Nun ist die Geburtszeit selten auf zwei Minuten genau bekannt. Dies macht eine Korrektur der Geburtszeit anhand von Lebensereignissen erforderlich. Die hierfür üblichen Verfahren werden im Abschnitt 3.4 allgemein und in 3.5 anhand eines Beispiels erörtert.
Die Primärdirektionen werden traditionell als die stärkste Prognosemethode angesehen – sie sollten jedoch auch nicht isoliert verwendet werden. Der Glaube, bei Verwendung des richtigen Systems würde das primär entwickelte Horoskop die Ereignisse des Lebens mit der Präzision eines Uhrwerks anzeigen, beruht auf einer unrichtigen Anschauung vom Wesen der Astrologie. Der große zeitliche Umkreis von einem Jahr wird den Direktionen ja vor allem deshalb eingeräumt, weil man von ihnen bestenfalls Annäherungen erwartet.
Die Planeten sind schließlich keine wirkenden Faktoren, sondern ihre Stände werden nur von der sublunaren Natur – Erdseele und menschliches Unbewußtes – interpretiert. Hierin liegt soviel Freiheit wie sie z.B. der Interpret eines Musikstücks hat. Der Mensch selbst ist in der Astrologie das Subjekt, der aktiv Handelnde. Es ist wahr, oft ’tanzt er, wenn die Aspekte ihm pfeifen’ – aber das Wie seines Tanzes bleibt schwierig vorauszusagen. Einen Eindruck von der unerschöpflichen Vielfalt von Möglichkeiten, mit der Konstellationen durch den Menschen interpretiert werden, erhält man durch die Metagnose.
Die Sterne zwingen nicht, sie machen nur geneigt, wird oft angeführt. Das ist Unsinn. Die Sterne machen überhaupt nichts. Wir tun etwas, und dies oft, nicht immer, im Einklang mit entsprechenden Konstellationen. ([Be2], S.95)5
Auch wenn es von einem wissenschaftlichen Standpunkt sinnlos erscheint, so liegt der Wert der Astrologie vor allem in der Metagnose, genauer: Im verstehenden Einfühlen in die Sinnzusammenhänge von Sternenlauf und Menschenleben. Eine Verbesserung der Prognose kann, als Nebeneffekt, durch die in der Metagnose erworbene Erfahrung erreicht werden.
1.2 Signifikator und Promissor
Bei einer Direktion wird ein Horoskopfaktor – der Promissor (’Versprecher’) – durch die Erddrehung auf die mundane Position eines radikalen Faktors – des Signifikators (’Bedeuter’) – geführt. Oft werden Signifikator und Promissor in der Deutung unterschiedlich behandelt (Einzelheiten zur Deutung siehe im folgenden Abschnitt 1.3).
Gelegentlich liest man, Promissor und Signifikator könnten dadurch unterschieden werden, daß der eine stillsteht und der andere sich bewegt. Dies ist allerdings eine Standpunktfrage. Betrachtet man das durch den Geburtszeitpunkt gegebene Achsensystem als fest, so bewegen sich die Horoskopfaktoren durch die Radixhäuser. Von diesem Standpunkt aus ist der Promissor der bewegte, der Signifikator der stillstehende Part. Betrachtet man aber die Wanderung des Achsensystems durch den Tierkreis, so ist natürlich der Signifikator der bewegte Faktor.
In Wahrheit wird der Signifikator also nur dadurch charakterisiert, daß man seine mundane Positionslinie als die Meßkurve ansieht, die vom Promissor gekreuzt werden soll (siehe Abschnitt 2.2 und die dortige Illustration).
Die unterschiedliche Behandlung von Signifikator und Promissor in der üblichen Direktionsberechnung bringt es mit sich, daß jede Direktion doppelt vorkommt: einmal als direkte und einmal als converse Direktion, wobei die Rollen von Signifikator und Promissor vertauscht werden. Die entsprechenden Direktionsbögen solcher Paare liegen nicht etwa nahe beieinander; es können sich Unterschiede von Jahrzehnten in der Auslösungszeit ergeben. Trotzdem hängen die ausgelösten Ereignisse oft sinngemäß zusammen. In dem in dieser Arbeit behandelten Horoskop Friedrich Nietzsches wird z.B. die Direktion
Es sei noch bemerkt, daß im Verfahren von GOLDMAYER (siehe 2.5) der Unterschied von Signifikator und Promissor gänzlich aufgehoben ist, indem bei beiden in die Direktion eingehenden Faktoren die mundane Position berücksichtigt wird. Die Differenz dieser mundanen Positionswerte ergibt dann den Direktionsbogen.
