Nomade. Jörg Juretzka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Juretzka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867898454
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unterwegs. Fenster offen, Nase oder Ellbogen raus, gerader, fester Grund, die Sonne in den Spiegeln, rechte Hand in Bellas Fell, zwölfter Gang bei Halbgas und Rückenwind, müheloses, einfaches Rollenlassen. Kein Mensch, und nichts von Menschenhand Gemachtes weit und breit, allein unterwegs auf einem fernen, wilden Planeten.

      Schon gegen Mittag kamen die ersten Gipfel des Adrar-­des-Ifoghas-Gebirges in Sicht. Wir legten eine Pause ein, ich checkte mein SatPhone – keine neue Nachricht – und stellte die Navi-Funktion meines GPS-­Geräts ein. Mit ein bisschen Glück würden wir den letzten bekannten Aufenthaltsort der Züricher noch heute Abend erreichen.

      Keine neue Nachricht bedeutete auch keine Lösegeldforderung, oder noch keine. Sollte eine eingehen, würde ich sofort kehrtmachen und das Weite suchen. Wenn mich die letzten Jahre eines gelehrt haben, dann, mich nicht in die Geschäftspraktiken von Terror­milizen oder der Organisierten Kriminalität einzumischen. Staaten – ich meine: Staaten – haben ihre Schwierigkeiten damit, und die können sie behalten, was mich angeht. Nein, danke. War da, hab’s gesehen, hab’s getan, und hab mehr mit nach Hause gebracht als nur das bedruckte T-Shirt.

      Bella und ich dösten ein bisschen, doch schon nach kurzer Zeit wurde ich zappelig, wollte weiter. Vielleicht, nur vielleicht, aber, verdammt, warum nicht?, vielleicht warteten die Züricher ja wirklich auf Hilfe, hatten sich entschlossen, den Schutz und die Vorräte ihres wie auch immer liegengebliebenen Fahrzeugs nicht zu verlassen und würden sich wie verrückt freuen, mich zu sehen. Ja. Ein kurzer, wärmender Gedanke, der nur allzu bald schon wieder der nüchternen Kühle erfahrungsgestützter Skepsis weichen musste.

      Egal, wir fuhren.

      Das Tageslicht schwand wie von energischer Hand abgedimmt und ich musste sämtliche Scheinwerfer einschalten, um den beständig unebener werdenden Boden auszuleuchten. Das Lenkrad war jetzt in ständiger Bewegung, der Schaltknüppel erst recht. Der Truck hat ein Sechs-über-Sechs-Klauengetriebe, bei dem jeder Gangwechsel durch den Leerlauf muss, mit Doppelkuppeln rauf, Doppelkuppeln plus Zwischengas runter. Braucht eine gewisse Eingewöhnung, doch anschließend wird man mit der Zufriedenheit belohnt, die die Handhabung einer anspruchsvollen, dafür aber wohlgeölt und höchst präzise arbeitenden Mechanik mit sich bringt.

      Das Gelände wurde ruppiger, das Vorwärtskommen langsamer und schwieriger, doch ich hatte meinen Spaß. Das GPS gab jetzt kleine, piepende Geräusche von sich, in immer kürzer werdender Taktung, und mein Herz klopfte, weil wir uns unserem Ziel näherten und keiner sagen konnte, was uns da erwartete.

      Nun ja. Ich fuhr bis zum Dauerton, stoppte und knipste das GPS aus. Was uns erwartet hatte, war – Überraschung – ein Stück Wüste, mit teils felsigem, vom Wind geschmirgeltem, teils sandigem Grund, und das, soweit das Licht der Scheinwerfer reichte. Ich schaltete sie aus, dann den Motor. Das Herzklopfen der Erwartung gab sich recht bald. Wir waren da, am Ziel, doch viel los war hier nicht. Na, mal sehen, was der Morgen brachte. Es ist immer ein kleines Ereignis, ein mildes Gefühl von Abenteuer, wenn du beim Aufwachen nur vage Vorstellungen davon hast, wo, in welcher Landschaft von welcher Farbe und Kontur du am Vorabend gelandet bist.

      Bella verließ mich, trieb sich allein herum, das Luder, wie sie es schon mal gerne tut, ich kochte inzwischen Reis für uns beide. Rührte gekörnte Brühe mit hinein, und einen ordentlichen Schuss Olivenöl. Probierte. Schmeckte irgendwie … bäh. Mir war eh nicht so sehr nach essen. Wir waren da, angekommen am Ausgangspunkt unserer Suche, und das rieb mich auf. Okay, ich aß ein paar Löffel, fürs Gewissen, dann noch ein paar für die Konstitution, ließ den Rest bei geöffnetem Deckel auskühlen.

      Holte den Klapptisch raus, den Stuhl, den Bunsenbrenner und was es sonst noch so braucht, um einen Tag am Steuer harmonisch ausklingen zu lassen und erzwungene Untätigkeit erträglich zu gestalten. Morgen war ein neuer Tag, und bis dahin …

      Bella kam aus dem Dunkel angetrottet, rieb ihren Kopf an meinem Bein und gab dieses tiefe Grummeln von sich, das sich wie auf die Stimmbänder übertragenes Magenknurren anhört.

