Ein unendlich komplizierter Mythos erzählt von der mittleren Zeit, in der die beiden Urprinzipien in einem Krieg, den natürlich das Reich der Finsternis vom Zaun gebrochen hat, gegeneinander kämpfen und sich vermischen. Kosmos und Welt haben in dieser mittleren Zeit ihren Ursprung und auch die Menschen, die „von gewissen Archonten, Dämonen, aus dem Geschlechte der Finsternis geschaffen wurden …, damit das Licht von ihnen, den Menschen, festgehalten würde und nicht entweichen könne.“ Im Menschen ist also Licht gefesselt, Göttliches, die Seele. Er weiß es aber nicht. Das Wissen bringt ihm Jesus, der Leuchtende. Jesus ist zwar der Leuchtende, ist aber nicht wirklich Mensch. Er ist des materiellen Leibes, des Leibes aus Fleisch und Blut entkleidet, hat nur einen Scheinleib.
Wie das Licht, das im Menschen, aber auch in anderen Teilen der Schöpfung eingeschlossen ist, befreit werden kann, das lehrt die manichäische Ethik, deren Gebote ein arabischer Schriftsteller des 10. Jahrhunderts, an-Nadīm, aufzählt: Die Sinnenlust und die Habgier sind zu bezähmen, das Essen von Fleisch, das Trinken von Wein und die eheliche Vereinigung muss unterlassen werden, auch darf man dem Feuer und dem Wasser keinen Schaden zufügen und hat man die Zauberei und die Heucheleien zu meiden. Diese Vorschriften sind aber nur von den Auserwählten zu beachten, den Electi. Von den übrigen Anhängern der Religionsgemeinschaft, den Hörern, Auditores, sagt al-Nadīm: „Wenn einer aber die Religion zwar liebt, aber über die Sinnenlust und Habgier nicht Herr werden kann, dann möge er Gewinn in jeder Beschützung der Religion und der Rechtschaffenen suchen und möge an Stelle seiner schlechten Taten Zeiten haben, in denen er gute Werke, fromme Dankbarkeit, Wachen, Fürbitte und Demut übt.“
Bauern und Handwerker quälten nach dieser Lehre das in Acker und Pflanze, in Stein und Eisen eingeschlossene Licht, wenn sie arbeitend ihrem Beruf nachgingen. Sie vollbrachten aber gute Werke, wenn sie den Erwählten Nahrung reichten. Augustinus schildert das in den „Bekenntnissen“: Er habe denen, die man die Auserwählten und Heiligen nannte, Speise zugetragen, aus der sie ihm in ihrer Bauchküche Engel und Götter zubereiten würden, die ihn befreien sollten. Ich „glaubte, wenn man eine Feige pflückte, so weinten sie und ihr Mutterbaum milchige Tränen; äße aber ein ‚Heiliger‘, ein Erwählter, die Feige, die natürlich von fremder, nicht der eignen Frevelhand gepflückt sein musste, so werde sie seinem Inneren anvermischt, und er enthauche beim Seufzen im Gebet und beim Rülpsen Engel oder vielmehr Teilchen Gottes.“
Diese Teilchen Gottes sammelten sich auf dem Mond, ließen ihn zunehmen. Wenn er abnahm, gab er die Gottesteilchen an die Sonne ab, von wo sie wiederum in das Paradies flogen. So würde der ursprüngliche Zustand der Trennung von Licht und Finsternis wiederhergestellt. Der letzte Akt dieser Trennung würde ein neuerlicher Krieg zwischen Licht und Finsternis sein. Das Böse würde eingeschlossen werden in eine Kugel und nie mehr das Reich des Lichtes angreifen können.
Lehrer der Rhetorik
Inzwischen hatte Augustinus das Studium in Karthago beendet und unterrichtete Rhetorik in seiner Heimatstadt Thagaste. Während er also in Karthago Cicero las, sich der Philosophie näherte, war er zugleich überzeugter Manichäer, was unter den Intellektuellen der Zeit als schick galt. Wie die Sektierer jeder Couleur versuchte auch er geschwätzig Menschen zu seiner Ansicht zu bekehren. Seiner Mutter Monnica ging er so auf die Nerven, dass sie ihm das Haus verbot. Erst als sie durch einen Engel im Traum getröstet wurde und ein Bischof, der ihrer Klagen schon ein wenig überdrüssig geworden war, ihr sagte: „Nun geh und lass mich! So wahr du lebst, es ist unmöglich, dass ein Sohn solcher Tränen verlorengeht“. Auf diesen, wenn auch vielleicht etwas mürrisch gegebenen Trost hin nahm sie ihn wieder auf. Zuvor hatte er bei seinem Gönner Romanianus Unterschlupf gefunden, den er dann auch zum Manichäismus bekehrt hatte. Der Freund Alypius ließ sich ebenfalls von Augustins Ansichten überzeugen. Ebenso folgte ihm ein junger Mann, der ihm aus seiner Kindheit bekannt war, mit dem er in die Schule gegangen und mit dem er gespielt hatte. Jetzt schloss er mit ihm, dessen Namen er nie nennt, innige Freundschaft.
