der Hans da doch von der Wohnung der Eltern her seinen Freund Wölfchen angerufen, der gleich nach der Schule zu Rügen-Radio gegangen war, von wo aus die Funk-Verbindung zu den DDR-Schiffen auf den Meeren der Welt gehalten wird. Und was ihm sein Wölfchen da berichtet hatte!
War der doch eben mit einem DDR-Schiff in Funk-Kontakt gewesen, das schon seit einem Vierteljahr vor Kuba auf Rede lag und nicht und nicht in den Hafen rein gelassen wurde!
- Warum nicht?“
Das hatte unser Hans da den Freund gefragt.
- Na, die Kubaner haben gesagt, dass sie erst mal die kapitalistischen Schiffe abfertigen müssen …
- Und unser Schiff muss da warten? So lange???
- Weil das so teuer wäre, wenn sie die kapitalistischen Schiffe warten lassen …
- Unsere kubanischen Genossen???
- Richtig! Freunde müssten ein Einsehen haben, haben die gesagt …
- Ein ganzes Vierteljahr nun schon???
- Genau!
- Freundschaft!
Und genau das hatte der Hans seinem Vater, wie der abends vom Dienst heim gekommen war, auch gleich erzählt. Woraufhin der entschieden das sprach:
- Das stimmt nicht!
- Aber das Wölfchen, der hat doch eben …
- Das stimmt nicht!
- Der hatte das doch eben am Apparat, unser Schiff da vor Kuba …
- Kann nicht sein!
- Wenn er es doch aber eben erzählt hat!
- Der lügt!
- Mein Wölfchen???
- Unsere kubanischen Genossen lassen unser Schiff nicht vor ihrem Hafen rum liegen! Basta!
Hans Huber, wie er sich daran erinnert, schmunzelt. Er kaut und prostet den Honorationen der Stadt zu, die den geschönten Berichten seines Vaters über ihn, den Großen Sohn, immer weiter – scheinbar interessiert – lauschen.
Bis dass das Essen gegessen ist und es endlich nach da hin abgehen kann, wo sich heute die eigentliche Feierlichkeit ihrer Stattfindung hinzugeben hat: In die NVA-Kaserne 5) am Stadtrand. Da, wo heute eine Ausstellung zu Ehren des nun schon 100. Geburtstages jenes Mannes eröffnet wird, der den kleinen Hans vor nun auch schon so sehr vielen Jahren mal in den Armen hielt.
Rollen sie also ein in die Kaserne. Jubel-Publikum ist zwar auch hier wieder nicht aufgestellt, sie zu beklatschen.
Was aber soll’s?
Gleich