Und dann wurd mir fad.
Die Geschichte meines Lebens, wenn ich nur eine Sekunde drüber nachdenke.
Bellas gleichmäßige Atemzüge lullten mich schließlich ein und ich driftete weg in ein paar Stunden voll der üblichen Alpträume.
Ich klemmte den Spaten zurück in seine Halterung an der Seite des Aufbaus, ging neben dem Wrack auf die Knie, beugte den Kopf runter und inspizierte die mittlerweile kaum noch auszumachenden Reifenspuren im frühen, flachen Licht der Morgensonne. Sie verliefen schnurgerade. Keinerlei Verwerfungen, wie sie einem Überschlag unweigerlich vorausgehen.
Bella stupste mich mit der Nase an, ihr war nach Frühstück, also kraxelten wir rein in unsere mobile Behausung. Das SatPhone blinkte in seiner Halterung auf der Werkbank. Eine SMS, weitergeleitet von Mombassa. missing: mitsub. pajero. uk. 2 pers. m/m. dest. dakar. last seen 4.1. tam. Ich warf einen Blick auf den Wandkalender über der Spüle, ein Geschenk von Freund Charly, wie jedes Jahr. Dünne Frauen mit dicken Titten über hochglanzpolierten Harley-Davidsons, wie jedes, wie jedes, wie jedes, jedes, jedes Jahr. Ich sag: ›Wie wär’s mal mit Leuchttürmen, oder Hundewelpen, oder Alpenpanoramen?‹, doch er lacht nur, als ob ich das unmöglich ernst meinen könnte.
Anhand der wie ein Nachgedanke unter die Stilettos und Chromspeichenräder gequetschten Datumsleiste war das letzte Lebenszeichen der beiden Briten mittlerweile zehn Tage alt, aus Tamanrasset, von wo ich vor nur zwei Tagen aufgebrochen war.
Ein Napf frisches Wasser und ein Napf Trockenfutter für Bella, ein Becher Kaffee und eine Handvoll Trockenfutter (Kekse) für mich. Ab und zu mal wieder ein Toast wäre schön, und abends auch mal irgendetwas anderes als Spaghetti mit Öl, Knoblauch und Chilischoten, doch die Vorratshaltung in einem kühlschranklosen Vehikel, das sich jeden Mittag wie ein Ofen aufheizt, beschränkt sich zwangsläufig auf lauter Zeugs, das unter solchen Bedingungen durchhält, ohne schon am zweiten oder dritten Tag anzufangen zu gären, abzugasen und in unansehnliche Pilzkulturen aufzublühen.
Fertig mit Frühstück, spülte ich ab und räumte weg, schnappte mir meine Nikon und machte mich an die Arbeit. Ohne eine nachvollziehbare Dokumentation werden die Leute nicht für tot erklärt, was es den Angehörigen erheblich erschwert, sich um das Erbe zu streiten.
Die Sonne jagte den Himmel hoch, die Temperaturen hechelten ihr hinterher, der verfluchte Wind nahm wieder Fahrt auf. Bella verzog sich unter den Truck, bettete ihr Kinn auf einer Vorderpfote und sah mir unter schläfrigen Lidern hervor zu. Erst mal knipste ich die Karosse. Die Kennzeichen waren im Feuer geschmolzen, doch es handelte sich um einen Mitsubishi Pajero, und ich hatte keine Zweifel, dass es das vermisste Fahrzeug war. Am Heck hatte noch eine größere Stelle silbermetallicfarbenen Lacks überlebt, mit einem Rest Sprühlack-Slogan (…kar or bust), und der Vollständigkeit halber machte ich auch davon ein Bild. Dann zog ich ein Paar Latexhandschuhe über, ging zur Mulde und fotografierte nacheinander die Leichen aus möglichst gnädigen Winkeln im Ganzen, schließlich, so gut es ging, ihre Zähne, Ober- und Unterkiefer separat. Dem Halbverbrannten schnitt ich obendrein noch eine Haarsträhne ab und tütete sie ein. Er trug eine Fliegerjacke mit zahlreichen Taschen, die ich der Reihe nach durchfingerte, obwohl klar war, dass mir da schon jemand zuvorgekommen war. Musste ja nicht heißen, dass sie dasselbe gesucht hatten wie ich. Doch ich fand nichts. Ein Schwarm Schmeißfliegen stieg auf, und mein Frühstück mit ihnen, als ich den Toten auf den Bauch drehte. Unter seiner rechten Achsel kam ein kurzläufiger Trommelrevolver zum Vorschein, sandig, feucht und stinkig vor Leichenflüssigkeit. Ich nahm ihn hoch, wischte ihn so gut es ging sauber, zog den Stift, die Trommel schwenkte raus. Alle Kammern voll, alle Patronen intakt, nicht eine davon abgefeuert. Die Opposition war einfach schneller und entschlossener gewesen, wie es so oft den Unterschied macht zwischen Profis und Amateuren. Was ich nicht kapierte war, wieso sie den Wagen nicht mitgenommen, sondern aufs Dach gewälzt und abgefackelt hatten.
