Der „Hortensius“ ist ein Dialog, den Cicero 46/45 v. Chr. geschrieben hat. Er ist leider verlorengegangen, wurde aber von den Philologen in mühsamer Kleinarbeit wie ein Puzzle rekonstruiert. Die Puzzlestücke fanden die Gelehrten bei anderen Schriftstellern, vor allem bei Augustinus, der immer wieder aus diesem Werk zitiert. Wenn auch noch Teile fehlen, so kann man sich doch ein Bild machen von der Szenerie und dem Verlauf, den die Diskussion nahm: Cicero, Hortensius Hortalus und Quintus Lutatius Catulus treffen sich und spazieren zur Villa Neapolitanum des Lucius Licinius Lucullus, der noch dem iPad-Freak als Feinschmecker bekannt ist, der die Kirsche von Asien nach Europa gebracht hat. Alle vier Herren sind gestandene Politiker. Alle vier waren für jeweils eine Amtsperiode zu Konsuln, also in das höchste Amt der Republik, gewählt worden. Zwei von ihnen hatten als Generäle große Siege erfochten: Catulus zusammen mit Marius gegen die Kimbern, Lucullus gegen den König Mithridates VI. Trotz der Anschaulichkeit des Bildes ist der Dialog eine Fiktion, denn die Herren, die Cicero als seine Gesprächspartner auftreten lässt, waren zur Zeit der Abfassung des Werkes schon tot.
Mit höflicher Bewunderung der Kunstschätze, die Lucull in seiner Villa aufgehäuft hat, beginnt das Gespräch. Auch die reiche Bibliothek des Gastgebers findet reges Interesse. Schließlich kommt Cicero zur Sache: zu Nutz und Frommen der Philosophie. Hortensius gibt den Advocatus Diaboli, was wohl dem Charakter und der Haltung des wirklichen Hortensius entsprochen hat. Er wirft den Philosophen vor, unverständliches Zeug von sich zu geben, wovon sie selbst nicht überzeugt seien und wonach sie schon gar nicht handelten. Es gäbe auch so viele Schulen, die in ihren Lehraussagen einander widersprächen, was zwangsläufig zur Skepsis führe, zur verächtlichen Ablehnung jeder philosophischen Welterklärung.
Diesen Einwänden gegenüber sucht Cicero nach einem festen Halt, einem Satz, einem Axiom, dem ein jeder zustimmen könnte. Was das ist, darüber belehrt ein Zitat aus dem Dialog, das Augustin selbst in dem Gespräch „Über das glückliche Leben“ überliefert, eines der Puzzleteile, welche die Philologen zusammengesetzt haben: Cicero habe mit einer sicheren Sache, worüber keiner Zweifel äußern könnte, seine Erörterungen begonnen. Er habe nämlich gesagt: „Sicherlich wollen wir alle glücklich sein“. Nun gibt es viele Meinungen darüber, welches der rechte Weg zum Glück sei. Cicero warnt vor den Wegen, die in die Irre führen. Das, was die Fortuna, die Glücksgöttin, ein zufälliges Schicksal, den Menschen in den Schoß wirft: Reichtümer, Ruhm in der Gesellschaft, sinnliche Vergnügungen, schenkt nicht die ersehnte Glückseligkeit, denn der Mensch lebt in der ständigen Furcht, diese Dinge wieder zu verlieren. Furcht und Glück aber schließen sich aus.
Unverlierbar ist das Streben nach Weisheit. Weisheit aber definiert Cicero als Wissenschaft von den göttlichen und menschlichen Dingen und ihrer ursächlichen Zusammenhänge. Damit behauptet er, dass die Weisheit eine umfassende Welterklärung bieten könne und damit auch eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, glaubt aber nicht, dass diese Weisheit je zu erreichen sei. Im blanken Streben nach ihr besteht das Glück.
Augustinus las den Hortensius „wieder und wieder“ und er „brannte“ darauf, sich aufzuschwingen, „weg vom Irdischen“, hin zu Gott. „Denn ‚ihren Sitz hat die Weisheit bei dir‘ (Ijob 12,15 f); Liebe zur Weisheit aber besagt das griechische Wort Philosophie, und zu dieser Liebe entflammte mich jene Schrift.“
Nur eines störte ihn: Der Name Christi kam in Ciceros Schrift nicht vor. Sicher war er nicht so naiv zu glauben, dass in einem Buch, das etwa 50 Jahre vor Christi Geburt geschrieben worden ist, Jesus hätte erwähnt werden können. Vielmehr hoffte er, dass Christi Lehre, die er „schon mit der Muttermilch getrunken“, in den Rahmen des Hortensius passen, Ciceros Gedanken erweitern, an Stelle von dessen skeptischem Zweifel Sicherheit setzen könnte. Sah er doch auf vielen Sarkophagen Christus dargestellt als Lehrer, umgeben von einer Schülerschar, als die Weisheit, die dem, der sie besitzt, das Glück schenkt.
