- Vorsicht!
Er senkt das scheintote Flügeltier behutsam zu Boden und legt es da verkehrt herum ab. Das arme Viech, die Hühner-Augen fest geschlossen, die Krallen steif nach oben gereckt, bleibt still und stumm im Stroh liegen, während es wohl das bei sich denkt:
- Tote Hühner sind schon tot, müssen also nicht mehr zum Schlachthof hin verbracht werden!
Es ist Montag und also wieder mal neben-abitürliche Berufsausbildung. Weshalb unser Hans und die anderen Jungs heute nun hier in diesem Stall einer der stadtnahen LPG’s 29 aufgestellt sind. Und schon auch spurtet der Meister wieder los, greift sich das nächste der aufgeregt im riesigen Stall herum flatternden Viehcher, dreht auch dieses ruckartig um und legt es vorsichtig neben der da immer noch stramm und stumm liegenden Hennen-Schwester ab.
Und noch eine fängt er und noch eine. Um sie dann alle der Reihe nach auf dem Rücken nebeneinander hin zu legen, wo die Viecher auch aufgeregt starr liegen bleiben.
Stillen Schritts schreitet der Meister dann zurück zu seinen Jungs, teilt sie in zwei Gruppen ein und spricht zu der einen:
- Ihr macht das, was ich eben gemacht habe!
Zu der anderen spricht er:
- Und ihr sammelt die Viehchers dann ein und schafft sie dort hin!
Sein Finger zeigt auf den großen Käfig auf Rädern, der da am Rande des Massen-Tier-Stalls steht.
Und natürlich macht er auch das gleich erst mal wieder vor. Schreitet also vorsichtig zurück zu den immer noch starr am Boden liegenden Hennen und packt eine von denen urplötzlich bei den steif zum Himmel gereckten Krallen. Die Henne ihrerseits schreckt nun doch erschrocken auf, gackert wild und flattert aufgeregt – was ihr freilich, wir ahnen es – nichts nutzt. Und schon auch packt der Meister mit der anderen Hand das nächste steif da rum liegende Huhn. Auch das bereut nun wohl heftigst, sich bis eben noch tot gestellt zu haben. Es flattert und gackert heftigst. Auch ihm aber nutzt das nichts. Schon nämlich ist der Meister mit seinen beiden Gefangenen bei dem rollenden Knast angelangt und wirft sie da schwungvoll hinein.
Die Viecher flattern und gackern noch aufgeregter.
Aber, aber: Zu spät!
Während der Meister nun das zu seinen Jungs spricht:
- Los geht’s!
Und schon auch stürmen die Jungs der ersten Gruppe los, fangen die verwirrten Hühner-Viecher ein, drehen sie ruckartig um und legen sie in Reih und Glied auf dem Stroh-Boden ab.
Die Jungs der zweiten Gruppe schleichen sich still an die umgelegten Viehcher heran, packen sie bei den steifen Beinen, schleppen sie hin zu dem Gefängnis auf Rädern und sperren sie da vorschriftsmäßig ein.
Und immer weiter geht das so.
Den Tag lang ganz.
Bis dass die Hühner-Knäste rammeldicke voll sind und die Viecher irgendwann dann von einem LPG-Bauern per Träcker zur Hinrichtung auf den Schlachthof der nahen Stadt hin verbracht werden.
Und wie sich die Jungs am Ende dieses denkwürdigen Tages in der Umkleidekabine der LPG dann aus ihren weißen Anzügen wieder in die Zivilklamotten hinein begeben, da kann es natürlich nur das geben:
Jubel!
Trubel!!
Heiterkeit!!!
Fast kaputt lachen sich der Hans und die anderen Jungs. Was sie da heute zu lernen hatten:
Hühner umlegen!
Und???
Welchen Beruf hatten sie da heute eben wieder zu erlernen gehabt???
LPG-Bauer?
Oh no!
Diesen:
Rohbaumonteur der Deutschen Demokratischen Republik.
Und das war da gerade der deutsch-demokratisch-republikanische Name wofür???
Wenn nicht:
Maurer!?!
Und Du, liebe Leserin, lieber Leser, fragst Dich nun wohl gerade das:
- Als werdender Maurer Hühner einfangen???
Und hättest Du es den Meister der Jungs gefragt, dann hätte der wohl kurz nur das gesprochen:
- Eine Hand wäscht die andere!
Wie das im ehemaligen Land eben so war: Hatte der Meister der Jungs am Abend zuvor doch mit einem Guten Bekannten – seines Zeichens LPG-Vorsitzender – bei einem Bier in einer Kneipe gesessen und war da dann das zwischen den Beiden hin und her gegangen:
- Du hast doch von der Partei diese Oberschülers aufgedrückt gekriegt …
- Ja, und? Gibt’s was zu bauen?
- Nee! Einfangen!
- Ich bilde doch keine Polizeier aus! Und Stasi-Leute schon gar nich! Nee!
- Menschen doch nich!
- Was denn dann?
- Hühner!
- Die sollen meine Jungs …???
- Einfangen! Seid ihr an dem Tag eben mal nicht auf der Baustelle, sondern im Stall …
- Ach so!
- Prost!
Na, und so war das dann immer weiter hin und her gegangen. Bei einem oder zwei, oder auch vier oder fünf Bierchen und einem oder zwei Schnäpsen dazu …
Und natürlich wurde da nicht nur besprochen, wie die eine Hand die andere waschen würde, sondern auch die andere die eine. Fragte da nämlich der Meister der Jungs das:
- Und? Was kriege ich dafür?
- Einen Gänsebraten!
- Weihnachten is doch aber noch gar nich!
- Na gut: Paar Broiler 30 vielleicht?
- Gut! Geht so …
Würde der Meister der Jungs so also seinen Hände-Wasch-Lohn bekommen und würde die Viehchers hernach auch gleich von seiner Frau in die da noch „Broiler“ geheißene Speise umwandeln lassen.
Und war er nun also besiegelt, der da noch nicht „Diel“ geheißene Vorgang.
- Prost!
Wir hier aber, liebe Leserin, lieber Leser, gehen nun doch dahin, wo der Beruf, den unser Hans neben dem Abitur her zu erlernen gehabt hatte, wo der richtig zu erlernen gewesen war: Ab auf die Baustelle!
Ganz in Weiß
- Ihr werdet schon seh’n!
Diesen geheimnisvoll komischen Satz spricht ihr Meister diesmal, da die Jungs dann doch wieder auf einer richtigen Baustelle sind. Hatte da einer von ihnen den Meister doch eben gefragt, warum sie heute einen möglichst großen Hut mit einer möglichst breiten Krempe mitbringen sollten???
Gut behutet also, ansonsten aber ganz in Weiß, trotten der Hans und die anderen Jungs den