Der Andere - Auto-Bio-Grafie eines bisher noch Unbekannten. Dietmar Halbhuber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Halbhuber
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783969405512
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kommen wird. Schon die Tage zuvor hatte die Mutt’l zu ihrem Seppel ja immer das gesprochen:

      - In drei Tagen kommt er! 12

      - Nur noch zwei Tage! 13

      - Morgen ist es so weit! 14

      Heute nun endlich! Gleich früh am Morgen hatte die Mutt’l sich in ihre frisch gebügelte FDJ-Bluse gesteckt, hatte auch ihren Seppel hübsch bissel rausgeputzt, ihn dann bei der Hand und mit nach hier zur „Jahn-Kampf-Bahn“ hin genommen. Und hier nun stehen und stehen sie also mit den vielen, vielen anderen Leuten der Stadt seit Stunden rum und haben dabei immer nur das zu tun:

       Warten!

       Warten!!

       Warten!!!

      Und neben der Mutt’l vor ihm stehen ja auch noch die vielen anderen blauen jungen Frauen, die sich alle fest bei den Händen halten. Warum, das hatte die Mutt’l ihrem Seppel vorhin so zu erklärt:

      - Absperrkette heißt das. 15

      Dass also die Leute, die heute alle nach hier ins Stadion gekommen sind, dass die dem Hohen Onkel nicht etwa zu nahe treten oder ihm gar etwas antun tun! Umbringen oder so …

       Bis dass es passiert!!!

      Aufregung vorne beim Stadion-Tor! Der Seppel guckt aufgeregt hin und sieht da auch gleich, wie sich die Onkels dort berappeln und stramm in einer Reihe aufstellen. Wer das ist, das hatte ihm die Mutt’l vorhin so erklärt:

      - Die wichtigsten Onkels von der ganzen Stadt sind das!

      Bürgermeisters, oder wie die heißen. Und ihre Dieners oder so … Und schon auch rollen Autos ins Stadion ein. Und was das für Autos sind! So groß und so schwarz! Und wie viele das sind! Und die Leute im Stadion: Wie die toben! In die Hände klatschen und klatschen sie und rufen alle zusammen immer wieder:

       - Hoch!

       – Hoch!!

       – Hoch!!!

      Und wie laut die das schreien!

      Der Seppel horcht und guckt aufgeregt hin, sieht, wie die Autos anhalten, sieht Leute in schwarzen Anzügen aussteigen. Und was das nun wieder für Leute sind, das hatte ihm die Mutt’l ja auch noch mit erklärt:

      - Die allergrößten Onkels vom ganzen Land sind das! 16

      Und da sieht der Seppel dann endlich auch den Onkel aus dem Auto steigen, auf den er seit Tagen so sehr zu warten gehabt hatte. Den Allerobersten Groß-Onkel vom ganzen Land:

       Onkel Pieck!

      Und wie wichtig der aus dem Auto steigt! Als wie:

      - Guckt mal: Ich bin da!

      Und wie die Onkels, die da vor ihm aufgestellt sind, wie die gleich Alle losklatschen! Als wie:

      - Ja, wir sehen es!

      Und wie auch die anderen Leute im Stadion da mitmachen und wie verrückt die alle klatschen tun!

       Jubel!

       Jubel!!

       Jubel!!!

      Und da nun jubelt natürlich auch der Seppel mit. Hüpft und hupft und klatscht und klatscht dabei in seine kleinen Hände. Ganz so, wie es ihm die Mutt’l vor sich vormacht. Und wie die sich jetzt jubeln und klatschen und die Arme zum Winken hoch reißen lässt! Ganz außer sich ist sie! Und da ist das der Seppel natürlich auch: Außer sich!

      Bis dass er auf einmal das sieht: Die Absperr-Kette vor ihm, sie hat ein Loch!

      Wie die Mutt’l nämlich so närrisch klatscht und winkt, da kann sie doch die beiden Frauen neben sich gar nicht mehr bei den Händen halten, wie bis eben noch! Geht doch gar nicht!

      Was aber kann das nur heißen???

      Wenn nicht:

       Absperr-Kette futsch!

       Weg durch die Mauer frei!!

       Na da aber!!!

       Da!!!!!

      Seppelt der Seppel doch gleich erst mal frisch durch das Mauer-Loch durch und rennt, rennt, rennt! Immer weiter! Nischt wie hin zu dem Hohen Onkel, der da auf der Aschenbahn lang marschiert!

      Und rufen tut der Seppel dabei immer nur das eine Wort:

       Onkel Pieck!!

       Onkel Pieck!!!!

       Onkel Pieck!!!!!! 17

      Und irgendwann dann bemerkt ihn der Große Onkel auch, staunt erst bissel, breitet dann aber beide Arme aus, fängt den Seppel auf, nimmt ihn hoch, setzt sich ein breites Lächeln ins Gesicht, lässt es abstrahlen auf den Kleinen und lässt sich und ihn von den Genossen Fotografen der mit angereisten Partei- und Staats-Presse ablichten und also festhalten für die morgige Zeitung und alle späteren Zeiten.

      Der Seppel derweil staunt auf den Kopf hinunter, dessen Gesicht ihn da so freundlich anstrahlt und denkt da das bei sich:

      - Also nee!

      Und wie laut die Leute im Stadion nun gleich noch viel mehr klatschen! Und wie sie sich alle freuen!

      Und jubeln!

      Und trubeln!

      Na, irgendwann dann setzt der Onkel Pieck den Seppel doch wieder auf dem Stadion-Fußboden ab – hat hier und heute schließlich noch Anderes zu tun.

      Eine Rede halten zum Beispiel, in der er alle Anwesenden zu all den errungenen Erfolgen im Kampf für Frieden, Einheit und Aufbau, wie auch zu dem sich eben der Stattfindung hingebenden 1. Mai beglückwünschen wird.

      Unser Seppel aber seppelt erst mal hurtig zu seiner Guten Mutt’l zurück. Die hat Tränen in den Augen. Waren da doch eben Erinnerungen in ihr auf- und abgestiegen. Wie sie kurz nach dem Krieg erst die „FDJ“ genannte „Freie Deutsche Jugend“ hier in der Stadt mit gegründet und wie sie dabei dann seinen Vat’l kennen gelernt hatte. Und dass sie beide nun, nachdem die Mutt’l ihren Bruder und der Vat’l gleich mehrmals fast sein ganzes Leben im Krieg verloren hatte, dass sie Beide nun kräftig am Aufbau einer ganz neuen Welt mitwirken und mitstreiten wollen für die, wie sie beide auch später in ihrem Leben immer noch und immer wieder sagen werden, Gute Sache!

      Weinend und strahlend empfängt die Mutt’l nun ihren Seppel, streichelt ihm aufgeregt stolz über den kleinen Kopf und lässt sich dann gleich erst mal berichten, wie das wohl war auf dem Arm vom dem Hohen Onkel.

      Erstattet der Seppel also aufgeregt Bericht und spricht:

      - Der hat aber einen großen Kopf, der Onkel Pieck 18

       Ritter-Schlag

      Stramm, den Hammer straff geschultert, steht der „Nacksche Mann“ 19 auf dem Marktplatz von Frankenberg/Sachsen. Unter ihm plätschert es, wie immer, fröhlich heraus in den