Er griff nun zur Heiligen Schrift, legte sie aber enttäuscht zur Seite. Die Bibel erschien ihm „unwürdig, mit der Würde des Ciceronischen in Vergleich zu treten; ja, mein geschwellter Pathos sträubte sich wider ihre unscheinbare Weise, und meine Sehkraft reichte nicht in ihr Inneres hinein“.
Trotz der Anregungen, die er durch den „Hortensius“ empfangen hatte, lebte er zunächst weiter wie bisher. Er lechzte weiterhin nach Ruhm, gab er in den „Bekenntnissen“ zu, „nach Gewinn, nach Ehe“. Und schon schien ihm ein ehrenvoller Posten zu winken – „was sollte man sich darüber hinaus wünschen? … eine Ehefrau mit etwas Vermögen, um die Ausgaben nicht zu sehr zu belasten …“
Später spricht er von dem Hafen der Philosophie, von dem aus man an Land gehen könne an das Land der Glückseligkeit. Er aber fand den Weg nicht, weil Nebel ihm die Sicht nahmen und er den Stand der Gestirne falsch deutete.
Manichäer
Der Nebel, der ihn den rechten Weg zum Hafen nicht finden ließ, war der Manichäismus, dessen Stifter, Mani, 216 im Zweistromland geboren, von sich selbst sagte, dass er Apostel Jesu Christi sei nach dem Willen Gottes, des Vaters der Wahrheit, dessen Anhänger sich als die wahren Christen betrachteten. Bei ihnen fand Augustinus den Namen Christi. Es mag ihn wohl auch angezogen haben, dass die Manichäer das Alte Testament ablehnten, nicht als göttlich inspiriert anerkennen wollten. Sie stürmen, so schrieb er als Bekehrter in dem Buch „Über die Sitten der katholischen Kirche“, ebenso unverständig wie unfromm gegen das Gesetz an, das sogenannte Alte Testament, sie blähen sich auf „in eitler Prahlerei unter dem Beifallsgeklatsch unverständiger Menschen“. Dabei habe doch Christus, Gottes Weisheit, gesagt: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,40). Er, Jesus, zitiert also das Alte Testament, vollendet es. Damals aber, als Augustinus die Bibel zu lesen versuchte und sie, von der Lektüre enttäuscht, mürrisch zur Seite legte, stießen ihn wohl die Geschichten vom Betrug Jakobs ab, der dann seinerseits von seinem Schwiegervater Laban gemein betrogen wurde, der, obwohl er doch schon zwei Frauen hatte, mit der Magd Silpa einen Sohn zeugte, von Tamar, die sich als Prostituierte verkleidete, um ihren Schwiegervater Juda zu verführen, von der Dirne Rahab, die die Späher der Israeliten in ihrem Haus in Jericho verbarg.
Manichäische Gedanken tauchten im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder auf: im 11. Jahrhundert bei den Bogomilen auf dem Balkan, im 12. Jahrhundert bei den „guten Christen“, die von ihren Gegnern Katharer genannt wurden, wovon sich das Wort Ketzer ableitet. Bogomilen und Katharer lehnten das Alte Testament als Beschreibung eines bösen Schöpfergottes ab. Ein hässlicher Seitentrieb des Baumes blühte noch im 20. Jahrhundert: Im November 1933 hielten die sich den Nationalsozialisten anbiedernden Deutschen Christen einen Kongress im Berliner Sportpalast ab, auf dem Reinhold Krause ein „artgemäßes Christentum“ verlangte, eine neue deutsche Volkskirche. Der erste Schritt dazu sei „die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst …, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten“. Lassen schon diese Worte erkennen, aus welchem Schoß die Lehre kroch, so wurde Krause in seiner Rede noch deutlicher: „Wenn wir Nationalsozialisten uns schämen, eine Krawatte vom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen, irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vom Juden anzunehmen“. Dieser hasserfüllte Antisemitismus war natürlich nicht das Motiv, das die Manichäer zur Ablehnung des Alten Testaments bewegte.
Neben der Abneigung gegen „Viehhändler- und Zuhältergeschichten“, eine Abneigung, die Augustinus mit den Manichäern teilte, fand er bei ihnen die Antwort auf die Frage, woher das Böse stamme und was sein Wesen sei, bei ihnen fand er eine angeblich rationale Welterklärung, die Antwort auf die Frage, „what this whole show is all about“. Sechzehn Jahre später, im Buch über den freien Willen, schrieb Augustinus: „Sag mir, warum wir Böses tun! Du regst die Frage an, die mir im Jugendalter viel zu schaffen machte und mich nach vieler Qual zu den Manichäern trieb und niederzog.“
Mani lehrte, dass es zwei Urprinzipien gäbe, zwei gleichewige Reiche, das des Lichtes, dessen Herrschaft Gott der Vater innehat, und daneben