Beide haben zu lernen: Der Mitarbeiter muss lernen, seinen Erfolg nicht abzuwerten, nur weil der Chef ihm nicht die Anerkennung in der Art und Weise zeigt, wie er das gerne hätte. Außerdem sollte er, anstatt sich an dieser Stelle zurückzuziehen, seinen Chef wissen lassen, wie es ihm mit seiner Nicht-Reaktion geht, und was er sich von ihm als Führungskraft an Würdigung seiner Arbeit erwartet.
Der Chef hätte zu lernen, dass ›Nix gesagt‹ ›nicht genug gelobt‹ ist. Führen heißt u.a. andere dabei ›erwischen‹, wie sie etwas gut machen, und sie davon wissen zu lassen. Er könnte dabei auch erfahren, dass Wertschätzung seiner Person mehr ist als sein fachliches Können, etwas, wonach sich ein anderer Teil seiner Seele vielleicht auch sehnt.
2.5 Die Balance von Thema und Bezogenheit in persönlichen und professionellen Beziehungen
Das Thema einer Beziehung muss keine ausdrücklich geistige Dimension sein. In persönlichen Beziehungen können das »Werk« auch Kinder sein.
Die neuen Freiheiten unserer Gesellschaft bieten hier auch neue Herausforderungen. Früher war das gemeinsame Überleben einer Familie ein immerwährendes Thema. Deswegen waren viele Beziehungen auch so stabil. Sie hatten keine Notwendigkeit, ein gemeinsames Thema zu finden. Wenn es auf der Ich-Du-Ebene kriselte, stellte sich ihnen nicht die Frage, ob sie zusammen passen. Sie mussten einfach zusammenpassen, sonst wäre ihre soziale Organisation wirtschaftlich entgleist.
Das macht natürlich manches auch leichter. In der Gestaltungsfreiheit unserer Beziehungen haben wir heute das Problem, die Inhalte bestimmen zu müssen, weil wir uns nicht mehr unterwerfen müssen. Ein »Sichunterwerfen-Müssen« schafft bestimmte Gesetzmäßigkeiten, Strukturen und Sinn und reduziert dadurch Komplexität. Komplexität entsteht heute durch die Notwendigkeit, einen vorhandenen Gestaltungsspielraum ausfüllen zu müssen. Möglicherweise haben wir nicht mehr lange solche Gestaltungsspielräume. Vielleicht nehmen die Krisenszenarien so zu, dass wir in Beziehungen schon bald keine Themenwahl mehr haben.
Solange wir jedoch diese Freiheit haben, müssen wir, damit Beziehung gelingt, eine angemessene Balance zwischen Thema und Bezogenheit finden. Weder dürfen wir in der Ausrichtung an einem Thema den Bezug zum anderen verlieren, noch dürfen wir in Bezogenheit auf den anderen das Thema verlieren.
Ähnliches gilt auch für Organisationen. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Mehrzahl der Organisationen in ihrer Gründerzeit an irgendeiner unternehmerischen Idee orientiert. Je größer eine Organisation wird und je länger sie lebt, um so vordringlicher werden jedoch die Dimensionen der Gemeinschaft, sodass das Thema möglicherweise sogar ausgetauscht werden kann. Je größer eine Organisation ist, um so mehr muss man anerkennen, dass die Gesetzmäßigkeiten von Ich-Es und Ich-Du gleichermaßen als beziehungsstiftend ihre Berechtigung haben. Das darf aber nicht heißen, dass man blind das eine gegen das andere austauschen kann. Wenn man eine gute Beziehungs- und Organisationskultur pflegen will, muss man sich auch hier immer wieder beiden Dimensionen stellen. Denn jede Einseitigkeit rächt sich auf Dauer nicht nur an dem Verlust der anderen Seite, sondern unterhöhlt auch die Qualität dieser Einseitigkeit.
