Die Auflistung praktischer Marketingaufgaben in Abbildung 1-2 orientiert sich im Wesentlichen an den Marketinginstrumenten. Diese werden jedoch nie einzeln, sondern immer in Form von Massnahmenpaketen, die gewissen Zwecken dienen, genutzt. Damit rückt der Zweck des Instrumenteneinsatzes stärker in den Vordergrund. Eine interessante, vom Zweck der Instrumentennutzung ausgehende Strukturierung der Marketingaufgaben haben Tomczak/ Reinecke im Rahmen ihres „aufgabenorientierten Ansatzes des Marketing“5 entwickelt.
Der aufgabenorientierte Ansatz verdeutlicht, dass jedes Unternehmen zur Sicherung des Markterfolges vier zentrale Aufgaben zu erfüllen hat. Konkret geht es um die Aufgaben der Kundengewinnung, der Kundenbindung, der Leistungsinnovation sowie der Leistungspflege.
Wie in Tabelle 1-1 dargestellt, können Unternehmen ihre Wachstums- und Gewinnziele erreichen, indem sie neue Kunden akquirieren oder die bestehenden Kunden an das Unternehmen binden und deren Kauffrequenz und -intensität sowie Verbundkäufe erhöhen (Kundenperspektive). Ergänzend hierzu bestehen auf der Leistungsseite die Möglichkeiten, sich auf bestehende Leistungen zu konzentrieren oder neue Leistungen anzubieten (Leistungsperspektive).
Im Rahmen der Kundengewinnung geht es um das Erschliessen von Kundenpotenzialen. Die Kundengewinnung umfasst sämtliche Massnahmen, die dazu führen, dass ein Kunde erstmals beim betreffenden Unternehmen kauft. Dabei kann es sich einerseits um Kunden der Konkurrenz und andererseits um bisherige Nichtverwender handeln. Kundengewinnung setzt voraus, dass relevante Bedürfnisse der potenziellen Kunden erkannt und gezielt angesprochen werden.
Im Rahmen der Kundenbindung sollen dagegen existierende Kundenpotenziale zur Erreichung der Unternehmensziele genutzt werden. Es wird angestrebt, dass Kunden Wieder- und Folgekäufe beim Unternehmen durchführen und nicht zu Konkurrenten abwandern. Verschiedene Faktoren können die Voraussetzung für Kundenbindung bilden. Ein besonders wichtiger Einflussfaktor ist dabei die Kundenzufriedenheit. Kundenzufriedenheit ergibt sich aus dem Grad der Übereinstimmung der subjektiven Erwartungen mit der wahrgenommenen Leistungserfüllung und stellt somit das Ergebnis eines Soll-Ist-Vergleiches dar.6 Eine hohe Kundenzufriedenheit induziert dann häufig auch eine hohe Kundenbindung.
Wertgeneratoren | Kernaufgabe | Operationale Definition |
Zukünftige Kunden | Kundenakquisition | Sämtliche Massnahmen, die dazu führen, dass ein Kunde erstmals beim betreffenden Anbieter kauft. |
Aktuelle Kunden | Kundenbindung | Sämtliche Massnahmen, die zu kontinuierlichen oder vermehrten Wieder- und Folgekäufen führen bzw. verhindern, dass Kunden abwandern. |
Neue Leistungen | Leistungsinnovation | Sämtliche Massnahmen, die ergriffen werden, um neue Angebote zu kreieren und im Markt durchzusetzen. |
Bestehende Leistungen | Leistungspflege | Sämtliche Massnahmen, die zu einer möglichst nachhaltigen Marktpräsenz eines Angebots führen. |
Tab. 1-1: Kunden und Leistungen als Wertgeneratoren7
Allerdings ist dies nicht notwendigerweise immer der Fall. Geringe Kundenbindung trotz hoher Kundenzufriedenheit ergibt sich zum Beispiel aus einem Abwechslungsbedürfnis der Kunden. Insbesondere bei Gütern, deren Erwerb aus Kundensicht nur ein geringes Risiko in sich birgt, wechseln Kunden häufig trotz Zufriedenheit zwischen den Angeboten verschiedener Unternehmen (Variety-seeking-Phänomen).8 Auch kann sich Kundenbindung ohne Kundenzufriedenheit ergeben. Man spricht dann beispielsweise von wettbewerbsinduzierter Kundenbindung aus Mangel an Alternativen (keine Konkurrenzangebote) oder von faktischer Kundenbindung, die sich aufgrund technologischer Standards, rechtlicher Verträge oder ökonomischer Überlegungen (Wechselkosten, Rabattsysteme etc.) ergibt. Zudem kann auch Bequemlichkeit zur Kundenbindung führen.9
Auf der Leistungsseite spricht man von Leistungsinnovation, wenn neue Angebote entwickelt und am Markt durchgesetzt werden. Neue Marktleistungen bilden Leistungspotenziale, die insbesondere dann Erfolge generieren können, wenn sie im Vergleich zu anderen Leistungen einzigartig sind und einem existierenden oder entwickelbaren Bedürfnis entsprechen.
