Persönliche Kommunikation zwischen Menschen ist auch durch den Kontext, in dem sie stattfindet, geprägt. Professionelle Rollen, Positionen und Mandate in der Gesellschaft oder ihren Organisationen zeigen Wirkung. Wirklichkeitsbezüge und Beziehungen haben daher mit Kraftfeldern und Interessengefügen zu tun, innerhalb derer sie oft erst zu verstehen sind.
Die Selbststeuerung von Rollen- und Positionsinhabern und die entsprechenden Beziehungsgestaltungen können meist nur dann optimal gefördert werden, wenn diese erweiterten Realitätsbezüge berücksichtigt werden. Gegenseitige Intuitionen vermögen sich konstruktiv in den Dienst gesellschaftlicher Rollen zu stellen. Die meisten der bisherigen Ausführungen lassen sich auf das Verständnis der so erweiterten Wirklichkeitsbezüge analog anwenden. Das oben dargestellte Strukturmodell der Persönlichkeit tritt dabei allerdings häufig in den Hintergrund. Stattdessen könnten z.B. Strukturmodelle von Organisationen, Interessengefüge oder die Architektur von gesellschaftlichen Rollen und ihren Bezügen Bedeutung gewinnen. Die private Persönlichkeit bestimmt hier häufig eher eine Tönung des Erlebens und Verhaltens und der Funktionsbezüge, als dass sie von entscheidender Bedeutung wäre.
Für einige Arbeitszusammenhänge ist es interessanter und für verabredetes professionelles Handeln produktiver, das Erleben und Verhalten eines Menschen gemäß verschiedener Rollen- und Kontextbezüge zu unterscheiden. In unterschiedlichen Rollen und Kontexten denkt, handelt und fühlt man unterschiedlich. Die Wirklichkeitsbezüge sollen und dürfen sich unterscheiden. Nehmen wir z.B. einen Arzt, der als Institutsdirektor, als behandelnder Psychotherapeut und als Privatmensch auf eine Situation trifft. Hier könnten unerkannt Gedanken des Therapeuten und Gefühle des Privatmenschen das Erleben und Verhalten in der Rolle des Institutsdirektors irreführen. Gelegentlich suchen Menschen im Privatleben bei Berufsrollen Zuflucht. Allerdings reagieren wohl die meisten Lebenspartner »allergisch«, wenn sie sich »psychotherapiert« fühlen. Hier muss dann psychotherapeutisches Wissen aus der Berufsrolle herausgelöst und in Privatrollen integriert werden.
Das Zusammenspiel verschiedener Betrachtungsebenen und der jetzt wieder wichtiger werdenden Inhaltsaspekte der Kommunikation steigern die Komplexität dessen, womit Transaktionsanalytiker professionell umgehen.
2.3 Die Perspektive der Wirklichkeitskonstruktion
Bei der wirklichkeitskonstruktiven Perspektive geht man davon aus, dass Wirklichkeit nur unter Einbezug der Person, die sie erlebt und beschreibt, sinnvoll dargestellt werden kann. Wirklichkeit ist eine Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Die Zugangsweise zur Welt, die Annahmen darüber, was in ihr vorgefunden werden kann und wie Zusammenhänge herzustellen sind, bestimmen die erlebte und gestaltete Wirklichkeit eines Menschen.
Wirklichkeit ist also ein aktiv gestalterischer Vorgang, eine innere und äußere Inszenierung anlässlich objektiver Gegebenheiten. Um Wirklichkeitsinszenierungen zu verstehen, lohnt es sich, Drehbücher, Inszenierungsstile und Regieverhalten der Beteiligten zu studieren.
Schon BERNE soll bei der Begründung seiner theoretischen Grundkonstrukte vor der Überlegung gestanden haben, ob er diese nicht auf dem Begriff der Information aufbauen sollte (ENGLISH, mündliche Mitteilung). Er habe sich jedoch für den in den 60er-Jahren gängigeren Schlüsselbegriff der »psychischen Energie«, also eher für ein biologisches Modell anstatt eines informationstheoretischen Modells entschieden. In der Postmoderne ist sicher ratsam, zumindest ergänzend die Fäden um den Schlüsselbegriff Information weiterzuspinnen.
2.3.1 Der Schlüsselbegriff »Information«
Oft wird die Idee der wirklichkeitskonstruktiven Perspektive mit einer beliebigen Relativierung von Wahrheit verwechselt. Die wirklichkeitskonstruktive Perspektive ist jedoch mehr als das. Sie setzt sich konsequent mit der Vielfalt und der Bedeutsamkeit von Wirklichkeit auseinander. Dabei wird vom Schlüsselbegriff der Information ausgegangen.
