Mit der Zeit aber gewann er das Lateinische lieb, freilich nicht das der untersten Stufe, sondern wie es die sogenannten Grammatiker lehrten, die mit ihren Schülern eine intensive Dichterlektüre betrieben und eine darauf beruhende Einführung in Grammatik und Stil. Die Anfangsgründe mit Lesen und Schreiben und Rechnen seien ihm lästig gewesen und qualvoll, erzählt er. Die schöne Literatur dagegen begeisterte ihn. Zwar blickt er später als Christ, als Bischof skeptisch selbst auf den großen Publius Vergilius Maro, den „die Knaben lesen“, den großen Dichter, „von allen der berühmteste und beste“, dessen Verse über die Irrfahrten des Aeneas er auswendig lernen musste, „der eigenen Irrwege vergessend“. Er las ihn jedoch weiterhin zusammen mit seinen Studenten in Cassiciacum und zitierte ihn eifrig in seinem gewaltigen Werk vom Gottesstaat. Die schlüpfrige Komödie „Der Eunuch“ von Terentius Afer aber fand er vom Standpunkt des christlichen Moralisten gesehen völlig unakzeptabel. Aber auch von diesem Dichter finden sich Sprüche in Augustins Werken. Die Briefe des Horaz, mit Vergil einer der großen Dichter des Augusteischen Zeitalters, kannte er. Er erwähnt die Fasti, den römischen Festtagskalender des Ovid. In die bedeutende römische Literatur ist er aber nicht mehr in der Schule zu Thagaste, sondern in Madaura eingeführt worden, das etwa 30 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt war.
Als Augustinus 16 Jahre alt war, musste er seine Studien unterbrechen. Die Eltern konnten das Schulgeld nicht mehr aufbringen, das für den Unterricht in der Literatur zu zahlen war. Also sah sich der Vater nach einem Sponsor um; denn beide, Vater und fromme Mutter, waren darauf aus, dass der Sohn „einen möglichst guten Stil sich aneigne und durch die Kunst des Wortes zu überreden lerne“ als Anwalt oder Lehrer. Bildung war der einzige Weg, herauszukommen aus der Armut des Elternhauses und der Enge der kleinen afrikanischen Stadt.
Augustinus hatte Ferien, unfreiwillig. Und er, der Sechzehnjährige, der sich in der Pubertät befand, spürte heftige Regungen des Triebes, Regungen, von denen er nicht durch die Anstrengungen des Studiums abgelenkt wurde. Das Dorngestrüpp der Sinnlichkeit sei ihm über den Kopf gewachsen, klagt er in den „Bekenntnissen“, „und es war keine Hand da, es auszureißen. Im Gegenteil, mein Vater, wie er nun einmal war, erzählte, als er beim Bäderbesuch die Zeichen durchbrechender Mannesreife und den Drang meines jungen Leibes bemerkt hatte, voll Vergnügen der Mutter davon, als trüge er bereits auf Enkel an …“
Luther zitiert diese Stelle in der Widmung an seinen Vater, die er seinem Buch über die Mönchsgelübde voranstellt: „Du warst mit väterlicher Liebe besorgt wegen meiner Haltlosigkeit, als ich schon ein Jüngling war, gerade mein 22. Lebensjahr begonnen hatte, das meint, um ein Wort Augustins zu gebrauchen, mit hitziger Jugendkraft bekleidet war. Weil du an vielen Beispielen gesehen hattest, dass ein solches Leben gewissen Leuten zum Unglück ausgeschlagen war, bestimmtest du, mich mit dem Band einer ehrenhaften Ehe zu binden.“ Mit unruhiger, Luther liest: hitziger Jugendkraft bekleidet; inquieta indutus adolenscentia übersetzt Bernhart: Der Vater bemerkte „den Drang meines jungen Leibes“. Augustinus beklagte, dass das, was Luthers Vater plante, um die überschießende Sexualität in geordnete Bahnen zu lenken, selbst von seiner frommen Mutter nicht versucht wurde: „Es lag ihr nicht am Herzen, meinen Zustand, den sie aus der Erzählung ihres Mannes kannte und als Verderbnis und kommendes Unheil empfand, wenigstens in die Schranken ehelicher Liebe zu bannen.“
Aber entsetzt war die Mutter schon über das, was sie von ihrem Gatten gehört hatte. Es überfiel sie die Angst, dass der Sohn auf krumme Wege geriete, „wie diejenigen sie wandeln, die Dir, o Gott, den Rücken kehren, nicht das Angesicht“ zuwenden.