Im Rahmen der Leistungspflege geht es darum, vorhandene Leistungspotenziale (Produkte, Dienstleistungen) zu verbessern oder besser zu nutzen. Dies geschieht durch Weiterentwicklung existierender Problemlösungen, durch bessere Anpassung der Leistungen an die Bedürfnisse bisheriger Kunden oder durch Produktveränderungen, die eine Erschliessung neuer Märkte und/ oder Kundengruppen erlauben.
Bleibt die Frage, welche Beziehungen zwischen der erweiterten aufgabenorientierten Sicht von Tomczak/ Reinecke und der zuvor vorgestellten instrumentenorientierten Umschreibung der Marketingaufgaben bestehen. Geht man davon aus, dass aus praktischer Sicht die Realisierung von Marketingmassnahmen in allererster Linie der Erreichung der Unternehmensziele dient, so lassen sich Kundengewinnung und Kundenbindung als zentraler Beitrag des Marketing zu deren Erfüllung und damit als eigentliche Kernaufgaben des Marketing interpretieren. Der Marketingmix und die Marketinginfrastruktur werden damit zu Instrumenten bzw. Mitteln, deren Gestaltung den konkreten Inhalt der Kernaufgaben bildet. Zu diesen Mitteln gehören dann auch die Leistungsinnovation und Leistungspflege, die letztlich nur Sinn machen, wenn sie dazu dienen, Kunden zu gewinnen und/ oder zu binden. Es wird deshalb vorgeschlagen, diese von Tomczak/ Reinecke hervorgehobenen Themen als besonders wichtige Aufgaben der Gestaltung des Leistungsangebots (und damit des Marketingmix) zu betrachten, welche das Marketing mit anderen Funktionsbereichen (insbesondere mit den Bereichen Forschung/ Entwicklung und Produktion/ Leistungserstellung) verbinden. Abbildung 1-3 zeigt den Zusammenhang zwischen übergeordneten Unternehmenszielen, Kernaufgaben des Marketings und Marketinginstrumenten.
1.3 Marketing als Wissenschaft
Wie in Abbildung 1-1 dargestellt, dient der Ausdruck Marketing auch zur Bezeichnung einer wissenschaftlichen Disziplin, der Marketingwissenschaft. Diese wird gängigerweise als Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre aufgefasst und als angewandte Wissenschaft interpretiert, welche die Erfüllung der in Abschnitt 1.2 erläuterten praktischen Aufgaben unterstützt. Konkret geschieht das durch die Entwicklung von Modellen zur Erklärung der Marktzusammenhänge und des Erfolgs von Marketingmassnahmen sowie durch Bereitstellung von (wissenschaftlich fundierten) Methoden zur Entdeckung, Analyse und Lösung der Probleme der Marketingpraxis.
Aus dieser Sicht lässt sich Marketing definieren als Wissenschaft zur Entwicklung
von Modellen zur Erfassung und Erklärung des Zusammenhangs zwischen Marketingmassnahmen, Kaufverhalten und Markterfolg sowie
von Methoden zur systematischen, wissenschaftlich fundierten Lösung von Marketingproblemen.
Abb. 1-3: Marketingaufgaben und Marketinginstrumente
Zentral für ein präzises Verständnis dieser Begriffsumschreibung sind die Ausdrücke „Modelle“ und „Methoden“. Diese sollen deshalb kurz erläutert werden.
Modelle sind für bestimmte Zwecke oder Sichtweisen erstellte vereinfachte Abbilder der Wirklichkeit. In diesem Sinne ist die geographische Landkarte ein Modell der Lage, Grösse und Distanzen von Städten, Flüssen, Bergen sowie Landesgrenzen. Offensichtlich wird nur ein kleiner aus geographischer Sicht interessierender Ausschnitt der Wirklichkeit des Landes beschrieben. Über Aspekte der Kultur, Politik oder Wirtschaft des Landes gibt die normale geografische Landkarte keine Auskunft.
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