Informieren heißt eigentlich: eine Gestalt geben, formen, bilden. Hierzu müssen Kontraste erzeugt werden. Informationen sind Unterschiede, die Unterschiede machen (BATESON 1972). In der Rückblende auf den Beobachter entsteht dadurch die Frage, welches die Kategorien sind, die Unterschiedsbildungen zugrunde liegen. Und welches sind die Kriterien, aufgrund derer bestimmte Unterschiede Unterschiede machen, also bedeutsam sind? Wofür sind Unterscheidungen bedeutsam und welche Ausdifferenzierung der Welt soll mit ihnen vorgenommen werden?
Eine differenzierte Betrachtungsweise ist dadurch gekennzeichnet, dass aus der Sicht des Beurteilenden vielfältige Unterscheidungen vorgenommen werden. Quantitativ ist das Unterscheidungsproblem jedoch nicht zu lösen, da durch mehr Unterscheidungen der Sachverhalt nur kompliziert wird. Es müssen also solche Unterscheidungen getroffen werden, die bedeutsam sind, damit andere unterlassen oder nivelliert werden können, die für eine bestimmte Betrachtungsweise weniger interessant sind. Dieser Vorgang ist unerlässlich für eine Wahrnehmungssteuerung, die Komplexität angemessen berücksichtigen möchte.
Bewusste Wirklichkeitsbeschreibungen sollen so einfach wie möglich, aber so komplex wie nötig sein. Dabei wird die Frage wichtig, zu welchem Zweck in jeder spezifischen Situation die Wirklichkeitsbeschreibung vorgenommen wird.
2.3.2 Wirklichkeitskonstruktionen und transaktionsanalytische Praxis
Wirklichkeitskonstruktionen werden für Transaktionsanalytiker in der Regel dann wichtig, wenn sie daraus professionelles Handeln ableiten und bestimmte Wirklichkeiten erzeugen wollen. Daher müssen sie selbst und ihr Verständnis von Professionalität bei der Auswahl sinnvoller Wirklichkeitskonstruktionen berücksichtigt werden.
Hierzu wird die Frage nach dem jeweiligen Kontext, nach den jeweiligen Rollen und dem Professionsverständnis des Handelnden gestellt. Die Frage nach der Wirklichkeit bedeutet unabdingbar die Frage nach dem Beobachter, also dem, der Wirklichkeit konstruiert.
Um Transaktionsanalyse aus der wirklichkeitskonstruktiven Perspektive zu erschließen, habe ich einige neue Definitionen (SCHMID 1990c) vorgeschlagen:
1. Transaktionen sind Handlungen, die Realitäten durch Kommunikation mitgestalten. Transaktionen implizieren Annahmen über Wirklichkeiten und können zu Konsequenzen führen, die in Übereinstimmung mit den implizierten Annahmen stehen.
2. Transaktionsanalyse meint einen professionellen Umgang mit der Gestaltung von Wirklichkeit durch Kommunikation. Ihre Perspektiven sind selbst Gegenstand der Reflexion von Transaktionsanalytikern.
Für die Perspektive der Wirklichkeitskonstruktion gab es schon früher Ansätze in der Transaktionsanalyse. In der Kathexis-Schule z.B. gibt es die Konzeption des Bezugsrahmens; also eines Ideen-Gebildes, aus dem heraus der Mensch seine Erlebens- und Verhaltensweisen organisiert. Man studiert, aus welchem Bezugsrahmen heraus ein Klient dieses oder jenes Verhalten zeigt. Oft interessiert insbesondere, inwiefern Erleben und Verhalten Wirklichkeitsvorstellungen widerspiegeln, die zu einem eingeengten Realitätsbezug führen. Hier gibt es Konzepte, die es ermöglichen zu fragen, wie Menschen Aspekte der Wirklichkeit innerlich werten oder abwerten. Ob ein Aspekt gewertet werden sollte, ist natürlich Ansichtssache eines Beobachters. Zum Beispiel gibt es ein Analyseschema, welches zu studieren hilft, ob die Nicht-Inanspruchnahme einer Lösungsmöglichkeit darauf beruht, dass der Klient das Problem an sich, die Bedeutung des Problems, die Lösbarkeit eines Problems oder seine persönliche Fähigkeit, etwas zu tun, abwertet. Je nachdem wie diese Einschätzung ausfällt, lassen sich daraus Strategien ableiten, dem Klienten eine angemessene Wertung dieser Aspekte zu ermöglichen.
Auch gibt es bei SCHIFF (et al. 1975) Begriffe wie Übergeneralisierung oder Überdetaillierung. Mit Übergeneralisierung ist ein Klientenverhalten gemeint, mit dem Probleme dadurch unlösbar gemacht werden, dass Fragestellungen auf zu generelle Schlussfolgerungen zugeschnitten werden, so dass nicht angemessen geklärt und entschieden werden kann.
Eine Überdetaillierung liegt dann vor, wenn der Klient konkrete Schilderung an konkrete Schilderung reiht, aber nicht bereit ist, daraus allgemeinere Überlegungen und Fragestellungen abzuleiten, aus denen wiederum die konkreten