P. Michael Klaus Wernicke OSA
Kindheit und Jugend
Ein niedliches Baby war er, das lächelte, zuerst im Schlaf, dann im Wachen; ein Schreihals, der durch lautes Weinen sein Begehren kundzugeben versuchte und der, wenn ihn die Erwachsenen nicht gleich verstehen konnten oder wollten, durch lautes Geheul an ihnen Rache nahm. So schildert Augustinus seine Säuglingszeit, an die er sich nicht erinnerte, von der ihm aber Eltern und Ammen erzählten. Später beobachtete er auch, um die eigene Kindheit zu rekonstruieren, Säuglinge, den Knaben zum Beispiel, der bleich, mit bitterbösen Blicken auf seinen Milchbruder starrte, dem gerade die Brust gereicht wurde, während er, der Neidische, zunächst leer ausging. Der erwachsene Augustinus zieht aus solchen und anderen unleidlichen Verhaltensweisen kleiner Kinder den Schluss: „Ist vor Dir, Gott, doch keiner rein, auch das Kind nicht, das nur einen Tag auf der Welt ist.“
Er glaubt nicht an kindliche Unschuld, wird aber ganz und gar nicht zum Rabenvater, als seine Freundin ihm nach höchst unwillkommener Schwangerschaft einen Sohn gebiert, „Nachkommenschaft wider Wunsch und Willen“, der doch, einmal geboren, sich die Liebe der Eltern zu gewinnen wusste. Aber davon später.
So schildert Augustinus seine Kindheit in den „Confessiones“, den „Bekenntnissen“, dem berühmtesten und am meisten gelesenen Buch seiner 107 Werke, das er wohl Ende 397 begonnen hat. Da die hier gebotene Lebensbeschreibung bis zum Tod der hl. Monnica, der Mutter Augustins, dieser Schrift folgen wird, sei dargelegt, was der Verfasser mit seinen Bekenntnissen beabsichtigte, was er mit ihnen sagen wollte und was er offensichtlich nicht sagen wollte.
„Confiteri“, das Verb, von dem sich das Substantiv „Confessiones“ ableitet, kann „bekennen“ heißen, aber auch „lobpreisen“. Der Wortbedeutung entsprechend, ist das Buch Sündengeständnis, Glaubensbekenntnis und Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes. Warum nun breitete Augustinus seine Sünden und Irrwege vor der Öffentlichkeit aus? Er selbst stellte sich diese Frage und antwortete: „Damit wir, ich und jeder, der das liest, bedenken, aus welcher Tiefe man zu Dir, Gott, rufen darf.“ Es sollen also die ermuntert werden, die das Gewissen drückt und die unter der Last ihrer Schuld mutlos zu werden drohen.
Dem Glaubensbekenntnis, oft verbunden mit dem Lobpreis, begegnet der Leser auf vielen Seiten, ja schon im ersten Satz: „Groß bist Du, Herr, und hoch zu preisen, und groß ist Deine Macht und Deine Weisheit unermesslich. Und preisen will Dich der Mensch …“ Unser Gott, neben dem es keinen anderen gibt, wird angerufen als „Höchster, Bester, Mächtigster! Ganz allmächtig, ganz barmherzig und gerecht, ganz verborgen …“
Ein Mutmacher für die Mutlosen, eine Werbeschrift für den Glauben wollen die „Confessiones“ sein und nicht so etwas wie Memoiren, die Politiker nach dem Rückzug aus der Öffentlichkeit schreiben oder schreiben lassen. Von der schweren Staatskrise, die 383 mit dem Einmarsch des Usurpators Magnus Maximus in Gallien begann und 389 mit dessen Übergang über die Alpen ihren Höhepunkt fand, liest man in den „Bekenntnissen“ kein Wort, obwohl Augustinus, der sich in Mailand als Sprecher der Regierung auf politischem Parkett bewegte, ganz sicher davon erfahren hat, von der er in Ostia sogar direkt betroffen war. Davon soll später noch die Rede sein.
Auch von der Geschichte der Liaison mit einer Frau, die ihm sogar einen Sohn geboren hat, erzählt Augustinus kaum etwas. Er nennt nicht einmal ihren Namen. Es ist für den modernen Leser befremdlich, dass er die Geliebte nur an zwei Stellen der „Bekenntnisse“ erwähnt: Kurz erzählt er vom Beginn ihres Zusammenlebens und vom Ende. Monströs nennt der Philosoph Kurt Flasch, der freilich dem Augustinus wenig bis gar keine Sympathie entgegenbringt, dass die Selbstanklage wegen eines Birnendiebstahls Seite um Seite füllt, das Zurückschicken der Frau nach Afrika, der Frau, mit der er immerhin 15 Jahre lang zusammengelebt hat und „deren Trennung von dem gemeinsamen Sohn … für ihn kein moralisches Problem“ bildet. Man könnte bei der Zurückhaltung Augustins, mit der er sein Verhältnis zu der Frau behandelt oder eben nicht behandelt, auch an Diskretion denken.
