Husserls und Merleau-Ponty’s Arbeiten zur Phänomenologie haben hierfür erkenntnistheoretische Grundlagen geschaffen.
Insgesamt versteht sich die Bewegung der Humanistischen Psychologie jedoch vor allem als Aufbruch zu neuen Ufern. Das Hier und Jetzt, die lebendige Aktualität, der primäre Erfahrungsmodus wird programmatisch akzentuiert, während das Dort und Dann zunächst in den Hintergrund tritt.
Das gefühlte Erleben wird gegenüber der reflexiven Distanznahme umfassend aufgewertet und ins Zentrum therapeutischer „Wiederbelebungen“ des unter Selbstentfremdung leidenden Menschen gestellt.
Aus dem Manifest der Humanistischen Psychologie, das auf dem Gründungskongress im Jahre 1962 beschlossen wurde, gehen die programmatischen Intentionen dieser Gesamtbewegung (die mit Namen verbunden ist wie Charlotte Bühler, Ruth Cohn, Erich Fromm, Rollo May, Abraham Maslow, Fritz und Lore Perls, Carl Rogers) deutlich hervor.
1. „Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die erlebende Person. Damit rückt das Erleben als das primäre Phänomen beim Studium des Menschen in den Mittelpunkt. Sowohl theoretische Erklärungen wie auch sichtbares Verhalten werden im Hinblick auf das Erleben selbst und auf seine Bedeutung für den Menschen als zweitrangig betrachtet.
2. Der Akzent liegt auf spezifisch-menschlichen Eigenschaften wie der Fähigkeit zu wählen, der Kreativität, Wertsetzung und Selbstverwirklichung - im Gegensatz zu einer mechanistischen und reduktionistischen Auffassung des Menschen.
3. Die Auswahl der Fragestellungen und der Forschungsmethoden erfolgt nach Maßgabe der Sinnhaftigkeit - im Gegensatz zur Betonung der Objektivität auf Kosten des Sinns.
4. Ein zentrales Anliegen ist die Aufrechterhaltung von Wert und Würde des Menschen und das Interesse gilt der Entwicklung der jedem Menschen innewohnenden Kräfte und Fähigkeiten. In dieser Sicht nimmt der einzelne Mensch in der Entwicklung seines Selbst, in seiner Beziehung zu anderen Menschen und zu sozialen Gruppen eine zentrale Stellung ein.“2
Es gehörte viel Mut dazu, sich als eine Gruppe von individualistischen Außenseitern öffentlich gegen den Mainstream der herrschenden Wissenschaftsauffassung in den Humanwissenschaften und gegen die dominanten psychotherapeutischen Schulen zu wenden. Es bedurfte ebenso sehr der Stärke, nicht in einen neuen Dogmatismus zu verfallen, sondern mit der Vielfalt von Ansätzen und Sichtweisen in den eigenen Reihen offen, dialogisch und kooperativ umzugehen, ohne auf Kritik untereinander zu verzichten.
Die Uneinheitlichkeit des Ansatzes wird von dessen Kritikern nun wieder mit dem Vorwurf der mangelnden Klarheit und vor allem auch mangelnder Präzisierung und Operationalisierbarkeit seiner Begriffe sowie der Unschärfe seiner Grenzen zu außerwissenschaftlichen Erkenntniswegen verbunden.
Anhänger der Humanistischen Psychologie betonen zumeist ihre Bahn brechenden Leistungen auf dem Feld der Psychotherapie. Bevor ich darauf unter pädagogisch-praxisbezogenem Aspekt zu sprechen komme, möchte ich aus wissenschaftsbezogener Perspektive den Beitrag der Humanistischen Psychologie zum Wandel der Selbstauffassung der Humanwissenschaften herausheben. Dieser Wandel geht dahin, dass Naturbild und Menschenbild wieder in einen einheitlichen Zusammenhang eingebettet werden. Die Humanistischen Psychologen haben sich somit als Katalysator für einen Wandel der Sicht auf den Menschen erwiesen, dessen Wirkung sich auch dort entfaltete, wo ein Rückbezug auf diese Richtung nicht explizit erfolgte. Man kann es aber auch andersherum sehen, dass sie ein spezifisches und sich prägnant artikulierendes Moment in einem disziplinenübergreifenden Wandlungsprozess darstellten, der etwa seit der Jahrhundertwende in Gang gekommen ist, sich aber nur in Schüben und Verwerfungen durchsetzen konnte. Als wichtige Momente dieses Wandels möchte ich folgende hervorheben:
• Die Relativierung des forschenden wissenschaftlichen Zugangs zum Menschen als aspekthaft gegenüber der Vielfalt der Erfahrungsrealität des erlebenden Subjekts.
