Wichtigster Schritt ist also zunächst, die Einladungen zu erkennen, zu spüren, welche Gefühle wach werden und welche Beziehungswelten dadurch entstehen. Diesen Vorgang haben wir als »soziale Diagnose« bezeichnet. Ich bekomme beispielsweise bei der »Sei-stark-Dynamik« Angst und glaube, den anderen klein machen zu müssen, weil ansonsten ich in Gefahr bin, klein gemacht zu werden. Meist wird diese Diagnose der inszenierten Wirklichkeitslogik mit Hilfe der Intuition geleistet (Schmid/ Hipp/Caspari 1999, siehe Lit. Kap. 1, 5).
Der nächste Schritt ist dann, sich in eine innere Haltung zu bringen, die zu der Inszenierung des Klienten einen schöpferischen Kontrast, eine Antithese bildet. Das Einnehmen antithetischer Haltungen meint, innerlich eine antithetische Wirklichkeitslogik (eine Lösung 2. Ordnung) zu aktivieren und zu stabilisieren. Dadurch schütze ich mich davor, in die Antreiberwelt einzusteigen und habe die Möglichkeit, mich antithetisch zu verhalten, ohne dass das problematische Muster benannt werden muss. Die Umstellung der Haltung und die daraus resultierende Veränderung des Verhaltens reichen oft aus, um das problematische Antreiberverhalten des Klienten in der Beratungssituation aufzulösen. Der Coach gibt dem Klienten durch seine antithetische Haltung und das daraus motivierte Verhalten eine implizite Einladung, in seine Inszenierung überzuwechseln. Nimmt der Klient diese Einladung an, hat er die Möglichkeit, die neue Qualität im Coaching unmittelbar zu erleben und damit erste positive Erfahrungen zu sammeln.
1.8 Wurzeln des Antreiber-Konzepts
Das Konzept der Antreiber stammt aus der Transaktionsanalyse. Die erste Beschreibung der Antreiber stammt von Kahler (1977, siehe Lit. Kap. 1, 2). Sie wurden dort als Verhaltensweisen beschrieben, die Verhaltens- und Erbebensketten einleiten. Am Endpunkt dieser Ketten würden Glaubenssätze bestätigt, die zu problematischen Lebensentwürfen (Skripts) und deren Vollzug gehörten. Die Antreiber selbst wurden eher durch Verhaltensmerkmale beschrieben. In der weiteren Entwicklung der Transaktionsanalyse wurden die Antreiber in verschiedene Kontexte gestellt, z.B. als fehlgeleitete Versuche, Grundbedürfnisse zu befriedigen (Köster 1999, siehe Lit. Kap. 1, 3).
Hier werden Antreiber von solchen Überlegungen losgelöst als Stile beschrieben, die innere und äußere Wirklichkeiten charakterisieren und für die hilfreiche Varianten in normalen gesellschaftlichen Kontexten gefunden werden können.
1 Unter Mitarbeit von Joachim Hipp
2. ICH-DU- UND ICH-ES-TYPEN 1
Das Modell der Ich-Du- und ICH-ES-Typen unterscheidet zwei Grundarten, wie Menschen sich selbst stimmig und wertvoll erleben und auf diesem Hintergrund Beziehungen zu Menschen und Dingen gestalten. Während dem Ich-Du-Typ in einer Beziehung der Aspekt der Bezogenheit auf den anderen wesentlich ist, ist es dem ICH-ES-Typ das Thema, auf das sich eine Beziehung hin ausrichtet. Beide Aspekte sind für das Gelingen sowohl einer Privat-, als auch einer Professionsbeziehung gleichermaßen wichtig. Um eine Beziehung zu erlösen, gehört sowohl, dass man zu dem anderen als Menschen als auch zu seinen Themen ja sagen kann. Wenn möglich sollte man auch Themen teilen, um die herum der andere sein Leben organisiert bzw. die in seinem Leben eine Rolle spielen. Nur zum anderen Menschen ja sagen zu wollen, aber seine Themen abzulehnen, ist in längerfristigen Beziehungen schwierig.
2.1 Ich-Du-Typ
Der Ich-Du-Mensch definiert sich wesentlich über seine unmittelbaren Beziehungen zu anderen Menschen. Er ist mit sich selbst im Einklang und fühlt sich wertvoll, wenn seine Beziehungen ›stimmen‹.
Begegnet ein Ich-Du-Typ einem anderen Menschen, so sind seine Grundfragen:
• Bist du für mich attraktiv?
• Interessierst du dich für mich als Person?
