Lt = Ls + Lo
Ich und diese Formel, das war Liebe auf den ersten Blick. Mir war schon lange bewusst, dass die Beantwortung meiner Fragen und der Zustand unserer Gesellschaft sehr viel mit Selbstwert, Anerkennung, Herdentrieb und Interessenskonflikten zu tun hat. Das Thema zieht sich ja durch die ganze Menschheitsgeschichte und spiegelt sich in den Religionen, den Künsten und den Sitten wider. Dieses Thema ist riesengroß, fast zu groß und sehr kompliziert. Und dann finde ich diese Formel oder sie mich und bringt es auf den Punkt. Klar, das ist sehr vereinfachend. Endlich. Ich mag das Einfache. Ich begann zu recherchieren, wer diese Formel entwickelt hatte.
Es waren amerikanische Experten. In den 60er-Jahren im Kalten Krieg. Der wurde ja nicht nur mit atomarer Aufrüstung und Wirtschaftsblockaden ausgefochten, sondern auch durch den Propagandakrieg. Flugblätter, Radiosender und das übliche Instrumentarium. Das haben die Amis auch schon früher gemacht und auch nachher. Das machen sie auch heute noch. Nicht nur die Amis. Aber damals haben die hellsten Köpfe der Eliteunis wie Havard und Yale ganz psychologisch nachgedacht, wie sie den Gegner hinter dem Eisernen Vorhang schwächen können. Wie man den Selbstwert der Russen abmontieren und ihr Selbstvertrauen zertrümmern kann. Wer kein Selbstvertrauen hat, hat ja auch keinen Mut. Blöderweise aber immer noch den roten Knopf für die Atomsprengköpfe. Und die Ergebnisse ihrer Forschungen haben sie unter anderem in dieser Formel zum Ausdruck gebracht:
Lt = Ls + Lo
L steht für Love. Die Liebe.
Im Ernst: die Amis haben mit diesem Wort kein Problem und sind sich seiner Bedeutung und seiner Macht bewusst. Für uns ist Liebe ja oft irgendwie zu viel, zu pathetisch, zu peinlich. Zu emotional.
Das t im Lt steht für total. S steht für self und o steht für others. Die Gleichung liest sich im Original also:
Love total equals Self-Love plus Love from the Others
Übersetzt:
Lg = Ls + Lf
Liebe gesamt = Selbstliebe + Fremdliebe
Die Amis haben klar erkannt: wenn wir den Russen ihren Selbstwert und ihren Stolz auf ihr Land nehmen, dann zerbröckelt ihre Selbstliebe und ihre Identität. Da sind sie dann ganz schwach. Das dürfte funktioniert haben. Die USA gibt es ja noch immer. Der ehemalige Osten liegt zwar noch immer im Osten, ist aber doch nicht mehr derselbe wie früher. Sie sehen, die kann was, die Formel. Letztendlich hat die Formel sogar die Berliner Mauer umgehauen. Die im Osten haben sich minderwertig gefühlt, rüber geschaut in den Westen. Da war es besser. Das war die Basis für den Untergang der DDR.
UNTERLIEBT ♥ Unsere Formel: Lg = Ls + Lf
Ich hab die Formel fasziniert übernommen und auf das Individuum, auf mich selbst und in meiner Arbeit angewendet.
Lg = Ls + Lf
Liebe gesamt = Selbstliebe + Fremdliebe
Es geht in Summe um die Liebe, die Sie sich selbst geben und die Sie von den anderen bekommen. Liebe von innen und Liebe von außen. Ein bisschen banaler, dafür bildhafter: Es geht um Ihre Streicheleinheiten, die Sie zum Leben, sogar zum Überleben brauchen und die Sie sich selbst geben oder von anderen holen können.
Damit ich Ihnen das Prinzip vorrechnen kann, sagen wir jetzt einmal, wir brauchen Liebe gesamt 10, okay? Sie können schon mehr davon haben, viel mehr. Aber damit Sie halbwegs ausgeglichen und rund sind, damit Sie am wöchentlichen Besuch bei Ihrem Therapeuten vorbeischrammen, brauchen Sie die 10. Das ist kein wissenschaftlich fundierter Wert. Das ist vollkommen willkürlich. Mit 10 rechnet es sich nur leichter als zum Beispiel mit 4.213,58.
Wenn Sie jetzt eine Selbstliebe von 8 haben, sich wirklich mögen, dann brauchen Sie nur mehr Fremdliebe von 2. Das ist ein schönes Gesamtliebepackage und Jesus und ihre Nächsten haben große Freude mit Ihnen. Sofern die Nächsten Sie nicht ausnutzen wollen. Die Gleichung lautet dann:
10 = 8 + 2
Das liest sich gut und spürt sich im Leben auch gut an. Da geht es Ihnen gut. Sie bekommen genug Liebe. Vor allem von sich selbst. Sie sind so ein ausgeglichener Mensch, der äußerst angenehm ist. Sie haben auch oft gute Tage. Sie sind sehr selten aggressiv, schreien nicht herum und schlagen auch keine Kinder. Ehefrauen auch nicht. Ehemänner auch nicht. Wir leben ja im Zeitalter der Gleichberechtigung. Sie müssen auch nicht um jeden Preis gewinnen. Sie haben ja schon so viel.
