Dynamische Unterrichtsplanung
Ein minutiös geplanter Unterricht ist das Gesellenstück einer jeden Lehrerausbildung; die Architektur und die Einhaltung solcher Pläne sind der Gradmesser für die in Noten übersetzte Praxistauglichkeit der Novizinnen und Novizen. Dagegen ist nichts einzuwenden – fast nichts, ausser, dass damit Lernen verhindert wird. Oder mit Krapf ausgedrückt: «Mancherorts wird erwartet, dass vorbereiteter Unterricht sich gemäss der Vorbereitung realisieren lässt. Gerade das dürfte nicht passieren. Wenn es trotzdem geschieht, ist der Misserfolg dokumentiert. Wenn nämlich Unterricht ein gemeinsames Unternehmen von Leiter und Schüler/-innen ist, kann es gar nicht sein, dass die Vorlage der Lehrkraft ihre Gültigkeit behält» (Krapf, 1995, S. 119).
Die hier empfohlene Alternative ist natürlich nicht der gänzlich unvorbereitete Unterricht, sondern eine dynamische Unterrichtsplanung analog zur Semesterplanung, zum Beispiel so:
•Die Lehrperson präsentiert ihr Vorhaben (mehr oder weniger detailliert) und sammelt Reaktionen dazu. Anmerkungen: Das entspricht einem üblichen Sitzungsverlauf, wo zu Beginn die Traktandenliste präsentiert wird, gefolgt von einer Umfrage zu den vorgeschlagenen oder ergänzenden Traktanden.
•Die Lehrperson hat einen (mehr oder weniger detaillierten) Unterrichtsplan, eröffnet jedoch mit einer solchen oder ähnlichen Frage: «Was ist in der vergangenen Woche passiert, das Sie hier besprechen möchten?»
•Der Unterricht ist aufgrund zurückliegender Vereinbarungen bereits sequenziert, inklusive Art und Umfang des (Lehrer-)Inputs. Dieser kann dann nach Plan oder als Option zu alternativen Angeboten realisiert werden.
•Die Lehrperson hat jeweils einen Plan B (zum Beispiel die wasserdichte Stellvertretungslektion), den sie hervorziehen kann, falls ein geplantes, offenes Unterrichtsvorhaben fehlschlägt.
Klar, dass solche dynamischen Unterrichtsplanungen die Bereitschaft erfordern, geplante Inhalte und Abläufe zurückzustellen und situative beziehungsweise spontane Anliegen zu priorisieren.
Dynamische Unterrichtsplanung verspricht lebendigeren Unterricht und garantiert nicht nur spannendere Erfahrungen für alle, sie entlastet mittelfristig auch, da nicht benötigte Vorbereitungen für später zur Verfügung stehen. Auf jeden Fall sind durchpräparierte Musterlektionen reserviert für Probelektionen und funktionieren nur, weil die Schülerinnen und Schüler in aller Regel solidarisch brav mittun.
Unterrichtsreflexion
Sich fragend mit der eigenen pädagogischen Haltung beschäftigen heisst, in der Unterrichtsplanung ab und zu Reflexionsphasen einzubauen. Was habe ich gewollt? Was wurde erreicht? Was funktionierte? Was nicht? Weshalb?
Eine einfache Möglichkeit dazu ist für Krapf (1995) die Nachbereitung: «Wie wäre es, wenn die Zeit, die gewöhnlich für die Vorbereitung eingesetzt wird, neu für die Nachbereitung verwendet würde? Die Konzentration würde sich auf jene Verhaltensweisen richten, die eine besonders günstige Lernsituation entstehen liessen.»
Eine andere Möglichkeit besteht darin, bei mittel- und längerfristigen Unterrichtsplanungen, zum Beispiel bei der Themen-, Quartals- oder Semesterplanung, neben den üblichen Präparationskriterien zusätzlich die pädagogischen Absichten zu notieren: eine Spalte, reserviert für die pädagogischen Ziele, und zwar konkret, überprüfbar und allenfalls auch differenziert nach Individuen. Unnötig zu sagen, dass auch solche Zielsetzungen einer regelmässigen Überprüfung unterstellt werden sollten. Als zugespitzte Kurzformel formuliert: keine Lernzielüberprüfung ohne Lehrzielüberprüfung.
Motivation ist keine Lehrerpflicht
An der Motivationsdiskussion ist für Lehrpersonen und andere pädagogische Handwerkerinnen und Handwerker bedeutsam, dass sie nicht verantwortlich sind für die intrinsische Motivation ihrer Lernenden. Die Konsequenz daraus ist, dass man sich viel Mühe sparen kann, um motivierende Gags und Unterrichtseinstiege zu finden.