• Sind wir uns sympathisch?
• Können wir uns vertrauen?
Wenn wir beide in genügendem Umfang zueinander ja sagen können, wird eine Beziehung zwischen uns möglich. Ich sage ja zu dir, du sagst ja zu mir. Lass’ uns auf dieser Basis als Partner/in, Kollege/in, Kunde/in, Berater/ in, Freund/in etc. zusammen sein.
Abb. 2: Ich-Du-Menschen in Interaktion
Wenn diese Fragen für zwei Ich-Du-Menschen positiv geklärt sind, können sie in einem zweiten Schritt auch eine »gemeinsame Sache« einbeziehen: gemeinsame Unternehmungen, ein Thema oder eine gemeinsame Arbeit. Auf der Basis unserer gegenseitigen Zuneigung können wir jetzt überlegen, was wir zusammen machen wollen.
Abb. 3: Ich-Es-Menschen in Interaktion«
Dies ist für Ich-Du-Typen jedoch nicht beziehungsnotwendig, sondern eher eine willkommene Zugabe. Die Anwesenheit, Nähe und Bezogenheit auf die andere Person bleibt wesentliche Basis für die Beziehung und das eigene Selbstwertgefühl.
Ich-Du-Menschen sortieren ihre Welt nach Menschen und gruppieren entsprechende Themen um sie herum. In der Theatermetapher ausgedrückt sind es Menschen, die auf die Bühne gehen und im Miteinander-Spielen, eine zu ihnen passende Inszenierung erbasteln. Regie, Drehbuch und Sujet werden sekundär beschrieben. Kann das Sujet mit diesen Menschen nicht abgehandelt werden, geht es verloren.
Eine Beziehungsstörung erlebt der Ich-Du-Mensch in erster Linie dann, wenn er das Gefühl hat: Der andere bejaht mich nicht mehr in der Beziehung. Sobald dieses Gefühl entsteht, ist die Arbeit an einer gemeinsamen Sache in Frage gestellt. Er versucht dann als erstes zu klären: Magst du mich noch? Bedeute ich dir noch, was ich dir bisher bedeutet habe? Wenn es dem anderen gelingt, deutlich zu machen: Ja, das bedeutest du mir noch, kann der erste sagen: Gut, dann können wir auch in der Sache, die wir gerade betreiben, weitermachen.
Unter zwei Ich-Du-Menschen ist dies in der Regel kein Problem. Entweder sie bestätigen sich: Du bedeutest mir noch genug. Oder sie wissen: Wir haben einen Beziehungskonflikt und müssen unsere Ich-Du-Beziehung klären. Sie werden dann ihre Beziehungsintensität und/oder -qualität verändern. Entweder lösen sie ihre Beziehung oder sie erneuern sie in dieser Auseinandersetzung. Dann können sie diese fortsetzen, und sich anschließend den Dingen zuwenden, die aufgrund der Krise ihre Bedeutung verloren hatten.
Die Gefahr der beziehungsorientierten Typen ist, dass sich ihre Beziehung um sich selbst dreht, wenn sie sich nicht über ein Thema zum Ausdruck bringt. So wie ein Mensch sich selbst zum Schoßhündchen wird, wenn er nur sich zum Interessensgegenstand hat, so wird auch eine Beziehung sich selbst zum Schoßhündchen. Eine Beziehung kann nur konstruktiv sein, wenn sie auch ein Thema hat, das beide interessiert. Deshalb ist es wichtig, dass die beziehungsorientierten Menschen lernen, sich auf etwas auszurichten, das über »nur du bist mein Thema« hinaus reicht.
2.2 Ich-Es-Typ
Der »Ich-Es-Mensch« erlebt sich selbst stimmig und wesentlich über die Orientierung auf ein für ihn interessantes Thema oder eine herausfordernde Aufgabenstellung hin. Er fühlt sich mit sich selbst im Einklang, wenn er sich für eine Sache begeistern, ein Thema durchdringen oder eine Aufgabe meistern kann.
Trifft er auf einen anderen Menschen, so sind seine Grundfragen:
• Interessierst du dich auch für das, wofür ich mich interessiere?
• Hast du ein für mich interessantes Thema, eine Fragestellung, eine Aufgabe anzubieten?
• Können wir irgendwo ›gemeinsame Sache machen‹?
Wenn wir auf dieser Ebene der Sachorientierung genügend Gemeinsamkeiten erfinden, kann dies die Basis für unser Zusammengehen als Partner/ in, Kollege/in, Kund/in, Berater/in etc. sein.
Abb.