      »Na«, sagte ich, »wolln wir mal sehen, was der Maes­tro so hingezaubert bekommt.« Ich mischte Trockenfutter mit dem Reis und stellte ihr den Napf vor die Nase. Mit wohligem Grunzen machte sie sich drüber her. Sie ist ein großes Mädchen mit gehörigem Appetit, und sie mag alles, was ich ihr vorsetze. Lerne kochen, sage ich immer, wenn du sie an dich binden willst. Aussehen, Einkommen, Sex, Status – alles völlig überschätzt. Lerne kochen, lerne zu kochen, was sie mögen, und sie fressen dir aus der, tja, Hand.

      Ich sackte wieder auf meinen Klappstuhl, qualmte ein bisschen was weg. Doch die große, die richtige Ruhe wollte sich nicht recht einstellen. Morgen früh, im ersten Licht, würden wir uns auf die Suche machen, und noch hatte ich keinen Plan, keine Vorstellung, wo anfangen und wohin von da aus.

      Ich räumte den Tisch leer, ging rein und holte meine Kartentasche raus. Erst als ich die topographische Karte Südalgeriens auf der Tischplatte ausbreitete und sie liegenblieb, ohne dass ich beide Unterarme und mindestens einen Oberschenkel aufbieten musste, um sie am Davonflattern zu hindern, wurde mir mit einem dankbaren Seufzer klar, dass der seit Wochen unablässig blasende Wind plötzlich eingeschlafen war.

      In der Schublade des Schreibtisches neben der Werkbank fand ich ein Lineal, einen Bleistift, einen Spitzer. Ich habe den Truck samt Einrichtung übernommen und brauchte bisher eigentlich immer nur Vorräte aufzustocken – Wasser, Diesel, Gas, Lebensmittel. Alles andere, von Schreib- und Küchenutensilien über Werkzeug bis hin zu bestimmten Ersatzteilen, ist zu meiner anhaltenden Verblüffung irgendwie vorhanden. Die defekte Spritpumpe zu reparieren hat damals auch deshalb drei Tage in Anspruch genommen, weil ich zweieinhalb Tage lang versuchte, die fehlerhafte Dichtung selber zu schnitzen, bis ich am dritten Tag in einer Schublade der Werkbank eine ganze Tüte voll Dichtringe gefunden habe, von denen gleich mehrere exakt passten.

      Mithilfe des Lineals übertrug ich im Schein meines Stirnlichts die GPS-Daten auf die Karte, markierte unseren Standort mit einem präzisen Kreuz. Stand dann eine Weile da und sah es mir zufrieden an, bevor ich mir einen Ruck gab.

      Die südlichen Ausläufer des Adrar des Ifoghas liegen wie die Finger einer gespreizten Hand auf der Ebene, die Finger dabei felsig, die Zwischenräume sandig. Wir befanden uns an einer Stelle ähnlich der Spitze eines rechten Zeigefingers, mit einer großen, halbrunden Ausbuchtung zur östlichen Seite und einem schmaleren, sich beständig verengenden Tal auf der westlichen. Beides zusammen war viel zu weitläufig, um es an einem Tag erkunden zu wollen, deshalb würde ich mich für eine Seite entscheiden müssen. Und selbst dann musste ich meine Suche räumlich eingrenzen.

      Ich knipste mein Stirnlicht aus, fachte den Brenner an, inhalierte Dampf und ordnete meine Gedanken.

      Legte man die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der wir uns herbewegt hatten, zugrunde, befand sich Timiaouine etwa anderthalb bis zwei Tagesreisen entfernt. Das bedeutete, die von dort gestartete viertägige Suchaktion war aller Wahrscheinlichkeit nach so vonstattengegangen: Der Suchtrupp war hier rausgefahren, hatte sich ein paar Stunden lang umgesehen und dann wieder auf den Heimweg gemacht. Die unmittelbare Umgebung sollte damit abgegrast sein.

      Die Schweizer wollten Felszeichnungen suchen. Diese Bilder stammen aus der Eiszeit, als in der Sahara ein mediterranes Klima geherrscht hatte, mit entsprechender Vegetation und, wenn auch dünner, Besiedlung. Die riesige Zeitspanne seitdem konnten nur Zeichnungen an besonders geschützten Orten überstehen, unter überhängenden Felswänden etwa, oder in Höhlen, auf alle Fälle aber: im Gebirge.

      Die Schweizer würden kraxeln müssen, wollten dabei aber ganz bestimmt ihr Mobilheim möglichst nahe zur Hand haben. Über den felsigen Zeigefinger zu fahren dürfte unmöglich sein, selbst mit einem Unimog. Blieben die sandigen Täler. Von hier aus in die Berge, möglichst kommod und so nah wie nur eben machbar ran.

      Ich knipste das Stirnlicht an, ging rein, suchte und fand einen Zirkel, knöpfte mir die Karte noch mal vor und zeichnete einen Halbkreis um unseren Standort, der grob der halben Entfernung zu Timiaouine und somit ungefähr einer möglichen Tagesreise entsprach. Einen Halbkreis in Richtung der Berge. Irgendwo zwischen hier und da musste etwas passiert sein.

      Ich machte die Lampe wieder aus, setzte mich, griff noch mal zu Brenner und Stanniol. Inhalierte, exhalierte,