Frontalunterricht ist eigentlich nur dann ein Problem, wenn er belastet: die Lehrperson, weil sie in ihrem subjektiven Empfinden zu viel davon betreibt, oder die Lernenden, wenn sie zu viel am Stück oder zu viel Komplexität oder ein Zuviel an Monotonie vorgesetzt bekommen. Im Übrigen gibt es ausreichend gute Literatur, die dem Frontalunterricht seinen Platz im didaktischen Repertoire zuordnet, zum Beispiel «Unterrichtsmethoden II: Praxisband» (Meyer, 1987, S. 182–225).
Bausteine für lernfördernden Unterricht
Trockenmauern, diese unverwüstlichen Kunstwerke aus roher Natur, verdanken ihre Stabilität einer bedingungslosen Akzeptanz des Rohmaterials und einem guten Augenmass für dessen Individualität. Die spezielle Form eines jeden Steins muss erfasst und dafür ein geeigneter Platz gefunden werden. Für jede noch so eigentümliche Form gibt es einen passenden Ort, vorausgesetzt, man erkennt die Passung; manchmal springt sie ins Auge, oft muss man die Steine drehen, einzelne Prachtstücke zur Seite legen, bis sie ihren Beitrag zur Mauer leisten können. Es gibt fast keinen Stein, der nicht irgendwo hinpassen und dort seinen Zweck weit besser erfüllen würde als jeder andere. Zugehauen wird nur im äussersten Falle und so subtil wie möglich. Am Schluss ist eine solche Mauer ein stabileres und schöneres Unikat als jede schnell hochgezogene monotone Backsteinmauer oder Betonwand – und überdauert Jahrhunderte.
Auch den Lehrpersonen steht Material zur Verfügung, mit dem sie umsichtig, nach allen Regeln der Kunst an ihrem Werk arbeiten – der Bildung junger Menschen. Auch pädagogische Handwerkerinnen und Handwerker haben ihre Pläne dem wertvollen Rohmaterial anzupassen, damit sie sich später an den gewachsenen Unikaten freuen können. Das Baumaterial, das ist einmal das nicht immer ganz augenfällige Potenzial der Lernenden mit ihren zum Teil ausgeprägten schulischen Lernhemmungen, etwa wenn sie in Gestalt der Typen C, D und E auftreten. Wer es erkennt, baut schon längst an seinem Kunstwerk, während andere noch damit beschäftigt sind, Steine zu behauen, oder verzweifelt versuchen, die lieblos aufgeschichteten Klötze mit losem Material und Schnellzement zu stabilisieren. Darüber hinaus verfügen Lehrpersonen über Entscheidungsspielräume und Materialien, die sie selbst beeinflussen und modellieren können, begonnen beim Fundament über die Hilfsmaterialien bis zu den vielen Optionen, die im Ermessensspielraum der professionellen Tätigkeit vorhanden sind.
Das Fundament: Pädagogisches Credo
Die ureigenen Überzeugungen, die pädagogische Grundhaltung, das Credo der Lehrperson, können als das unsichtbare Fundament gesehen werden, auf dem die sichtbare Arbeit aufbaut. Gerade weil dieses Fundament oft un- oder halbbewusst das planmässige Handeln steuert, ist es so zentral. Unter der Annahme, dass in allen Lehrpersonen so etwas wie ein pädagogisches Feuer brennt, wäre die Arbeit an der eigenen Grundhaltung nichts anderes als die Speisung dieses Feuers. Was vordergründig als das Gegenstück zur reinen Pflichterfüllung erscheint, kann – nein soll – genau umgekehrt gesehen werden: Es gehört zur professionellen Pflichterfüllung, seine pädagogische Haltung zu schärfen und zu pflegen. Hierzu im Sinne von Anregungen ein paar Denkanstösse:
Um die eigene pädagogische Haltung zu entwickeln und zu schärfen, können Dilemma- und Konfliktsituationen antizipiert und durchgespielt werden, zum Beispiel:
•Werde ich angesichts eines unvermittelt auftretenden Konflikts in der hintersten Bankreihe
–die Lektion möglichst ordentlich über die Runde bringen oder
–den Konflikt verhandeln?
