1993 wurden von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren Thesen für die Gründung Pädagogischer Hochschulen formuliert. Während der berufliche Teil der seminaristischen Ausbildung eher unterrichtsmethodische Aspekte in den Vordergrund rückte, stellten die Thesen nun die Wissenschaft ins Zentrum. Im Gegensatz zu normativ geprägten Annahmen besteht eine wissenschaftliche Grundhaltung in der Bereitschaft, sich in Bezug auf Denken und Handeln unter den Anspruch einer auf Objektivität abzielenden Begründung und Rechtfertigung zu stellen und Behauptungen und Lösungsvorschläge selbstkritisch einem methodisch-geregelten Überprüfungsverfahren zu unterwerfen. Von den Pädagogischen Hochschulen wird eine theoretisch fundierte, an der Berufspraxis orientierte, kritisch-reflektierte Berufsbildung angestrebt, in der sich disziplinäres und interdisziplinäres Denken und Handeln verbinden. Ihre didaktische Qualität drückt sich im Bemühen um eine hochschuladäquate Lernkultur aus.
Mit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen wurde dann ein vierfacher Leistungsauftrag formuliert, der sich an den wenige Jahre zuvor gegründeten Fachhochschulen orientierte. Der Leistungsauftrag besteht aus folgenden Leistungsbereichen: Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistung und Beratung. Die Verbindung dieser Leistungsbereiche hat sich seit Gründung der Pädagogischen Hochschulen als besondere Herausforderung und als weitgehend unvorhergesehene Schwierigkeit herausgestellt.
Das zehnjährige Bestehen der PHBern wurde zum Anlass genommen, genau diese Verbindung der vier Leistungsbereiche und somit die Umsetzung des vierfachen Leistungsauftrags zu thematisieren. Erst eine bewusste, systematische und systemische Verbindung der verschiedenen Leistungsbereiche kann eine überzeugende Lehrerinnen- und Lehrerbildung im umfassenden Sinne garantieren.
Die Vortragsreihe zum Jubiläum wurde durch Prof. Dr. Lucien Criblez, Direktor des Instituts für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich, eröffnet. Er legte die Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Kanton Bern im Kontext gesamtschweizerischer Entwicklungen dar. Anschließend referierte Prof. Dr. Michael Zutavern, Prorektor Ausbildung an der PH Luzern, zum Thema «Wissenschaftsbasierte Lehre in der tertiarisierten Lehrerinnen- und Lehrerbildung». Zum Thema «Weiterbildung und Dienstleistungen an Pädagogischen Hochschulen – Sichtweisen zu ihren Problemzonen und dem Potenzial ihrer Beziehungen» trug Prof. Dr. Silvio Herzog, Rektor der PH Schwyz, vor. Die Leiterin des Instituts Forschung und Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule der FHNW, Prof. Dr. Andrea Bertschi-Kaufmann, referierte zum Thema «Aufbau und Bedeutung von Forschung und Entwicklung an Pädagogischen Hochschulen». Der letzte Vortragsabend wurde von Prof. Dr. Martin Schäfer, Rektor der PHBern, mit einem Kurzreferat zum Thema «Herausforderungen und Entwicklungslinien für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Zukunft» eröffnet. Anschließend wurde zu den Thesen von Martin Schäfer eine Podiumsdiskussion mit folgender Teilnehmerin und folgenden Teilnehmern durchgeführt: Prof. Dr. Priska Sieber, Rektorin, PH Thurgau; Prof. Dr. Hans-Rudolf Schärer, Rektor, PH Luzern; Prof. Dr. Walter Bircher, Rektor, PH Zürich.
Die Jubiläumsvorträge und die transkribierte Podiumsdiskussion werden im vorliegenden Band veröffentlicht. Die Herausgeberin und der Herausgeber des Bandes bedanken sich bei allen Personen, die dazu beigetragen haben, diese Publikation zu erstellen. Vielleicht kann dieser kleine Band eine Zäsur markieren, die sich zwischen der Aufbauphase der Pädagogischen Hochschulen, die nun weitgehend abgeschlossen ist, und der Konsolidierungsphase, in die wir mittlerweile eingetreten sind, ergibt. Denn die positiv verstandene Akademisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung war ein konstitutives Element der Tertiarisierung. Die Auseinandersetzung darüber wurde jedoch aufgrund politischer Anfeindungen, welche vorrangig mit dem negativ konnotierten Begriff der «Verakademisierung» als einem Verlust des Praxisbezugs argumentierten, bislang eher defensiv geführt. Diese Phase können und müssen wir hinter uns lassen. Die Pädagogischen Hochschulen werden sich auch künftig mit der hochschulrechtlichen Akkreditierung einerseits und mit der berufsbefähigenden Diplomanerkennung andererseits auseinanderzusetzen haben. Somit werden die Pädagogischen Hochschulen auch im Rahmen von swissuniversities einen besonderen Status beibehalten. In diesem Kontext spielt die PHBern als eine der großen Pädagogischen Hochschulen eine wichtige, auch hochschulpolitische Rolle, die in den nächsten 10 Jahren nicht kleiner werden wird.
