Sofern solche Präferenzunterschiede in Partnerschaften vorkommen – solche Menschen heiraten sich gerne, weil jede/r mit dem ›Sinn für Ergänzung‹ gut wählt – gibt es in musterhafter Regelmäßigkeit Beziehungskrisen, in denen sich beide in ihre jeweilige Einseitigkeit zurückziehen. Irgendwie finden sie dann wieder zueinander, oft ohne wirklich Verständnis für das Geschehen zu entwickeln.
Für den Ich-Du-Menschen ist die Beziehung wieder gut, wenn er das Leuchten der Zuneigung in den Augen des anderen wiederentdecken kann. Dann erwacht auch das Interesse an der Zusammenarbeit wieder. Der Ich-Es-Mensch freut sich, wenn die gemeinsame Sache wieder in den Vordergrund rückt und kann sich damit dem Gegenüber auch als Mensch wieder öffnen. Beides geschieht jedoch meist nicht in dem Maße, wie es sich das Gegenüber in neuer Hoffnung wünschen würde – und ein neuer Kreislauf von Erwartung, Stillhalten, Enttäuschung, Groll und Schuldzuweisungen nimmt seinen Lauf.
Viel gelitten wird in dieser Art auch im Bereich sexueller Vollzüge:
Während der Ich-Du-Typ gemeinsam gelebte Sexualität als Ausdruck und Höhepunkt inniger Bezogenheit erlebt und definiert, der viele andere Arten der Annäherung und persönlichen Wertschätzung vorauszugehen haben, ist für den Ich-Es-Typ der sexuelle Vollzug eine lustvolle gemeinsame Sache, die Nähe, Öffnung für den anderen, Tiefe der Gefühle und Bezogenheit erst wachsen lässt. Für ihn/sie wäre dies also eher der Ausgangspunkt intensiver Begegnung und gemeinsamer Entfaltung.
In der Polarisierung fühlt sich der Ich-Du-Typ von einem solchen Anliegen von Ich-Es-Typen bestenfalls »nicht wirklich als Person gemeint«, im schlimmsten Fall »missbraucht«. Darauf reagiert er mit Rückzug oder Hinhalten. Der Ich-Es-Typ hingegen fühlt sich in seiner Orientierung »auf das eine« diskriminiert, oft schuldig, zieht sich nun seinerseits zurück (oder hat bereits die erste Annäherung aufgegeben), sodass auch die langsame Annäherung, die der Ich-Du-Typ bräuchte, damit unterbunden wird. Beide bleiben enttäuscht, manchmal verzweifelt zurück, weil sie trotz redlichen Bemühens keinen Weg finden, der ihnen und dem anderen gerecht wird.
Theoretisch wäre das Zusammenspiel zwischen einem beziehungsorientierten und einem themenorientierten Typ eine ideale Kombination. Jeder trägt ein für eine Beziehung notwendiges Elemente in die Beziehung: Der Ich-Du-Typ stünde für Bezogenheit, der Ich-Es-Typ für ein Thema. Im Konflikt kommt es zwischen diesen Präferenztypen jedoch zu schwer überbrückbaren Auseinandersetzungen, weil jeder Voraussetzungen hat, unter denen er ein Minimum an Vertrauen hat und hofft, das zu bekommen, was er in der Beziehung braucht. Das ist dann so, wie bei gescheiterten Friedensverhandlungen.
Die Lösung kann nur darin bestehen, dass jede/r sich im Laufe seines/ ihres Lebens zunehmend selber klärt:
• Welcher Art ist meine Ich-Es-Orientierung und wie bedeutsam ist sie mir in meinen Beziehungen?
• In welchen Kontexten spielt diese Orientierung eine größere Rolle als in anderen?
• Welcher Art ist meine Ich-Du-Beziehungsseite?
• Wie kann ich beide stimmig mit den jeweils betroffenen Personen und ihren Anliegen zusammenbringen?
Es geht also darum, sich eine Art »Beziehungs-Portfolio« zu gestatten und dieses zu gestalten. Es geht darum, sicherzustellen, dass man nicht von einer Beziehung alles erwartet, denn damit ist jede/r Beziehungspartner/ in überfordert. Nötig ist, dass beide Partner ein echtes Verständnis davon gewinnen, dass sie in dieser Beziehung von ihren Präferenzen und Orientierungen her unterschiedlich sind. Nötig ist auch, dass sie lernen, diese Unterschiede als gleichwertig gelten zu lassen, auch wenn ihnen das immer wieder schwerfallen sollte. Sie müssen anerkennen, dass sie zusammen nur dann auf Dauer bzw. immer wieder harmonieren können, wenn jeder in dem Bereich, der ihn nicht vorrangig interessiert, Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen entwickelt, die der andere als für sich genügend befriedigend erlebt, um den eigenen vorrangigen Bereich wahrgenommen, gewürdigt und bedient zu sehen.
