Daniel Trachsel (2011: 192)
Im menschlichen Körper, in den Säugetieren allgemein sowie in anderen Tieren und in Pflanzen finden sich viele Tryptaminderivate, auch psychoaktiv wirksame. Die genaue Funktion der psychedelischen Moleküle in Lebewesen kann sich die Wissenschaft, insbesondere die Neurobiologie, bislang nicht erklären. Neben Tryptamin, DMT und 5-MeO-DMT sind im menschlichen Organismus u. a. Bufotenin (5-HO-DMT) und 6-HO-DMT entdeckt worden, wobei Letzteres ein sogenannter Metabolit, also ein Stoffwechselprodukt, von DMT ist. »Vermutlich kann der ganze ›enzymatische Apparat‹, der in Säugetieren existiert, Tryptamin aus Tryptophan, DMT aus Tryptamin und 6-HO-DMT aus DMT herstellen.« (Trachsel 2011: 204)
Tryptophan, genauer L-Tryptophan ist ein Eiweißbaustein und damit Bestandteil von Eiweißen (Proteinen) und den verwandten Peptiden. Es kann von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren produziert werden, was bedeutet, dass förmlich überall in der Natur eine potenzielle DMT-Synthese möglich ist. Menschen produzieren im Körper kein eigenes Tryptophan, sondern führen es sich als essenzielle Aminosäure über die Nahrung zu.
Lewis R. Mandel vom Merck Institute for Therapeutic Research, Rahway, New Jersey, publizierte mit Forscherkollegen 1977 den Nachweis der DMT-Biosynthese in Pflanzen, wonach aus der essenziellen Aminosäure L-Tryptophan Tryptamin synthetisiert und aus Tryptamin erst N-Methyltryptamin (NMT) und schließlich DMT hergestellt wird. Die Forschergruppe folgerte, dass dies auch im Menschen und in Tieren so funktionieren könne, weil alle enzymatischen Voraussetzungen und die notwendigen molekularen Substrate – nämlich Tryptamin und S-Adenosylmethionin38 – im Zellgewebe von Mensch und Tier gegeben sind. (Mandel et al. 1977) Der US-amerikanische Chemiker Alexander Shulgin erklärt die Biosynthese in Pflanzen: »So gut wie alle pflanzlichen Synthesewege zur Erzeugung eines interessanten DMT-Derivats beginnen mit der Aminosäure Tryptophan. Um die Biosynthese zu bewerkstelligen, hat die Pflanze zwei Möglichkeiten: Sie kann das Tryptophan decarboxylieren und anschließend durch Methylierung in Tryptamin umwandeln, oder sie kann das Tryptophan einer Methylierung unterziehen und anschließend decarboxylieren.« (Shulgin und Shulgin 1997: 281f.)
Auch Serotonin (5-HT, 5-Hydroxytryptamin) ist innerhalb unserer Biosynthese ein Stoffwechselprodukt des Tryptophans und strukturell eng mit DMT verwandt. Es kann beim Menschen, wie übrigens auch Tryptophan selbst, als Antidepressivum und schlafförderndes Mittel eingesetzt werden. Der US-amerikanische psychedelische Visionär Terence McKenna spekuliert zur Beziehung zwischen Serotonin und DMT: »Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen DMT und Serotonin ist vielleicht ein Hinweis auf das große Alter der evolutionären Beziehung zwischen dem Stoffwechsel des menschlichen Gehirns und diesen besonderen Substanzen.« (McKenna 1996a: 306)
Das ebenfalls eng verwandte Melatonin wird wiederum aus Serotonin gebaut und könnte an der körpereigenen Produktion oder Verwertung von DMT beteiligt sein. Allerdings nicht in Form einer chemischen Vorstufe. Immer wieder ist – vor allem in diversen Texten im Internet – zu lesen, dass ein möglicher Weg der DMT-Biosynthese in der Umwandlung von Tryptophan zu Tryptamin, von Tryptamin zu Serotonin, von Serotonin zu Melatonin und von Melatonin zu DMT bestehe. Das ist allerdings nicht möglich, wie der US-amerikanische Chemiker, Neurochemiker und DMT-Forscher Steven A. Barker von der Luisiana State University erläutert: »Melatonin kann biochemisch nicht in DMT umgebaut werden, aber es könnte Einfluss auf die DMT-Synthese oder eine Freisetzung von abgelagertem DMT nehmen. Das wäre dann ein synergetischer Effekt.« (J. C. 2015)