An Augustinus scheiden sich bis heute die Geister. Während Kurt Flasch ihn ganz entschieden nicht mag, begeisterte sich Etty Hillesum, eine junge, gescheite, gebildete holländische Jüdin, die am 7. September 1943 „auf Transport“ geschickt wurde und wenige Wochen später, am 30. November, in Auschwitz starb, für ihn. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Ich werde wieder den hl. Augustinus lesen. Er ist so streng und so feurig. Und so leidenschaftlich und voller Hingabe in seinen Liebesbriefen an Gott.“ Wahrscheinlich las sie die „Bekenntnisse“ und darin diesen klagenden und sehnsüchtigen „Liebesbrief“: „Spät habe ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät habe ich Dich geliebt. Und siehe, Du warst innen und ich war draußen, und da suchte ich nach Dir, und auf das Schöngestaltete, das Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Missgestalt. Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir. Was doch nicht wäre, wär’ es nicht in Dir: das eben zog mich weit von Dir. Du hast gerufen und geschrien und meine Taubheit zerrissen; Du hast geblitzt, geleuchtet und meine Blindheit verscheucht; Du hast Duft verbreitet, und ich sog den Hauch und schnaube jetzt nach Dir; ich habe gekostet, nun hungere ich und dürste; Du hast mich berührt, und ich brenne nach dem Frieden in Dir.“
Es wird nun Zeit, den Faden der Erzählung wieder aufzunehmen. Es bleibt noch zu erwähnen, dass auch, nachdem Augustinus die Erzählung von seinem Weg zum Glauben mit dem Tod seiner Mutter abschließt, es an biographischem Material nicht fehlt: Possidius übernimmt die weitere Berichterstattung, ein bewundernder Freund, Mitbruder im Klerikerkloster zu Hippo, später Bischof von Calama. Er beschreibt das Leben seines und unseres Helden von dessen Priesterweihe bis zum Tod.
Das lächelnde, das gesättigte, wohlig zufriedene, zuweilen hungrig plärrende, manchmal zornig heulende Baby, das Augustinus einst war, ist – wie er selbst uns verrät – am 13. November 354 geboren, zu Thagaste, einer kleinen Stadt in Numidien im römischen Afrika, das heutige Soukh Arras in Algerien. Der Vater, Patritius, zwar ein Bürger mit bescheidenen Mitteln, doch Mitglied der städtischen Curia, ein Ratsherr also, war noch Heide, ließ sich erst ins Katechumenat aufnehmen, als Augustinus 16 Jahre alt war, und empfing die Taufe kurz vor seinem Tod. Die Mutter dagegen, Monnica, war Christin, katholisch, „keusch und nüchtern“, wie der Sohn später bezeugt. Zweimal am Tag ging sie in die Kirche, „damit sie Dich, Gott, hörte in Deinen Predigten und Du sie in ihren Gebeten“. Augustin hatte noch einen Bruder, Navigius, der später mit ihm die Zeit in Cassiciacum verbrachte, diese Tage der besinnlichen Vorbereitung auf die Taufe. Nach Possidius, dem Freund, gab es auch eine Schwester, deren Name nicht bekannt ist und die nach dem Tod ihres Gatten ein Frauenkloster in Hippo leitete, in der Stadt, in der Augustinus Bischof war.
Augustins Muttersprache, die er wie jedes Kind im Spiel lernte, war das Lateinische, seine Welt das Römische Reich, dessen westliche Hälfte Kaiser Constantius II., der Sohn des großen Konstantin, regierte.
Der kleine Augustinus wurde nicht getauft, obwohl es die Kindertaufe zu seiner Zeit schon gab, wurde aber bezeichnet mit dem Zeichen des Kreuzes und mit dem Salz dessen gewürzt, der sich in Demut „herabließ zu unserem Hochmut“. Das Kreuz und das Salz bezeichneten die liturgischen Akte, mit denen der Mensch ins Katechumenat aufgenommen wurde, angegliedert wurde an Christi mystischen Leib. Einmal, als er sehr krank war, wünschte er sich, obwohl noch ein Kind, die Taufe, vergaß sein Begehren aber, als das Fieber vorüber war und er sich wieder heil und gesund fühlte.
Sehr bald erkannten die Eltern, dass ihr Sohn einen schnellen und hellen Verstand hatte, und sie hegten ehrgeizige Pläne für ihn, wollten, was Väter und Mütter immer wollen: Unser Sohn soll es einmal besser haben als wir, soll durch Bildung beruflich Erfolg haben und gesellschaftliches Ansehen gewinnen. „So gab man mich zur Schule“, erinnert sich Augustinus, „damit ich lesen und schreiben lernte, wovon ich Armer nicht einsah, was das nützen sollte“.
Lieber, als sich mit dem