Das gemeinsame Liebesleben verlangt Unbedachtheit und Entdeckergeist, die lustvolle Neugier, hinter den blassen Spiegel des Bekannten schauen zu wollen. Mögliche Verwicklungen löst man nicht, weil man erst gar keine Fehler begeht, sondern durch nachträgliche Korrekturen und Reue. Die Praxis der Liebe kommt ohne eine ausgeprägte Kultur der Wiederbelebung und Entschuldung nicht aus, denn Leidenschaft will vorwärts. Verstand und Moral sollen das Unvereinbare dabei so gut es geht in Bahnen halten. Und gelingt es nicht immer, muss man den Fehlern ins Auge sehen und mitunter auch Buße tun. Das hilft.
Aber selbst die ausgeklügeltste Kultur liebevollen Umgangs schützt uns nicht vor Blödsinn und Problemen. Beziehungen erfüllen schließlich nicht jede Sehnsucht und jedes Bedürfnis. Die konfliktträchtige Ausgangslage und der voranschreitende Wandel bescheren von Zeit zu Zeit Situationen, die sich zu Krisen auswachsen. Anders ausgedrückt: Egal welche Kompetenzen ein Paar besitzt und in welchem Zustand sich die Beziehung aktuell befindet, wenn einmal die Zeit reif und das bisher Bewährte überholt ist, stellt sich automatisch eine Notlage ein, der man nicht deshalb entgehen kann, weil man sich für schlauer, besonnener oder sogar krisenfes ter wähnt als andere. Krisen sind ein unvermeidliches Signal für das anstehende Ende des Alten. Sie erfordern einen anderen Blick und neue Herangehensweisen.
Krisendynamik und Veränderung
Im Folgenden interessieren uns daher nicht vordringlich die Inhalte möglicher Konflikte und Probleme, sondern eine zugespitzte Beziehungsdynamik, die darauf hindeutet, dass es Zeit wird für Änderungen des Paares. Wie jede Entwicklung verläuft auch die Krise nach einer linearen Choreografie, die sich als Krisenablauf auf allen Entwicklungsstufen einer Beziehung wiederholen kann.7
Abbildung 1 veranschaulicht modellhaft, wie sich eine Krise anbahnt und wie sie sich auswirkt. Es ist prinzipiell sinnvoll, das eigene Krisenmanagement durch das Wissen um das Besondere von Krisenverläufen anzureichern. Wer seine Krisenmuster kennt, verfügt über die Signatur seiner wichtigsten Erfahrungen und kann sich adäquater auf belastende Herausforderungen einstellen. Dann wundern die Dinge, die passieren, weniger.
ABB. 1: DER PSYCHOLOGISCHE KRISENVERLAUF UND THERAPEUTISCHE OPTIONEN (→)
Atmosphären, Gefühle und Umgangsformen – praktisch jeder Zustand und jedes Stadium einer Beziehung sind von vorübergehender Natur. Das meiste hält sich länger als anderes, manches scheint immer gleich zu bleiben, verschiedenes hängt vom Alter der Beteiligten ab, auch von sozialen Umständen, und allerhand findet nur kurzfristig statt. Jedes Paar pegelt sich auf eine bestimmte Weise aufeinander ein. Das geht so lange gut, bis irgendwann ein Zustand erreicht ist oder Ereignisse eintreten, die das momentane Selbstverständnis in ein ungewohntes Licht rücken.
Gelingt es nicht, der Störung in gewohnter Weise Herr zu werden, spitzt sich das Querstehende zu. Die Atmosphäre wird angespannt, es folgen polarisierende Auseinandersetzungen zwischen den Beziehungspartnern. Meist drängt der eine mehr auf Erneuerung und der andere verteidigt den Status quo. Das Paar steht vor der Frage, was es bereit ist zu ändern. Lässt das Problem keine Kompromisse zu, läuft die Sache auf eine grundlegende Wandlung hinaus. Etwas, das Bisherige, nunmehr hinderlich, muss aufgegeben werden. Man ist gezwungen, von Gewohnheiten abzulassen, um wieder Bewegung in die festgefahrene Situation zu bringen.
Dem steht aber das vertraute Selbstverständnis gegenüber, das weiterhin kräftig am Alten klammert. Dadurch lädt sich ein Konflikt zur Krise auf. Prinzipiell vertiefen sich Krisen, weil trotz einer manifesten Problemstellung mehr Energie in die Aufrechterhaltung des Bekannten gesteckt wird, häufig aus der Angst heraus, eine Auflösung der Gewohnheiten nicht zu bewältigen. Es fehlt zu diesem Zeitpunkt noch die Zuversicht für neuartige Schritte. Wo zu wenig Absicht ist und kein Vertrauen in das Ungewohnte, stellt sich meist erst dann eine Lösung ein, wenn die eintretende Krise nicht mehr ausgehalten wird. Aber im Aushalten unterscheiden sich die Menschen. Manche halten ein Leben lang aus, was andere nicht einen Tag akzeptieren würden.