Aber, und das ist die schlechte Nachricht, Lehrpersonen sollten sich sehr wohl um die Motive ihrer Lernenden bemühen. Das ist mitunter schwieriger, als sich der Illusion hinzugeben, man könne mit einem Comic, einer Songeinspielung oder dem ultimativen Videoclip eine allgemeine Motivation hervorzaubern. Motive oder Interessen stehen den Lernenden nicht ins Gesicht geschrieben, und die wenigsten sind wohl in der Lage, aus dem Stand heraus auf die Frage «Was interessiert dich?» eine für das Lernverhalten relevante Liste zu erstellen. Aber wenn Lernen stattfinden soll, geht das nur, wenn der Lernstoff auf Interesse stösst.
Zugegeben, beim Baustein Motivation beziehungsweise «Motive aufsuchen» bin ich eher ratlos. Hier der Versuch, mich ihm dreigleisig anzunähern.
Vorab eine erste allgemeine Vertröstung, dass man auch auf Zufall, Glück und Geduld setzen darf und sich eine gewisse Frustrationstoleranz zulegen sollte.
Eine zweite Schiene führt über die Einsicht, dass Motive und Interessen kulturellen, gesellschaftlichen und aktuellen Prägungen folgen. Da hilft es bei der Motivsuche, sich für kulturelle und subkulturelle Prädispositionen zu interessieren. Das wäre die Kehrseite des Glaubens, man sei ausreichend über die Lebenswelten und Interessen der Lernenden im Bilde (vgl. Text von D. Bach).
Zum Dritten darf man davon ausgehen, dass die Motive und Interessen nicht zwingend so weit entfernt sind vom offiziellen Lehrangebot, wie es gelegentlich den Anschein macht, wenn Lernende mit sogenanntem Pflichtstoff konfrontiert werden. Vielleicht ist es nur die Einkleidung, die Art der Präsentation, sind es nur die jeweiligen Fragestellungen oder der Zeitpunkt, die nicht kompatibel sind mit den Motiven. Mehr dazu im nächsten Abschnitt über den Lehrstoff.
Lehrstoff zum Lernstoff machen
Ein Lehrplan verpflichtet, er schreibt Lehrstoff, Bildungsziele und verlangte Kompetenzen vor, aber längst nicht alles am Lehrplan ist so verbindlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Lehrpläne haben in aller Regel neben den tabellarischen auch deskriptive Elemente, die Freiräume und Optionen explizit beschreiben. Bildende, über reine Stoffvermittlung hinausgehende Aufträge stehen oft ausserhalb der Themen- und Stoffübersichten und auch in einer gewissen Konkurrenz dazu. Etwa als Forderungen nach Ausbildung der Selbstkompetenz, der Selbstbestimmung und der Selbstorganisation des Lernens, die wenig kompatibel sind mit einer akribischen Abarbeitung der tabellarischen Themen-, Stoff- und Zielkataloge.
Gelegentlich enthalten Lehrpläne auch Unsinn. Zwei Beispiele aus Allgemeinbildungs-Schullehrplänen für dreijährige gewerbliche Lehren: «… kennt die Grundsätze des Ordnungssystems der Mediothek» oder « … kann die Grundsätze und gesetzlichen Grundlagen des schweizerischen Berufsbildungssystems erklären». Hat man wohl die Begriffe Grundsätze und Grundzüge verwechselt? Verlangt man wirklich, dass aufgrund weniger Lektionen die Schülerinnen und Schüler die gesetzlichen Grundlagen, das sind u. a. Bundesverfassung, Arbeitsgesetz, Obligationenrecht, Berufsbildungsgesetz, erklären können? Dass Unstimmigkeiten in Lehrplänen eher die Regel als Ausnahmen sind, kann nur heissen: Lehrpläne kritisch lesen, Gedrucktes auf Vernunft und Verhältnismässigkeit überprüfen und, wo angezeigt, die mehrfach angesprochene pädagogische Eigenverantwortung wahrnehmen. Denn im Zug der kritischen Lehrplanlektüre kann man sich zum Ziel setzen, vorhandene Freiräume zu erkennen, sich nicht auf die Übersichtsdarstellungen von Stoff, Inhalten und Zielvorgaben zu beschränken, die Passagen aufzuspüren, welche zur Förderung von Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Selbstkompetenz aufrufen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird man erkennen, dass Lehrpläne erlauben, solche emanzipatorischen Ziele gleichberechtigt neben andere Lern- und Bildungsziele zu stellen. Mehr noch, viele verlangen es und liefern oft sogar geeignetes Material dazu.
Lernstoff ist Stoff, an dem man interessiert ist, Stoff der eigenen Wahl. Man kann die Lehrplanthemen auf ganz unterschiedliche Art zur Disposition stellen und darauf zählen, dass gewählter Lehrstoff zum Lernstoff wird, zum Beispiel so:
a)Wahl