Monnica mahnte den Sohn eindringlich unter vier Augen, doch er tat, was Sechzehnjährige, die von ihren Müttern ermahnt werden, zu tun pflegen: Er lachte, hielt er doch solche Mahnungen für weibisch, und sie in den Wind schlagend, trieb er es „bis zum Verwildern im Wechsel tagscheuer Liebesfreuden“. Seinen Kumpanen gegenüber, einer „Bande von Taugenichtsen“, rühmte er sich seiner Abenteuer, und wenn er gar keine bestanden hatte, dann log er sie sich zusammen, der Angeber.
Mit diesen Kameraden zog er eines Nachts los, um Birnen zu stehlen, Früchte, die „nichts Verlockendes hatten, weder nach Aussehen noch Geschmack“. Sie aßen sie nicht, sondern warfen sie den Schweinen hin. Sie fanden die Tat lustig, weil sie nicht erlaubt war. Es gab keinen Grund für den Diebstahl, die Bosheit hatte eben nur die Bosheit zum Grunde. „Ich liebte es, zu verkommen, ich liebte meine Sünde: nicht das, wonach ich in der Sünde griff, sondern mein Sündigen selbst“, so klagte er später, als er erkannte, dass er mit diesem grundlosen Birnendiebstahl auf dem Grund der moralischen Verkommenheit angekommen war.
Der Student
Der Vater fand schließlich einen Gönner, der bereit war, das Studium des Sohnes zu bezahlen: Romanianus, einen reichen Grundbesitzer, einen Bürger Thagastes. Augustinus blieb ihm in Dankbarkeit verbunden: „Du hast mir armen Jungen, der studieren wollte, dein Haus geöffnet, dein Vermögen und, was mehr ist, dein Herz, hast mir nach dem Tod meines Vaters Trost gegeben …“
So kam er denn nach Karthago als Neunzehnjähriger und begann „mit jenen Studien, die man die höheren nennt“, den Studien der Rhetorik, die abzielten auf „die kampferfüllten Gerichtshallen“; „dort wollte ich glänzen“ als Verteidiger oder Ankläger, „um so ruhmreicher, je gewandter ich das Recht verdrehen würde“, gesteht er in den Bekenntnissen.
Außerhalb der Hörsäle gab er sich als Mann von Welt – elegans et urbanus –, wurde leidenschaftlicher Theaterbesucher und hatte seine Liebschaften. Die aber mündeten schließlich im Jahr 372 in eine feste Beziehung. Heiraten wollte er allerdings seine Freundin nicht; denn er strebte nach einem ehrenvollen Posten „und dazu noch eine Ehefrau mit etwas Vermögen, um unsere Ausgaben nicht zu sehr zu belasten“. Er blieb aber der jungen Frau, deren Namen er nicht preisgibt, treu, hatte keine Affären mehr, bis es etwa 385 zur von Monnica betriebenen Trennung kam, worüber noch zu reden sein wird.
In Karthago gebar ihm die Freundin einen Sohn: Adeodatus, der von Gott Geschenkte. Das ist der ins Lateinische gewendete punische Name Iatanabaal, der beliebt war bei Karthagos Christen. Der Junge wuchs heran und entwickelte sich zu einem Hochbegabten. Ein Zwiegespräch mit ihm zeichnete Augustinus auf in dem Buch „Über den Lehrer“. In den „Bekenntnissen“ erinnert er sich dieses Dialogs: „Es ist da mein Buch, welches den Titel hat ‚Der Lehrer‘. Er, mein Sohn Adeodat selbst, führt dort mit mir ein Gespräch. Du weißt, mein Gott, dass alle Probleme, die dort von meinem Partner in das Gespräch gebracht werden, seine eigenen Empfindungen waren, als er im sechzehnten Lebensjahr stand. Andere bewundernswerte Dinge habe ich reichlich von ihm erfahren. Diese Begabung erweckte in mir Schauder.“
Die Lektüre von Ciceros „Hortensius“
Es gibt ein kleines, auf Englisch abgefasstes Gedicht. Es ist gewiss salopp formuliert, mit einem Schuss Humor. Der unbekannte Dichter mag gelächelt haben; aber es war ein nachdenkliches, vielleicht etwas trauriges Lächeln:
I’d like to know
what this whole show
is all about
before its out.
Es ist die Frage nach dem Sinn meines Lebens und dessen, was um mich herum vorgeht, eine Frage, die sich vielen Menschen irgendwann stellt und vor der eines Tages auch Augustinus stand.
Nach eigenem Eingeständnis beteiligte sich Augustinus am „schändlichen Liebestreiben“, das in Karthago um ihn her brodelte, bis er mit seiner Freundin zusammenzog; er suchte und fand Zerstreuung und Vergnügen im Theater. Eines Tages aber überfiel ihn die Frage, „what this whole show is all about“. Und das kam so:
Als