Der Leipziger Chemiker, Mykologe und Substanzforscher Jochen Gartz erklärt, dass es nicht nur einen einzigen Weg der Biosynthese gibt, sondern diverse Möglichkeiten, und weitet das Ganze auch auf die eng verwandten Pilzwirkstoffe aus: »Es kann bei den biochemischen, allgemeinen Wegen immer auch Nebenwege geben. Aber im Prinzip wird vom Tryptophan durch Decarboxylierung das Kohlendioxid abgespalten und Tryptamin entsteht. Das wird stufenweise zum N-Methyltryptamin und dann zum DMT methyliert. Dass der Weg stimmt, sieht man an den allgegenwärtigen Nachweisen dieser Stoffe als Nebenalkaloide in Pflanzen. So kann man sich auch vorstellen, dass Serotonin dann aus Tryptamin entsteht, das ebenfalls zuerst aus Tryptophan gebildet wird. Es können später auch Acetylgruppen angelagert werden. Allgemein wird die Hydroxylierung – bei Bufotenin die Hydroxygruppe in fünfter Position – zum Schluss aus DMT vorgenommen, diese Gruppe ist auch die labilste Gruppe, die deshalb danach mit Phosphat zum Psilocybin oder zum 5-Methoxy-DMT stabilisert wird. Der Pilzwirkstoff Baeocystin zeigt in seiner Verbreitung an, dass es auch hier stufenweise zugeht, eventuell sogar mit noch einer Methylgruppe zum Aeruginascin. Die Ringschlüsse zu den Beta-Carbolinen kommen zum Schluss. Meines Wissens ist es ungewiss, ob das 5-Hydroxytryptophan im Körper tatsächlich zum Serotonin glatt hergestellt wird. In den Panaeolus-Arten (Düngerlinge, eine Pilzgattung) ist es neben dem Serotonin auch immer nachweisbar, hier ist es wahrscheinlicher, dass Tryptophan zuerst hydroxyliert wird. Es ist verführerisch, Fütterungsversuche mit solchen Substanzen zu machen. Werden sie umgesetzt, ist das noch kein Zeichen für den eigentlichen Biomechanismus! Denn die Oxydasen fressen gern angebotene Substrate, wie auch Pilze viele Stoffe zersetzen.«39
Fakt ist, dass DMT sowohl in Pflanzen und Pilzen als auch im menschlichen und tierischen Körper produziert wird, wenn auch die Mengen, die von Wissenschaftlern entdeckt wurden, sich tatsächlich auf Spuren beschränken. Steven Barker hatte dazu erläutert, dass die Forschung zurzeit lediglich in der Lage sei, Mengen bis zum Nanogrammbereich (Nanogramm = Milliardstel Gramm) und darüber zu messen. Wenn also DMT beispielsweise im Pikogrammbereich (Billionstel Gramm) vorhanden ist, kann das derzeit schlichtweg nicht festgestellt werden. (Barker: DMT – The Spirit Molecule40)
Auf der anderen Seite könnte die ganze Sache aber auch ein simples technisches Problem sein, da DMT ein sehr flüchtiger Stoff ist und im Körper sehr schnell metabolisiert, also verstoffwechselt, und u. a. vom körpereigenen Monoaminooxidase-Enzymsytem (MAO) abgebaut wird. »Nach nur ein paar Hundert Sekunden haben diese Enzyme das DMT vollständig und auf völlig unschädliche Weise inaktiviert und zu Nebenprodukten des gewöhnlichen Stoffwechsels zerkleinert. Dass beim stärksten aller halluzinogenen Indolalkaloide die üblichen Aminkonzentrationen im Gehirn so schnell wiederhergestellt sind, spricht dafür, dass es vielleicht eine im Rahmen einer gemeinsamen Evolution stehende lange Verbindung zwischen Menschen und halluzinogenen Tryptaminen gibt.« (McKenna 1996a: 320) Saavedra und Axelrod hatten Anfang der Siebzigerjahre den von ihnen auf Dimethyltryptamine untersuchten Ratten zuvor einen MAO-Hemmer gegeben, damit das DMT in deren Organismus nicht direkt abgebaut wird. Steven Barker berichtet in diesem Zusammenhang von einer kleinen Studie, in der die Fragestellung beantwortet werden sollte, ob die Applikation eines MAO-Hemmers die Nachweisbarkeit von DMT und dessen Metaboliten DMT-N-oxid in Urin und Speichel verbessern kann. Barkers Fazit: »Die Resultate weisen darauf hin, dass dem nicht so ist.« (J. C. 2015)
Chemische Strukturformel des DMT-N-oxids.
Die schnelle Verstoffwechselung und Flüchtigkeit wurden schon Mitte der Siebzigerjahre erstmals beschrieben und als Begründung für die kurze Wirkdauer der Substanz und auch für die fehlende Toleranz angeführt. (Kaplan et al. 1974; Gillin et al. 1976) Robin M. Murray und Michael C. H. Oon von den Departments of Psychiatry and Biochemistry am Londoner Institute of Psychiatry stimmen überein: »Die schnelle Verstoffwechselung des DMT sorgt dafür, dass die Substanz sich im Blut rasch verflüchtigt.« (Murray und Oon 1976) Und auch die in London tätige Pharmakologin Dominique Fontanilla bestätigt das: »DMT kann in der Lunge von Säugetieren und in Nager-Gehirnen aus Enzymen hergestellt werden. (…) Aufgrund der schnellen Verstoffwechselung des DMTs können bisher keine definitiven quantitativen Nachweise erbracht werden.« (Fontanilla et al. 2009)
WIE FUNKTIONIERT DIE BIOSYNTHESE VON DMT UND VERWANDTEN IM DETAIL?
Die endogenen Psychedelika werden im Organismus von Mensch und Tier mittels spezieller Vorläufersubstanzen und Mechanismen hergestellt. Dafür sind bestimmte Enzyme (Proteine) notwendig, die die Synthese der letztlichen Endopsychedelika aus körpereigenen Molekülen katalysieren, also anstoßen, fördern und möglich machen. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wies der spätere Nobelpreisträger Julius Axelrod vom