Berücksichtigt man alle direkten und conversen Direktionen mit den zehn Planeten und Aszendent und MC als Signifikatoren, so werden, selbst bei Beschränkung auf die starken Aspekte
Der Astrologe GUSTAV SCHWICKERT hat tatsächlich mit dieser extremen Fülle von Direktionen gearbeitet – darüberhinaus verwendete er gleichzeitig mehrere mundane Positionskonzepte, mehrere Schlüssel und sowohl die Breite des Geburtsorts als auch die des Ereignisorts! Der entstehenden barocken Fülle von Direktionen versuchte er dann mit einer besonderen Theorie der Interferenzen Herr zu werden, die er in seinem umfassenden Werk Die Direktionslehre ([Sch]) darlegt. Gustav Schwickert stellt mit dieser nicht zur Nachahmung zu empfehlenden Methodenvielfalt allerdings eine Ausnahme dar.
In der Tradition gab es, um der großen Zahl der Direktionen Herr zu werden, den sogenannten ”ptolemäischen Vorbehalt”: dieser bestand einfach darin, nur die stärksten Horoskopfaktoren als Signifikator zu erlauben; diese stärksten Horoskopfaktoren sind nach PTOLEMÄUS ASC, MC, Sonne, Mond und Glückspunkt. Von diesen wird der Glückspunkt heute im allgemeinen vernachlässigt.6 Berücksichtigt man nur diese Signifikatoren, so verbleibt man mit ein bis zwei Primärdirektionen im Jahr – eine Anzahl, die es erlaubt, zu konkreten Deutungen zu gelangen.
Ein anderer traditioneller Vorbehalt ist es, Direktionen unberücksichtigt zu lassen, bei denen sowohl Signifikator als auch Promissor eine Achse, eine Häuserspitze oder der Mondknoten sind. Man könne zwar einen Planeten zu seinem Aufgang führen, nicht aber den kulminierenden Punkt. Hier werden also die eigentlich nicht sinnlich wirklichen Punkte wie ASC, MC,
Vom Standpunkt der Dominantenlehre, wie sie z.B. im Kursus der Astrologie von HERBERT FRHR. V. KLOECKLER ([Kl]) dargelegt wird, erscheint es sinnvoll, die individuellen Dominanten als Ordnungsprinzip zu verwenden, d.h. diejenigen Planeten, die ’durch die Geburtszeit stark ausgenutzt werden’.7 Das ergibt eine wichtige Modifikation des ptolemäischen Vorbehalts: Die Dominanten können ja eine größere Bedeutung als selbst Sonne und Mond haben und sollten daher als Signifikator unbedingt berücksichtigt werden. Auch wenn man nicht mit dem ptolemäischen Vorbehalt arbeitet und alle Planeten als Signifikator zuläßt, liefert die Dominantenlehre ein willkommenes Instrument zur Bewertung der Direktionen nach Stärke.
Eine verbreitete Minimallösung ist natürlich, nur die Direktionen zu ASC und MC zu berücksichtigen. Direktionen mit Planeten als Signifikator werden dagegen meist sekundär oder als Sonnenbogen gerechnet statt primär. Wer mit einer solchen Minimallösung arbeitet, bringt sich allerdings ganz um das wertvolle Prognoseelement der interplanetaren Primärdirektionen.
Als Promissor kommen alle sensitiven Orte des Horoskops in Betracht, also: alle Planeten, alle Achsen, ihre Aspektorte und Halbdistanzpunkte (zur Verwendung der Halbdistanzpunkte gibt es unterschiedliche Auffassungen: Manche wollen nur besonders markante Halbsummen berücksichtigen, wie z.B.