Systemisches Coaching. Bernd Schmid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Schmid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783897975224
Скачать книгу
so in Berührung zu bringen, dass er seinen bisher gelebten, eingeschränkten Bezugsrahmen (System von Leitideen, Weltbild, Epistemologie) verändert.

      4.1 Definitionen und Zwickmühlenlogik

      Wir definieren eine Zwickmühle als ein Muster im Bezugsrahmen (im System der Leitideen), innerhalb dessen Lösungen für ein Problem oder die Gestaltung einer Beziehung aufgrund falscher Definitionen, Implikationen und Verknüpfungen so konzipiert sind, dass die Befriedigung des Anliegens durch solche Lösungen unmöglich oder unannehmbar wird.

      Es werden also falsche Zusammenhänge hergestellt: Zum Beispiel Angst als inneres Erleben wird mit Gefahr als äußere Bedrohung gleichgesetzt, weshalb auf Angst wie auf äußere Bedrohung reagiert wird. Oder: Sexuelles Verlangen zeigen heißt, ein schlechter Mensch sein, es nicht zu zeigen heißt, kein Mann sein (falsche Implikationen). Oder: »Wenn ich ein Bedürfnis äußere (mich endlos jammernd beklage), geht niemand wirklich auf mich ein (bittet niemand um Verzeihung). Bin ich bescheiden (sitze passiv herum), sieht mich keiner (fragt keiner, was mit mir los ist).« Hier liegen verschiedene falsche Verknüpfungen vor.

      Zwickmühlen-Erleben und -Verhalten sind Prozesse, mit denen Zwickmühlen im inneren Erleben und/oder sozialen Situationen abgebildet werden mit dem Anliegen, eine Lösung zu finden. Diese Lösung wird in immer neuen Antworten auf falsch gestellte Fragen gesucht. Daher sind diese Antworten unmöglich oder unbefriedigend. Erst die Analyse der falschen Fragestellung und die Re-Definition des Bezugsrahmens (von einem Metastandpunkt aus) machen Antworten möglich, Lösungen befriedigend.

      Kompliziert wird es, wenn die Klärungssituation von Seiten des Klienten als Zwickmühle erlebt oder gestaltet wird und der Klient sein Denken nicht freigibt, weil dies aus dem bisherigen Bezugsrahmen ein Anliegen verletzt. Ausweglos scheint eine Therapiesituation, wenn der Therapeut Zwickmühlen nicht erkennt oder teilt und daher selbst auf ungeeigneten Ebenen Lösungen sucht. Er fühlt sich dann selbst gefangen.

       4.2 Beispiele für Zwickmühlen-Zusammenhänge

      Im ersten Beispiel werden Erfahrungen intern in einem Zwickmühlen-Bezugsrahmen verarbeitet, ohne dass von außen eine Zwickmühle erkennbar ist:

      Ein Klient konkurriert häufig mit Männern. Sieht er sich als besser, wird der andere uninteressant. Sieht er sich als unterlegen, fühlt er sich gedemütigt. Lässt der andere sich nicht in eine Konkurrenz ziehen, bedeutet dies Desinteresse an einem Kontakt. Vermeidet der Klient zu konkurrieren, heißt dies für ihn, dass er als Mann nicht neben Männern bestehen kann.

      Im zweiten Beispiel wird eine Zwickmühle in der Außenrealität konstruiert:

      Ein Klient kommt verspätet zur festgelegten Therapiestunde und hat Wichtiges zu bearbeiten. Sein Auto hat er so geparkt, dass er einen Strafzettel über 40 Euro bekommen wird. Sein Auto in eine Parkgarage zu fahren, würde etwa 20 Minuten in Anspruch nehmen. Der Klient hat sehr wenig Geld, und für die Therapiestunde bleiben noch 40 Minuten. Typisch für Klienten mit Zwickmühlen-Verhalten ist nun, dass sie keinen Verlust akzeptieren wollen, von anderen die Rahmenbedingungen verändert haben wollen, mit den damit verbundenen Auseinandersetzungen die Therapiezeit verbrauchen und mittlerweile einen Strafzettel erhalten haben.

      Zwickmühlen entstehen auch durch den Versuch, falsche Antithesen zu problematischem Verhalten zu bilden. Anstelle von Antithesen werden unter Beibehaltung des falschen Bezugsrahmens Umkehrungen der bisherigen Logik gebildet. Unter Beibehaltung des falschen Bezugsrahmens werden Alternativen oder andere Menschen erfolglos daraufhin getestet, ob eine andere Erfahrung möglich ist.

      Hier ein Beispiel für die entsprechende Logik:

      »Man kann sich nicht in mich einfühlen und mir helfen, mich selbst zu verstehen. Wenn ich nicht erkläre, was mit mir los ist, versteht mich der Therapeut nicht. Wenn ich es erklären kann, brauche ich seine Hilfe nicht.