•Einer in der Klasse nervt schon wieder, ich fühle mich gestört. Werde ich
–den Störer vor der Klasse zurechtweisen oder
–ihm diskret diesen Zettel hinstecken «Machen Sie jetzt bitte zehn Minuten Pause, in der grossen Pause um zehn Uhr höre ich Ihnen dann gerne zu»?
•Wenn wieder zu Unterrichtsbeginn zwei (immer die gleichen!) Lernende fehlen,
–setze ich ohne Aufhebens den Unterricht fort, selbst dann, wenn sie fünfzehn Minuten später lässig, ihren Auftritt geniessend, durch die Klasse zu ihren Plätzen schlendern, oder
–stelle ich sie gleich raus und nehme dabei den unvermeidlichen Unterrichtsunterbruch in Kauf, oder
–klebe ich vorher das Schild an die Türe «Die Veranstaltung hat begonnen, nächster Einlass um 9.15 Uhr» und schliesse ab?
•Wenn zum Unterrichtsbeginn aus der Klasse der Ruf ertönt: «Dieses Thema ist aber langweilig, können wir nicht über … sprechen»,
–ist meine Antwort dann normalerweise: «Zuerst machen wir mein Programm, dann können Sie Ihren Vorschlag nochmals bringen», oder
–schicke ich die Interpellantin nach draussen mit dem Auftrag, in einer halben Stunde entweder das Thema zu moderieren oder mit einem Bearbeitungsvorschlag zu kommen?
Diese und weitere Beispiele aus dem eigenen Repertoire dienen dazu, künftiges Handeln statt von Spontanreflexen von seiner pädagogischen Haltung leiten zu lassen. Ein solcher Verhaltenstrainings-Effekt wird begünstigt, wenn man das Dilemma in zwei Dimensionen durchspielt: 1) Wie handle ich spontan in der Situation?, und b) Was wäre die für mich ideale Reaktion? Konfliktantizipationen eignen sich auch perfekt für das Teamtraining im Rahmen von Intervisionen oder ähnlichen Settings.
Eine andere Möglichkeit, die pädagogische Haltung zu schärfen und zu pflegen, setzt bei der Unterrichtsplanung an. Statt zu fragen: «Mit welchen Methoden bringe ich den Stoff am besten durch?», heisst die vorrangige Frage: «Was will ich erreichen?»
Massvolle und dynamische Semesterplanung
Eine mittelfristige Planung der Unterrichtsinhalte und -abläufe ist sinnvoll, da sie entlastet und Transparenz schafft. Ob das Planungsintervall ein Quartal oder ein Semester umfasst, ist weniger von Belang und wird hier vereinfachend als Semesterplanung apostrophiert. Die entscheidenden Aspekte sind die Entlastung (insbesondere der Lehrperson) und die Transparenz (vor allem für die Lernenden). Ich möchte an dieser Stelle für eine massvolle, dynamische und deshalb bewusst lückenhafte Semesterplanung plädieren – auch wenn solches kontrastiert zu vielem, was in didaktischen Lehrbüchern steht. Denn eine bis ins Detail durchgetaktete Semesterplanung übergeht zwingend die situativen Lernbedürfnisse der Hauptpersonen – oder, dramatisiert ausgedrückt, sie zerquetscht die nachfolgenden Bausteine zu Bauschutt.
Die Semesterplanung entlastet die Lehrperson und schafft Transparenz, wenn sie die zu behandelnden Themen nennt und die Inhalte grob umreisst, wenn sie explizit auf geplante Leerstellen verweist und zwingend auch die nicht stoffgebundenen Dimensionen wie soziale Ziele, Methodenziele oder eben auch die Offenlegung des pädagogischen Credos berücksichtigt. Es geht bei der Semesterplanung auch darum, alle (Lernende und Lehrperson, eventuell auch interessierte Lehrmeister) mit einer gewissen Verbindlichkeit auf die vorgesehenen Verhandlungsspielräume hinzuweisen. Solche mehrdimensionalen Semesterpläne sind anpassungsfähig,