• Die Einbeziehung des Forscher-Subjekts in den Forschungszusammenhang nicht als zu kontrollierende Variable, sondern als unhintergehbaren und unverzichtbaren Teil, der den Forschungsgegenstand beeinflusst und mitbestimmend dafür ist, was an ihm in Erscheinung treten kann. Transparenz und Selbstreflexivität werden zu zentralen Gütekriterien.
• Die Betonung der Unentbehrlichkeit qualitativer Methoden zur Erforschung des Menschen sowie biographischer Zugänge zu seinem Verständnis. (Hier sind als Anstöße vor allem das Eintreten für die Einzelfallstudie sowie die Lebenslaufforschungen von Charlotte Bühler zu nennen).
• Das Aufgreifen von Theorien offener Systeme im Rahmen eines ganzheitlichen Verständnisses des Menschen (nach innen) und im Hinblick auf die Erfassung interdependenter Bezüge nach außen.
• Die Hervorhebung des Aspekts der menschlichen Fähigkeit zur eigenständigen und produktiven Realitätsverarbeitung (gegenüber deterministischer Vorstellungen von der Allmächtigkeit von Sozialisationsbedingungen) ebenso wie die Betonung der menschlichen Intentionalität, Sinn- und Wertgerichtetheit gegenüber Vorstellungen von seiner Determiniertheit durch Bedürfnisse und Triebe.
• Die Annahme eines menschlichen Potentials an Spontaneität und Kreativität, das mit keinen linearen Modellen abzubilden und ebenso wenig vollständig dem Willen unterworfen ist, wie es auch nicht vorausberechnet werden kann.
Diese Positionen und Akzentsetzungen haben sich im aktuellen theoretischen Diskurs wie in der neueren humanwissenschaftlichen Forschungspraxis inzwischen verbreitet durchgesetzt; die Humanistischen Psychologen mussten seinerzeit Abwertungen und Ausgrenzungen dafür hinnehmen.
3. Zur pädagogischen Dimension der Humanistischen Psychologie
In der Pädagogik ist die Humanistische Psychologie vor allem in drei sich berührenden, aber doch wiederum auch klar unterscheidbaren Richtungen wirksam geworden, und zwar zunächst im Konzept der Schülerorientierung (auch Personen- oder Teilnehmerorientierung) unter Rückbezug auf den personenbezogenen Ansatz von Carl Rogers. Dieser ist in vielen Variationen Verbindungen eingegangen mit älteren Traditionen einer „Pädagogik vom Kinde aus“, aber auch mit Vorstellungen von Schülerorientierung als politischem Basiskonzept bis hin zu so radikalen Positionen wie der Antipädagogik eines Hubertus von Schönebeck. Rogers selbst hat seinen Ansatz auf Fragen des Lehren und Lernens bewusst ausgeweitet und hat eine Grenzziehung zwischen Erziehung, Beratung und Therapie in Bezug auf sein Verständnis von „Wachstumsförderung“ grundsätzlich abgelehnt. Rogers’ „Persönliche Gedanken über Lehren und Lernen“ und seine Ausführungen „Über das Lernen und wie man es fördern kann“ zählen in meiner Sicht zu den Perlen unter den Grundlagentexten zur Allgemeinen Didaktik.
In der Erwachsenenbildung und beruflichen Fortbildung ist besonders der Ansatz der themenzentrierten interaktionellen Methode (TZI) von Ruth Cohn pädagogisch wirksam geworden. Sie selbst – von der Psychoanalyse herkommend – hat ihr Konzept programmatisch als eine „Pädagogik für alle“ bezeichnet und versteht sie als eine therapeutisch fundierte, an existentiellen Themen orientierte Gruppen-Pädagogik.
Nachhaltig