Dieser Freund erkrankte am Fieber, lag geraume Zeit bewusstlos, „und da man ihn schon aufgab, ließ man ihn taufen“. Er überstand die Krankheit und als sie wieder miteinander reden konnten, machte Augustinus sich über die Taufe lustig, weil er sich sicher war, dass auch der andere das, was in seiner Bewusstlosigkeit an ihm geschehen war, nicht ernst nehmen würde. Jedoch erschauerte der Freund vor ihm „wie vor einem Feind, und mit erstaunlichem, jähem Freimut verbat er sich solches Gerede“. Augustinus war verblüfft, glaubte, der andere würde, wenn ganz gesund, sich der alten religiösen Überzeugung wieder zuwenden. „Allein er ward meinem Aberwitz entrissen, um in Dir, Gott, bewahrt zu sein zu meiner Aufrichtung.“ Wenige Tage danach erlitt der Freund einen Rückfall und starb.
Augustinus war vor Schmerz außer sich, die Heimat wurde ihm zur Qual, da jede Straße, jeder Platz, jedes Haus, in dem sie sich aufgehalten hatten, Erinnerungen wachrief, die ihn peinigten. Eine zerrissene und blutende Seele schleppte er mit sich herum, weswegen er den Schmerzen nicht entfliehen konnte, denn er konnte nicht seiner Seele, nicht sich selbst entfliehen. Gleichwohl floh er, floh aus der Heimat, verließ Thagaste und ging nach Karthago.
Wieder in Karthago
Die Zeit heilte seine Wunde, die neue Umgebung brachte neue Eindrücke und neue Freunde, was er im Vierten Buch der „Bekenntnisse“ schildert, neue Freunde, die liebten, was er liebte, „die ungeheuerliche Fabelei“ und „das weitschichtige Truggeschwätz“, die Lehren Manis, des angeblichen Apostels Jesu Christi. Stärker aber als der gemeinsame Glaube zogen andere Dinge sein Gemüt zu den Freunden:
„mitsammen plaudern und mitsammen lachen und sich einander gefällig erzeigen;
gemeinsam schöne Bücher lesen, gemeinsam scherzen …
bisweilen unterschiedlicher Meinung sein, ohne sich deswegen zu hassen …
einander belehren und lernen voneinander;
die Ausbleibenden schmerzlich vermissen, die Erscheinenden herzlich begrüßen …“
Das ist es, was Freundschaft ausmacht, und daher die große Trauer, wenn ein Freund stirbt. Noch einmal reflektierte er so seinen furchtbaren Schmerz über den, den er verloren hatte: Er habe seine Seele in den Sand gegossen, indem er einem Sterblichen seine Liebe zugewandt habe, als ob der niemals sterben müsste. Selig preist er den, der Gott liebt und den Freund in Gott und den Feind um Gottes willen. „Denn der allein verliert keinen Teuren, dem alle teuer sind in dem, den man nicht verliert.“
Seine Freunde waren wohl alle Manichäer, so manchen von ihnen hatte er für die Lehren der Sekte gewonnen. Ihn selbst aber beschlichen Zweifel an Manis komplizierten Mythen, und wenn er mit Gesinnungsgenossen darüber sprach, dann vertrösteten sie ihn auf die Ankunft eines gewissen Faustus, eines Bischofs der Manichäer. Dem eilte der Ruf großer Gelehrsamkeit voraus.
Wie mehrmals an Wendepunkten seines Lebens leitet Augustinus die Erzählung in den „Bekenntnissen“ mit einer Altersangabe ein: „Im Angesichte meines Gottes will ich offen von jenem neunundzwanzigsten Jahre meines Lebens reden“ – wir stehen also im Jahr 383 –, als der ersehnte Faustus nach Karthago kam. Augustinus fand in ihm einen freundlich-liebenswürdigen Mann, der gefällig zu reden wusste, so dass man ihm gerne zuhörte. Unser Held aber achtete weniger auf die Form als vielmehr auf den Inhalt dessen, was Faustus zu sagen hatte, und das konnte ihn nicht recht überzeugen. Augustinus hatte viel gelesen, kannte die damals gängigen Theorien über die Bewegung der Gestirne, wusste, dass man Sonnen- und Mondfinsternisse genau vorausberechnen konnte, und die Ansichten der Gelehrten kamen ihm plausibler vor als die „weitschweifigen Geschichten“ der Manichäer. Ihre Lehre, dass der Mond zunehme, weil ihm das aus der Welt befreite Licht zuströmte, und abnehme, wenn er das Licht an die Sonne abgebe, ließ sich auch mit den damaligen Erkenntnissen der Naturwissenschaften überhaupt nicht vereinbaren.
Augustinus war auch bald überzeugt, „dass Faustus in den Wissenschaften … nichts verstand“, was er auch unumwunden zugab. Also ging er dazu über, im Verkehr mit Faustus dessen Bildung zu fördern.