Aufzugeben – unabhängig, wie das zustande kommt – ist das Wagnis und der energetische Wendepunkt. Erst im Loslassen und Sich-der-Situation-Überlassen zeigt sich der tiefste Grund einer Krise und füllt sich die abgesoffene Bewegungsunfähigkeit mit neuer Energie auf. Dann kann sich psychisches Leid mit neuer Kraft in eine risikoreiche Chance verwandeln. So merkwürdig es klingen mag, das Blatt wendet sich in einer Krise durch Hingabe an die Situation und manchmal auch erst durch Aufgabe. Plötzlich kommt frischer Mut in die Starre und Depression, das Kommende wird zur spannenden Herausforderung. Fraglich ist allerdings bei Zweien, ob das Paar zusammen oder nur einer von beiden die Sache in die Hand nimmt. Einer bekommt dann unter Umständen auch die Kraft, sich zu trennen, wenn es zusammen nicht vorwärts geht.
Wird die zunächst ausweglose Situation angenommen und blickt man wieder neugierig nach vorne, gerupft und zuversichtlich zugleich, kann man Hilfe vertragen. Jetzt braucht es auch Unterstützung, nicht zuletzt vom Partner, sofern ich ihn noch an meiner Seite weiß. Dann muss man langsam lernen, mit dem Neuen umzugehen, das Neue im Alten zu integrieren. Dann kann es wieder eine Zeit lang gut so weitergehen, solange es so hält. Bis erneut etwas eintritt, dass zum Umdenken zwingt.
Mitten in der Krise steht noch nicht fest, ob es zu einer Entwicklung kommt. Mittendrin kann man immer noch aus dem Prozess ausscheren. Man kann vor der Situation flüchten, Operationen können misslingen, Leiden kann chronifizieren, es kann schlecht ausgehen. Eine Krise ist nur der unweigerliche Hinweis, dass etwas zusammengebrochen ist, unter Umständen sogar ein Ende gefunden hat und es noch an neuen Mitteln und Perspektiven fehlt, sich wieder aufzurichten. Häufig genug ergibt sich daraus nur dann eine Entwicklungschance, wenn die eingetretene Dynamik nicht mehr aufzuhalten ist und man gezwungen ist hinzunehmen, was nicht länger vermieden werden kann.
Im Film The Mission (mit Robert de Niro und Jeremy Irons; Regie: Martin Scorsese) schleppt ein Missionar aus Buße ein riesiges Kreuz durch den Dschungel. Dann lässt er sich von Indianern darauf festbinden und in einen Fluss werfen. Bewegungsunfähig treibt er auf dem Holzkreuz auf einen Wasserfall zu und stürzt hinunter.
Die Szene ist eine Metapher für den beschriebenen Krisenprozess. Die Wandlung beginnt, wenn die bisherigen Kräfte nicht mehr ausreichen oder aufgewendet werden, das Bevorstehende zu verhindern. Darin liegt die eigentliche Transformation von der Krise zur Chance. Wie der Film zeigt, fühlt es sich mitunter an wie auf Leben und Tod und natürlich können Dinge gründlich schiefgehen. Bleibt jemand dem Alten verhaftet, aus welchen guten oder wenigen guten Gründen auch immer, blockiert er anstehende Entwicklungen. Manchmal trägt es dann nicht weiter und geht zu Ende.
Was das Paar selbst und was Therapeuten von außen zur Lösung beitragen können, hängt – wie das Schaubild zeigt – davon ab, zu welchem Zeitpunkt sich ein Paar beraten lässt und in welchem Zustand beziehungsweise in welcher Entwicklungsphase (vgl. Kapitel 1 bis 5) sich die Partner befinden. Dies soll in den folgenden Abschnitten ausführlich dargestellt werden.
Leseempfehlung
Adorno, T. W. (2002): Minima Moralia. Suhrkamp, Frankfurt/M.
Brett, L. (2006): Ein unmögliches Angebot. Suhrkamp, Frankfurt/M.
Brett, L. (2007): Chuzpe. Suhrkamp, Frankfurt/M.
Brett, L. (2012): Lola Bensky. Suhrkamp, Berlin
Fuhr, R. (1998): Persönlichkeitsentwicklung und Gestalttherapie. In:
GestaltZeitung,