In größeren Organisationen wird heute allgemein angenommen, dass Ich-Es konstitutiv ist. Entsprechend entfällt Mitgliedschaft, wenn sie unter Ich-Es-Gesichtspunkten dem in Zahlen (shareholder value) ausgedrückten Unternehmenszweck nicht mehr ausreichend dienen. Dennoch spielt nicht nur in Familien- und mittelständischen Betrieben die Ich-Du-Dimension eine erhebliche Rolle. Auch in größeren Organisationen sieht man öfter die zusammen, die sich auf der Ich-Du-Ebene gut vertragen. Das geht dann allerdings zu Lasten der Zusammenkünfte, die notwendig wären, um die gemeinsamen Aufgaben effizient voranzubringen.
Deshalb müssen beide Beziehungstypen eine Bandbreite von Ich-Du-und Ich-Es-Verträglichkeit, -Kompetenz und -Begegnungsbereitschaft entwickeln, damit Organisationen effektiv und menschlich befriedigend funktionieren.
2.6 Zusammenfassung
Das Modell der Ich-Du und Ich-Es-Typen dient als grobes Unterscheidungs-raster zur Selbsterkenntnis und zur differenzierteren Sicht des Gegenübers, in privaten wie in professionellen Rollenbezügen.
In diesem Raster zu spielen, erlaubt darüber hinaus eine Reihe von neuen Betrachtungen des eigenen Ankoppelungsverhaltens: Wie gerate ich unter Stress in meine Einseitigkeiten im Sinne von: mehr vom Gewohnten wird die Lösung bringen? Und was brauche ich, um aus meiner Einseitigkeit wieder in die ankoppelbaren Sphären zu gelangen? Wie stelle ich mir vor, wie andere in ihre Einseitigkeiten geraten? Und was brauchen sie, um wieder herauszukommen?
Das Modell wirbt für die Gleichwertigkeit der beiden Grundorientierungen. Keine ist besser oder schlechter als die andere. Sie brauchen einander, gehören zusammen und ergänzen sich in:
• Sachverstand und Menschenverstand,
• Sorgfalt in der Sache und Sorgfalt in der Beziehung,
• Der Mensch braucht die Sache – Die Sache braucht den Menschen.
1 Unter Mitarbeit von Wolfram Jokisch
3. SYMBIOTISCHE BEZIEHUNGEN ODER: WEGE ZU EINER VERANTWORTUNGSKULTUR 1
Symbiosen sind Beziehungen, in denen man in wechselseitiger Abhängigkeit lebt. Man kann funktionale Symbiosen von dysfunktionalen unterscheiden. In funktionalen sind die wechselseitigen Austauschverhältnisse und Verantwortungen im Einvernehmen so geregelt, dass sinnvolle Entwicklungen stattfinden können. Insbesondere in beruflichen Beziehungen haben Symbiosen mit der Frage nach der Verantwortung zu tun.
3.1 Verantwortung
Oft taucht in Organisationen der Begriff der Verantwortung auf, wenn sie gefehlt zu haben scheint. Dann wird jemand zur Verantwortung gezogen. Wird ein Missstand offenbar, werden Verantwortliche gesucht, d.h. es werden Schuldige benannt. Dann sind andere unschuldig und die Sache ist erledigt.
Unseres Erachtens meint Verantwortung jedoch ein Bündel von Perspektiven. Es sind Fragen danach, wer in einer Organisation welche Art von Antworten geben kann, will, darf und muss.
Dabei ist
antworten zu können in der Regel eine Frage der Qualifikation,
antworten zu wollen eine Frage der Wertorientierung,
antworten zu dürfen in der Regel eine Frage der Autorisierung und
antworten zu müssen eine Frage der eingeforderten Zuständigkeit.
In einer komplexen Organisation funktioniert Verantwortung allerdings nur als System komplementärer Verantwortung. In Organisationen ist Verantwortung immer gestaltbar und kulturbedingt. Deshalb ist es für Unternehmen wichtig, eine Verantwortungs- und Konfrontationskultur zu etablieren. Organisationen brauchen ein einigermaßen verbindliches Regelwerk, in dem sich die Mitarbeiter frühzeitig über Fragen austauschen können wie:
• Was ist an dieser Stelle wessen Verantwortung?
• In welcher Rolle?
• In welcher Situation?
• Haben die Mitarbeiter zueinander passende Vorstellungen von Verantwortung?