Die Schwierigkeit ist, dass Menschen normalerweise kein derartiges pragmatisches Verhältnis zu Beziehungen haben. Sie wollen, dass der andere sie liebt, schätzt und würdigt, wie sie sich selbst würdigen wollen (bzw. dies von einem anderen ersehnen). Auch erteilen sie anderen Würdigung nach ihren Maßstäben und wundern sich, wenn dem anderen die Augen nicht so leuchten, wie sie ihnen selbst leuchten würden, wenn sie eben dies sehen, hören oder fühlen würden.
Das heißt, beide brauchen ein gewisses Maß an Umsicht und Erkennen: Das braucht der andere. Und darauf ist es wichtig, dass ich mich beziehe, um Anschluss an ihn zu gewinnen, nicht zuletzt um meine Präferenz mit ihm leben zu können. Wenn ich meine Vorliebe zuerst und vorrangig durchsetzen will, kann es sein, dass ich den anderen als Menschen oder sein Interesse verliere. Dann fehlt auch die Grundlage für meine Beziehungspflege bzw. die gemeinsame Sache.
In der Annäherung muss sowohl der Ich-Du-orientierte als auch der Ich-Es-orientierte Mensch lernen, von der eigenen Präferenz Abstand zu nehmen und sich auf die Andersartigkeit des Gegenüber einzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass beide aufhören, sich gegenseitig in ihren Sicht- und Verhaltensweisen zu diffamieren. Stattdessen müssen sie anfangen, sich von ihren Vorlieben und ihren Hintergründen zu erzählen. Sie müssen lernen, dies ohne Anspruch auf Zustimmung zu tun, nur im Bemühen sich zu verstehen im Sinn einer Bezugsrahmenerweiterung. In einem dritten Schritt wäre zu prüfen, wo jeder dem anderen auf seinem Annährungsweg entgegenkommen kann, obwohl es sich etwas ungewohnt anfühlt und bisher vielleicht intern auch als ›sich etwas vergeben‹ oder ›sich verleugnen‹ gedeutet wurde. So können beide mit der Zeit einen größeren GestaltungsSpielraum in ihrer Beziehung gewinnen, gepaart mit wachsendem Respekt vor der Andersartigkeit und dem Bemühen des anderen um gelingende Begegnung.
Ein wesentlicher Aspekt von Begegnungskompetenz sowohl in privaten als auch in professionellen Beziehungen ist somit das Vermögen, der eigenen Neigung zu widerstehen. Man muss die Kraft aufbringen, maßvoll und integrativ dem anderen soweit entgegenzukommen, wie er es braucht, um seinerseits entgegenkommen zu können. Bei aller Präferenz, die jedem natürlich in seiner Eigenart zusteht, muss man die Bereitschaft entwickeln, sich an die Beziehungsandersartigkeiten des Gegenübers anzuschließen. Dadurch erhält man relative Freiheit in bestimmten Beziehungsebenen und Rahmen.
2.4 Ein Beispiel
Ein Beispiel aus dem Organisationsbereich mag die Begegnungsschwierigkeiten zwischen Ich-Du- und Ich-Es-Typen noch einmal beleuchten und zugleich die Klärungskraft dieses Modells dokumentieren:
Ein leitender Angestellter wird zu seinem Chef gerufen, der ihm mitteilt, dass er mit seiner Leistung in einem bestimmten Tätigkeitsfeld nicht zufrieden ist. In mehreren Gesprächen unter vier Augen arbeitet er mit ihm zusammen einen Plan aus, wie das Problem gelöst werden kann. Er möge diesen innerhalb von drei Monaten umsetzen und ihm dann einen Erfolgsbericht geben.
Dieser Mitarbeiter schätzt seinen Chef als Mensch und Führungskraft, die Rüge trifft ihn sehr persönlich, auch wenn er die intensive Arbeit mit ihm genossen hat. Er vermutet, dass sein persönliches Vertrauensverhältnis durch diesen Vorgang empfindlich gestört ist, und nimmt sich vor, alles daran zu setzen, um seinen Vorgesetzten nicht noch einmal zu enttäuschen. Er geht die Sache an und es gelingt ihm, in besagtem Arbeitsfeld das Steuer herumzureißen und binnen kurzem sowohl wieder schwarze Zahlen zu schreiben als auch zwei anstehende Personalprobleme auf gute Weise zu lösen. Ganz glücklich darüber, schreibt er einen ausführlichen Bericht und schickt ihn seinem Chef mit der Bitte um einen persönlichen Termin, um ihm darüber in einem Vier-Augen-Gespräch noch detaillierter zu berichten. Es dauert eine Weile, bis er ein kurzes Memo erhält: Vielen Dank für die Erledigung! Dann folgt ein Terminvorschlag für die Vorlage eines Projektentwurfes in einem anderen Aufgabenfeld. Der Mitarbeiter ist zunächst enttäuscht, dann wütend. Er hatte gehofft, dass durch diesen Erfolg die gute Beziehung zum Chef wiederhergestellt sei, d.h. eigentlich, dass sie dadurch nun intensiver würde. Und jetzt wendet er sich einfach anderen Aufgaben zu! Der kann mich …!
Was ist geschehen? Durch die Brille