In unserem Kulturkreis findet man die Formel allerdings viel öfters in solchen Ausprägungen:
10 = 2 + _
Mit 2 Selbstliebe sind Sie schon ziemlich runtergefahren, so eine richtige Selbstwertflunder. Ein Selbstliebe-Gartenzwerg. Ein Ich-mag-mich-nicht. Lechzend nach Streicheleinheiten und Zuspruch. »Bitte, bitte, habt mich lieb!« Das wäre aber noch gar nicht so schlimm, wenn Sie die 8 Fremdliebe wirklich bekämen. Dann sind Sie zwar ein bisschen sehr fremdgesteuert, aber immerhin fühlen Sie sich ausreichend geliebt.
10 = 2 + 8
Ich nehme es vorweg. Das ist die Lieblingsgleichung unseres Systems. Das ist die Basis unserer Gesellschaft. Über die Fremdliebe schleichen sich jede Menge Fremdinteressen in unser Leben ein. Damit diese Fremdliebe genug Platz hat, muss sie unsere Selbstliebe verhindern oder verdrängen. Diese Fremdliebe ist in Wirklichkeit oft gar keine. Sie tut nur so. In Wirklichkeit geht es um die Optimierung des eigenen Nutzens. Dem von den anderen. Das ist so wie zwischen Amerikanern und Russen. Nein, Peter, das ist keine Binsenweisheit. Wir sind uns sehr oft nicht bewusst, dass wir instrumentalisiert und benutzt werden. Übrigens angenehm, dass du deine Klositzung beendet hast. Es redet sich so doch leichter miteinander.
Menschen mit einer derartigen Liebesgleichung sind oft sehr zufrieden. Und brav. Brave Kinder, arbeiten brav, konsumieren brav. Gehen vielleicht brav in die Kirche und wählen auch brav die richtige Partei. Sie sind ein braves und von außen anerkanntes Mitglied der Herde. Sozial integriert. Sie können in diesem Absatz das brav durch ordentlich ersetzen. Das funktioniert sehr gut. Wenn Sie das brav durch selbstbewusst oder selbstbestimmt ersetzen, wird es holprig, oder? Menschen mit so einer Liebesgleichung lesen ganz sicher nicht dieses Buch. Oder erst, wenn sie spüren, dass die Selbstliebe zu kurz kommt. Weil das Selbst irgendwie und irgendwo abhanden gekommen ist. Rudi, du nickst dazu. Du hast dein ganzes Leben vor allem eines: brav funktioniert. Als Kind, in der Beziehung, in der Arbeit, für die Familie, im Schützenverein. Zeit für dich? War eher nicht das Thema. Jetzt sitzt du am Genfer See. Es nieselt. Und irgendwo da am Grund des Sees vermutest du dein Selbst. Das hättest du gerne wieder. Deshalb bist du auch in diesem Buch. Da wirst du es auch nicht finden. Ich habe es dir ja nicht genommen.
Claudia, du weißt auch, wovon ich rede. Du hast schon sehr oft dein Selbst hintan gestellt. Es immer wieder vernachlässigt. Du hast es sogar schon ganz verloren gehabt. Das hat weh getan. Aber du hast es dir auch immer wieder zurückgeholt. Leicht war das nicht.
Rainer, dir biete ich ein Zitat von Ödön von Horvath an. Eines meiner Lieblingszitate. »Eigentlich bin ich ganz anders. Ich komm nur so selten dazu.« Vielleicht kannst du damit etwas anfangen? Vielleicht träumst du ja auch heimlich von einem kleinen Weingut in Italien. Oder vom großen Ausstieg. Rainer, reg dich nicht auf. Du bist nun mal ein Klischee.
Bleiben wir noch bei der Formel in der Ausprägung 10 = 2 + 8. Ganz ungut wird es, wenn wir nicht einmal die nötigen 8 Fremdliebe bekommen, sondern zum Beispiel nur 5.
2 + 5 = eben nicht 10
2 + 5 ≠ 10 2 + 5 = 7
Dieser Mensch ist dann um 3 unterliebt. Jetzt haben wir es endlich definiert, dieses unterliebt. Ein schönes Wort. Ein Wort von mir. Ich mag es so, weil es zwar wehtun kann, wenn du es bist. Aber unterliebt bringt es wunderbar auf den Punkt.
U N T E R L I E B T.
Was sagst du, Patrizia?