Eigentlich drängte es mich, weiterzufahren, ich suchte ein Schweizer Ehepaar, doch erstens ist eine Stunde in der Wüste kein Zeitmaß – man verlernt sehr schnell, sich beeilen zu wollen – und zweitens hatte ich eine Vorahnung in diesem Fall, rechnete instinktiv mit dem baldigen Eingang einer Lösegeldforderung. Obendrein wollte ich einfach wissen, was hier passiert war. Deshalb entriegelte ich die Seilwinde des Trucks, packte den Haken, legte mir das Drahtseil über die Schulter, stapfte los, zog es über das Wrack und befestigte es auf der anderen Seite unten an der B-Säule. Zurück im Truck startete ich den Motor, ruckte den Bedienungshebel nach vorn und die Winde begann zu wickeln, straffte das Seil, drehte die Karosse erst auf die Seite und schließlich um auf die reifenlosen Räder. Ich ließ den Motor laufen, bis ich den Haken gelöst und das Seil wieder komplett auf der Spule hatte. Aus Gewohnheit und – wie man sah – guten Gründen halte ich mein Fahrzeug gern in einem Zustand sofortiger Aufbruchsbereitschaft.
Die Windschutzscheibe des Pajero war zerborsten und hing nur noch hier und da an Resten von Dichtgummi, doch die Fahrzeug-ID-Nummer in ihrem linken unteren Winkel hatte das Feuer überstanden. Ich machte ein Foto. Unter der Motorhaube kam ein Benziner mit großem, rundem Luftfiltergehäuse zum Vorschein, allerdings minus Deckel und Filter. An der Seite des Motorblocks sabberte schwarzes Öl aus einem beinahe faustgroßen Loch. Pleuel abgerissen, Kurbelwelle gebrochen, irgend so was, das so hässlich knallt, dass man gleich weiß, das war’s. Also: Motorschaden mitten in der Einöde, fernab jeder Piste und Oase. Eijeijei. Katastrophe. Kein SatPhone, oder kein Signal, was auch immer, kein Kontakt zur Welt. Eijeijei. Doch sie haben Wasser dabei, Lebensmittel. Ein Tag vergeht, noch einer, noch einer. Wachsende Beklemmung. Es muss doch … Und Tatsache: Da naht ein Fahrzeug. Frenetisches Winken und Rufen, große Erleichterung. Denn man hilft sich gegenseitig in der Wüste, das weiß jedes Kind. Die Rettung naht in Form eines, ich rate mal, Toyota Pick-ups. Die Dinger heißen ›Hilux‹, doch ›Trouble‹ wäre wesentlich passender. Denn die Insassen – in der Regel mehrere meist bewaffnete Männer – wollen in diesem Fall gar nicht helfen, sie denken noch nicht mal dran. Sie wollen Geld und alles andere von Wert und sich dann aus dem, tja, Staub machen. Erleichterung schlägt in Entgeisterung um, dann in Empörung. Ein Wort gibt das andere, man verliert die Nerven, versucht sich zur Wehr zu setzen, das misslingt. Peng und peng. Geschätzte fünf, sechs Tage hatten sie hier ausgeharrt, Tage und Nächte, hatten gehofft, gebangt, ihre Vorräte schwinden sehen, nur um dann kurz vor knapp ausgerechnet an die Falschen zu geraten. Ja, Scheiße.
Mombassa lag mir dauernd in den Ohren, dass ich nicht länger unbewaffnet herumfahren soll. Es stimmt schon, weite Teile der Sahara sind gesetzlos, sich selbst überlassen. Schmuggler, Schleuser, Räuberbanden und Milizen jeglicher Couleur nutzen diese Gegenden als Transitrouten und Rückzugsgebiete. Doch die Räume sind riesig, die Chancen auf Begegnungen gering. Bisher hatte ich Glück gehabt, doch es gab keine Garantien, dass es für immer halten würde. Andererseits waren die Briten im Besitz einer Schusswaffe gewesen, und viel hatte sie ihnen genützt. Man muss damit umgehen können, man muss blitzartig entscheiden, sie einzusetzen, und das dann knallhart durchziehen, ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen. Alles nicht so einfach.
Eher lustlos und ziemlich hastig suchte ich den ganzen Kram zusammen, der rings um die Karosse verstreut lag. Sämtliche Behälter waren geöffnet, Schlafsäcke, ja selbst die Sitzpolster aufgeschlitzt, alles war zerrupft und durchwühlt worden, bis hin zum Luftfilterkasten. Die Täter hatten gründlich gesucht, das Fahrzeug regelrecht ausgeweidet, schließlich aufs Dach gerollt – um zu schauen, ob irgendetwas unter dem Wagen versteckt war – und letzten Endes zusammen mit den Leichen angesteckt. Um Spuren zu beseitigen oder wozu auch immer.
Ich ließ nur die Lebensmittel liegen, stopfte alles andere in den Motorraum, gab einen Schluck Diesel drüber, steckte es an. Ja, ja, ich weiß, das Klima. Doch in der Wüste verrottet nichts, man muss es verbrennen oder es vermüllt die Landschaft für immer. Der Wind blies die Flammen hoch, und im letzten, im allerletzten Moment griff ich noch mal hinein und zog den Luftfilter wieder heraus. Meine Finger hatten beim Reinstopfen etwas entdeckt, das mein Hirn erst