Für den dem staatlichen Recht verpflichteten Juristen eröffnet sich ein Arbeitsfeld, wenn die Gruppe oder Organisation für bestimmte Teilbereiche ihren allein durch die Binnenautonomie geprägten Raum verlässt und in den staatlichen Rechtskreis eintritt.3 An Autonomie gewohnte Personen oder Organisationen haben dabei typischerweise das sehr engagiert verfochtene Ziel, auch bei Kontakten nach außen ihre Autonomie und das autonom Geschaffene so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Das schafft Probleme. Ein zweiter Aufgabenbereich wird eröffnet, wenn Gruppe oder Organisation in eine – nicht notwendig freiwillige – Berührung mit Trägern konkurrierender Rechte kommen. Kommt es dann zu Konflikten, bedarf es zunächst der Gewichtung der Rechtspositionen. Bei Gleichgewichtigkeit müssen die einander gegenüberstehenden Rechtspositionen miteinander abgeglichen werden. Ziel dieser Gedankenoperation muss es sein, die jeweils verfassungsrechtlich garantierten Rechte beiderseits möglichst weitgehend wirksam zu erhalten.4
II. Kirchliche Arbeitsverhältnisse und staatliches Arbeitskampfrecht
Das vieldiskutierte Thema Arbeitskampf und Kirche gehört in den angesprochenen zweiten Bereich. Zu einer grundlegenden Stellungnahme war das Bundesarbeitsgericht im Jahre 2012 aufgerufen. Es fällte dazu am 20. November 2012 ein Urteil, das für die katholische Kirche und ihre Einrichtungen unmittelbar einschlägig ist, weil es sich mit dem Dritten Weg5 befasst.6 Auf ihm entstehen im katholischen Bereich durchgängig die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, die arbeitsvertraglich in Bezug genommen und so zum maßgebenden Inhalt der Arbeitsverhältnisse werden.
Im Rechtsstreit ging es um die Klage verschiedener kirchlicher Einrichtungen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der beklagten Gewerkschaft ver. Di zu Warnstreiks aufgerufen worden waren. Dies war geschehen, nachdem sich die Einrichtungen unter Hinweis auf das für sie maßgebende, konkret aber stockende Arbeitsrechtsregelungsverfahren des Dritten Weges geweigert hatten, in Tarifverhandlungen einzutreten. Die Einrichtungen machten geltend, Streikaufrufe seien ihnen gegenüber rechtswidrig. Sie verletzten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV. Dieses Recht erlaube es den Kirchen, die privatrechtlich begründeten Arbeitsrechtsverhältnisse am Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft7 auszurichten. Dieses beruhe auf dem Bekenntnis, dass alle dort beschäftigten Dienstnehmer in Gemeinschaft mit den jeweiligen Dienstgebern den Auftrag der Kirche in der Welt erfüllten. Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche verpflichte zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und gebiete eine konsensuale Lösung von Konflikten um den Inhalt von Arbeitsbedingungen. Hierfür sei ein kollektives Regelungsverfahren erforderlich, das auf den Grundsätzen von Partnerschaft und Kooperation beruhe, und in dem Konflikte ohne Arbeitskämpfe über eine Schlichtungskommission ausgetragen würden. Ein Arbeitskampf zerstöre die Dienstgemeinschaft und hindere die Kirche für dessen Dauer an der Erbringung ihres Auftrags. Das kirchenrechtlich niedergelegte Verbot des Arbeitskampfes in kirchlichen Einrichtungen müsse deshalb auch von den staatlichen Gerichten geschützt, seine Durchsetzung gesichert werden.
Die beklagte Gewerkschaft berief sich demgegenüber darauf, dass ihr im allgemeinen Arbeitsleben, an dem sich ja auch die kirchlichen Einrichtungen beteiligten, das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleistet sei. Die beiden einander gegenüberstehenden Rechtspositionen von verfassungsrechtlichem Gewicht hat das Bundesarbeitsgericht zunächst – was die Rechte der Kirchen angeht, zu Recht auch unter Rückgriff auf Art. 4 GG,8 – als grundsätzlich gleichwertig bewertet (Rn. 103 ff.; 110 ff.). Auf dem Weg zu einem möglichst schonenden Ausgleich der so einander gegenüberstehenden Rechte ging es davon aus, das Selbstbestimmungsrecht einer Religionsgesellschaft und die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft schlössen sich nicht wechselseitig aus. Die Rechte kollidierten aber, wenn die einzelnen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, was das Verfahren zur kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen angeht, wahrgenommen würden. Auf der einen Seite stünden das Leitbild der Dienstgemeinschaft und das kooperative Verfahren mit der Möglichkeit einer Schlichtung durch neutrale Dritte. Dem stehe auf der anderen Seite das damit unvereinbare Regelungsmodell des staatlichen Tarifrechts gegenüber, in dem erst durch Druck und Gegendruck, mit Hilfe kampfweiser Arbeitsniederlegung und Nichtbeschäftigung, angemessene Verhandlungsergebnisse erreicht werden könnten. Es müssten deshalb beide Regelungsmodelle miteinander verglichen und möglichst schonend einander angenähert werden.