       Hilfe heißt, etwas erklärt zu bekommen, was ich selbst nicht verstehe. Um den anderen als hilfreich zu erleben, muss ich mich selbst in Bezug auf das, was er erklären soll, verwirrt zeigen. Also zeige ich mich verwirrt, auch um den Therapeuten zu testen, ob er denn etwas für mich tun kann. Versteht er mich nur, wenn ich mich verständlich mache, ist dies keine Kunst. Versteht er mich nicht, weil ich mich noch verwirrt zeige, ist er mir keine Hilfe.«

      Weitere Beispiele:

      »Man mag mich nur zurückhaltend und bescheiden. Um nicht abgelehnt zu werden, halte ich mit meinen Ansprüchen zurück, fühle mich dabei enttäuscht und depressiv. Wenn ich mich besser fühlen will, muss ich meine Ansprüche vertreten. Da ich aber keine Berechtigung dazu spüre, muss ich kämpferisch und fordernd auftreten. Andere Menschen reagieren darauf eher mit Rückzug oder Zurückweisung, woraus ich schließe, dass man mich nicht mag, wenn ich meine Interessen aktiv vertrete.«

      Ein Ausbildungskandidat vor dem Examen: »Man wird nur für Leistung anerkannt. Ich möchte auch anerkannt werden, wenn ich nichts leiste. Zeige ich im Examen mein Können, bleibe ich unsicher, ob sie an mir als Mensch Interesse haben. Zeige ich schlechte Leistungen, um mal zu testen, ob sie mich dennoch mögen, falle ich durch, was ich als persönliche Ablehnung erlebe. So bestätige ich mir, dass sie nur an meiner Leistung interessiert sind.«

      So veranstalten viele Menschen Versuche, um aus bisherigen Glaubenssätzen auszusteigen, oder testen andere Menschen (insbesondere Therapeuten), ob sie mit diesen andere als die gewohnten Erfahrungen machen können. Sie tun dies jedoch auf eine Weise, die keine positiven Erfahrungen möglich macht, solange die falsche Versuchsanordnung nicht entdeckt ist.

      4.3 Der Dilemmazirkel

      Aufgrund der als unlösbar erlebten Situation ist der Klient umso verzweifelter, je wichtiger das Anliegen ist. Um der Verzweiflung zu entgehen, kämpft der Klient, bis er erschöpft resigniert. Verleugnet der Klient sein Anliegen, verhindert er unnötige Erschöpfung, doch ist dies auf Dauer keine Lösung. Steht er zu dem Anliegen, heißt dies für ihn Zwickmühlen inszenieren und dagegen kämpfen, wodurch jedoch die Verzweiflung größer wird. Auch dies ist wiederum eine Zwickmühlen-Konstellation.

       4.3.1 Typische Verwechslungen und Positionen im Dilemmazirkel

      Bei Zwickmühlen-Verhalten und -Erleben können unabhängig vom Inhalt des zu lösenden Problems vier typische Verwechslungen beobachtet werden:

      1. Der Versuch, sich dem Leiden einer Zwickmühle zu entziehen, wird verwechselt mit dem Leugnen (Abwertung der Existenz oder Bedeutung) des Dilemmas, wodurch das zugrundeliegende Anliegen ebenfalls abgewertet wird.

      2. Aktives Klären und Handeln wird mit Kämpfen und Strampeln verwechselt. Das Zu-einem-Anliegen-Stehen, ohne eine Lösung zu haben (Konflikttoleranz), wird mit verrissenem Durchhalten verwechselt.

      3. Loslassen, um sich zu entspannen und Erholung zu ermöglichen, wird mit Aufgeben und Resignieren verwechselt.

      4. Verzweiflung spüren wird verwechselt mit sich einem Dilemma hilflos ausliefern.

      Der Klient wechselt zwischen vier Positionen des Dilemmazirkels: 1. Kämpfen (sich abstrampeln), 2. Resignieren (Aufgeben), 3. Verzweifeln (Panik) und 4. Leugnen (sich ablenken). Durch Kämpfen und Ausharren fühlt sich der Klient erschöpft und braucht Erholung, ohne die Zwickmühle gelöst zu haben. Da Loslassen und Entspannen aber Aufgeben bedeutet, löst dies Verzweiflung aus. Um die Verzweiflung zu vermeiden, kann das Dilemma geleugnet werden, wodurch zeitweise Erholung möglich wird. Je wichtiger das zugrunde liegende Anliegen jedoch ist, umso schwieriger wird die Verleugnung, so dass Erholung nur begrenzt möglich ist. Bleibt die Zwickmühle bewusst oder wird sie es nach einer Leugnungsphase wieder, wird die alte Verzweiflung spürbar. Um dies zu verhindern, nimmt der Klient seinen Kampf wieder auf. Er bleibt im Dilemmazirkel: Kämpfen – Resignieren – Verzweifeln – Leugnen.

      Einem hilfreichen Aufgeben der bisherigen Lösungsversuche steht im Wege, dass damit das Aufgeben des Anliegens verwechselt wird. Oft ist ein Bestandteil des Bezugsrahmens,