Evelyne Wannack und Heinz Rhyn
Bern und Zürich, Juni 2016
Lucien Criblez, Universität Zürich
«Nun die grossen Schwierigkeiten glücklich überwunden, die vielen Hindernisse beseitigt und die Organisationsarbeiten beendigt sind, kann ich ruhig zurücktreten weil ich die Gewissheit habe, dass die Lehrerbildung auf der jetzt freien und geebneten Bahn sich gedeihlich weiter entwickeln kann» (Martig 1905, S. 110). So beendete Emanuel Martig1, seine «Geschichte des Bernischen Lehrerseminars zu Hofwil und Bern von 1883 bis 1905». Diese Geschichte ist einerseits eine Art Rechenschaftsbericht über seine eigene Amtstätigkeit, war er doch während 25 Jahren (1880–1905) Direktor des staatlichen Berner Lehrerseminars in Hofwil gewesen, andererseits ist sie die Fortsetzung seiner Geschichte der ersten fünfzig Jahre des Lehrerseminars Münchenbuchsee, die er zu Beginn seiner Amtszeit verfasst hatte (Martig 1883). Das Ende der Amtszeit Martigs ging zeitlich mit der Trennung von Unter- und Oberseminar einher: Das Unterseminar blieb im ländlichen Münchenbuchsee/Hofwil, das Oberseminar wurde in die Stadt Bern verlegt,2 dafür wurde auf dem Muesmattareal 1905 eigens ein Neubau eingeweiht (Oberseminar Bern 1905). Damit war die Tertiarisierung der Volksschullehrerbildung3 im Kanton Bern mindestens im Ansatz – als Trennung von Ober- und Unterseminar – eigentlich vollzogen, wäre sie nicht 1968 im Kontext des großen Lehrermangels (Criblez 2016/im Druck) rückgängig gemacht worden: Hofwil und Bern wurden zu zwei eigenständigen und vollständigen Seminarstandorten (Criblez 2002).
Die Volksschullehrerbildung konnte sich jedoch auch nach dem Rücktritt Martigs nicht einfach in «geebneten Bahnen» weiterentwickeln. Dies hat letztlich mit einem ganz einfachen Faktum zu tun: «Teacher education is, if anything, even more uncertain than teaching» (Floden & Clark 1988, S. 522). So beendeten die beiden amerikanischen Erziehungswissenschaftler Robert Floden und Christopher Clark einen Aufsatz zur amerikanischen Lehrerbildungsreform. Daraus lässt sich schließen: Weil die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern so unsicher ist – ob Studierende gute Lehrerinnen und Lehrer werden, weiß man eigentlich immer erst im Nachhinein –, kann man sich über die «rechte Lehrerbildung» (Scherr 1870, S. 34) gut streiten – und immer wieder neu streiten.
Im Folgenden steht die jüngste Reform im Vordergrund des Interesses. Diese Reform begann – folgt man den Rückblicken auf die Gründungsphase und dem Gründungsnarrativ der Pädagogischen Hochschulen (PH) in der Schweiz – in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre und wurde gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts abgeschlossen. Eine eigene Analyse der Strukturdiskussionen zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung zeigt tatsächlich, dass die entsprechenden Strukturdebatten auf den Zeitraum zwischen 1991 und 2002 konzentriert waren, und dass sich die Diskussionen ab 2009 von der Gestaltungs- zur Bilanzierungsperspektive verlagerten (Criblez 2012). Es wird allerdings auch zu zeigen sein, dass der Tertiarisierungsprozess4 nicht erst in den 1990er-Jahren einsetzte. Die Reform wurde 2008 und 2010 von Seiten der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und der Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Pädagogischen Hochschulen bilanziert (Ambühl & Stadelmann 2010, 2011),5