Bei der gebotenen Herstellung praktischer Konkordanz sei davon auszugehen, dass die Kirchen bei der Ausgestaltung ihres Regelungskonzepts nicht völlig frei seien. Sie müssten Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG nehmen. Ihr Konfliktregelungsmodell dürfe die Koalitionsfreiheit und das Konzept der Tarifautonomie nur insoweit verdrängen, wie es für die Wahrung ihres Leitbildes der Dienstgemeinschaft erforderlich sei. Das angestrebte Ziel eines fairen, sachgerechten und verbindlichen Interessenausgleichs müsse tatsächlich erreicht werden. Hiervon ausgehend erkannte das Bundesarbeitsgericht den Kirchen und ihren Einrichtungen nur dann den Schutz staatlicher Gerichte vor Arbeitskampfmaßnahmen einer Gewerkschaft zu, wenn das kirchliche Arbeitsrechtsregelungsverfahren drei Bedingungen erfüllt:9
(1) Widerstreitende Arbeitsvertragsinteressen können im Wege kollektiver Verhandlungen nur dann fair und angemessen ausgeglichen werden, wenn die Verhandlungen bei annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft durchgeführt werden. Das kirchliche Konfliktlösungsmodell genügt dieser Vorgabe nur und kann den Vorrang vor dem Jedermann-Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG beanspruchen, wenn die Verhandlungsschwäche der Dienstnehmer auch in diesem Modell hinreichend ausgeglichen wird. Dass am Arbeitsrechtsregelungsverfahren paritätisch besetzte Kommissionen beteiligt sind, reicht dafür nicht aus. Zusätzlich muss, wenn es dort nicht zu einer Einigung kommt, über paritätisch besetzte Schlichtungskommissionen unter der Leitung eines unabhängigen und neutralen Dritten, notfalls mit dessen Stimme, ein verbindliches Ergebnis erreichbar sein. Die mit den Entscheidungsstrukturen eines solchen Schlichtungsverfahrens verbundenen Unwägbarkeiten und die Verlagerung der Konfliktlösung auf eine andere Verhandlungsebene fördert schon in den Kommissionen die Bereitschaft zu Kompromissen. Sie schließen es aus, dass sich die Rolle der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter auf ein „kollektives Betteln“10 reduziert. Dafür muss die Anrufung der Schiedskommission der Dienstnehmerseite uneingeschränkt offenstehen. Die Unabhängigkeit und Neutralität des Vorsitzenden der Schlichtungskommission darf nicht fraglich und muss auch durch das Bestellungsverfahren gewährleistet sein.
(2) Das Leitbild der Dienstgemeinschaft schließt eine gewerkschaftliche Unterstützung der Dienstnehmerseite nicht aus.11 Es ist nicht darauf gerichtet, Gewerkschaften von Verhandlungen in den arbeitsrechtlichen Kommissionen oder Schiedskommissionen fernzuhalten und sie daran zu hindern, aufgrund eigener Entscheidung ihr Sach- und Fachwissen dort einzubringen. Die Kirchen dürfen Gewerkschaften nicht durch Besetzungsregeln für arbeitsrechtliche Kommissionen und Schiedskommissionen von einer frei gewählten Mitwirkung am dritten Weg ausschließen.
(3) Das Kräfteungleichgewicht zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern wird nur dann beseitigt, wenn das Ergebnis der Kollektivverhandlungen einschließlich einer darauf gerichteten Schlichtung für die Arbeitsvertragsparteien verbindlich ist. Es muss einer einseitigen Abänderung durch den Dienstgeber entzogen sein. Es darf für den jeweiligen Dienstgeber auch nicht die Möglichkeit geben, zwischen verschiedenen, auf