Mit Wehen Wiesbaden war er 2007 fünf Spieltage vor Saisonende in die Zweite Liga aufgestiegen. Er brauchte zwingend die Fußballlehrer-Lizenz, um weiterarbeiten zu können. Montags bis donnerstags war er beim Lehrgang in Köln. Es kam vor, dass er seine Mannschaft am Freitag zum ersten Mal in der Woche sah und sie am selben Tag schon um 18 Uhr zum Spiel antrat. Fast alle, die mit dieser Doppelbelastung klarkommen mussten, haben sich aufgerieben. Ihm ging es nicht besser. Er wurde entlassen. Den Fußballlehrer machte er zu Ende, die meisten seiner ehemaligen Lehrgangskollegen sind derzeit arbeitslos. Sein Nachfolger in Wehen wurde: Wolfgang Frank. »Ein komisches Gefühl« sei das gewesen, erinnert sich Hock.
Der Trainer Jürgen Klopp war eine Notlösung. Christian Heidel, damals Manager des Zweitligisten FSV Mainz 05, fand an Fastnacht 2001 keinen Nachfolger für Eckhard Krautzun, nur den Klopp, der als Spieler seine beste Zeit hinter sich hatte. Klopp sollte Mainz ein Spiel coachen, dann zwei, und dann noch ein paar – Jahre. Mit Aufs und Abs, die Aufs überwiegen. Ein Besuch im Büro von Christian Heidel, der Klopp ein guter Freund wurde.
von Roger Repplinger
Als Spieler ganz ordentlich – als Trainer außergewöhnlich
Mit hoch gekrempelten Hosen stehen Kinder im Fastnachtsbrunnen. In dem Becken des Brunnens liegt kein Münzgeld, sondern die Alufelge eines VW. Eine Mutter hält ihren Kleinen so ins Wasser, dass dies seine Zehen kitzelt. Das gefällt ihm. Vor dem Eiscafé »de Covre« sitzen Pärchen, essen Erdbeer-Becher mit Sahne, und haben diesen Gesichtsausdruck: »Den Tag heute hat uns der liebe Gott geschenkt, und es ist der letzte in diesem Jahr. Dann wird es dunkel.« Im mittleren Teil des etwas schlauchartigen Platzes stehen rote Steinbänke, auf einigen sitzen Männer in einem undefinierbaren Alter und zeigen den festen Willen, die Schönheit der Welt, die heute ihr Maximum erreicht, durch das Saufen aus Tetra Paks zu steigern.
Ein Herr Friedl verspricht auf Zetteln, die an Laternenpfählen hängen, geistige Fitness bis ins hohe Alter durch Bridge, »das faszinierende Kartenspiel zu viert«. Das Wehrbereichskommando sitzt in einem der vorbildlich restaurierten alten Häuser, die im Zweiten Weltkrieg stehen geblieben sind, das Landesamt für Denkmalpflege, die Industrie- und Handelskammer Rheinhessen und das »Unterhaus«, ein renommierter Veranstaltungsort für Kleinkunst, auch.
Schillerplatz
Der Chef, der dem Platz den Namen gegeben hat, ist auch da: der junge Friedrich Schiller, mit den Augen des späten 19. Jahrhunderts gesehen und in Bronze gegossen, in der Pose des Dichterfürsten. Aber im Grunde gehört der Platz den Narren, denn er befindet sich in Mainz. In einem schlauen Buch steht geschrieben, dass sich an der Stelle, wo früher das »Café Neuf« stand, in dem im März 1905 acht junge Männer den FSV Mainz 1905 gründeten, eine Wetterstation befinden soll. Von der Wetterstation ist nichts zu sehen, an das Café erinnert nichts mehr.
Erinnerung ist keine objektive Abbildung der Vergangenheit, das bekommen ja nicht mal die Historiker hin. Bei der Erinnerung spielt eine Rolle, wie derjenige, der sich erinnert, die Ereignisse, um die es geht, damals bewertet hat, und wie er sie heute bewertet, und wie er seine damalige Bewertung heute einschätzt. Hat er seinen Frieden gemacht? War das überhaupt notwendig?
Wenn alle in Mainz, die sich erinnern, den Trainer loben, kann der vom 28. Februar 2001 bis 30. Juni 2008 nicht alles falsch gemacht haben.
Heidels Büro
Im Büro von Christian Heidel in der Geschäftsstelle des FSV Mainz im Dr.-Martin-Luther-King-Weg erinnert manches an Jürgen Klopp. Fotos an der Wand, aber vor allem Heidels Enthusiasmus, die Freude, die es ihm macht, über seinen Freund Klopp zu sprechen, mit dem er »vor zwei Tagen zuletzt telefoniert« hat. Heidel redet schnell, die Worte perlen aus ihm wie das Wasser aus dem Fastnachtsbrunnen, so viel hat er zu sagen. Der Spaß, den er mit seinen Erinnerungen hat, hat was mit dem Spaß zu tun, den ihm die Arbeit mit Klopp gemacht hat.
Heidel lacht viel, lächelt, grinst, wenn er nur dran denkt. Es macht ihm mindestens so viel Spaß, sich heute dran zu erinnern, wie es damals Spaß gemacht hat, es zu erleben. Entscheidend für die Entwicklung des FSV Mainz 05 von einem stets vom Abstieg bedrohten Zweitligisten zu einer respektablen Bundesligamannschaft, war Wolfgang Frank. Wichtig für die Entwicklung des als Fußballer nicht eben reich beschenkten, rauen rechten Verteidigers Jürgen Klopp zu einem Meistertrainer, war Wolfgang Frank. Der Fußballlehrer kommt mitten in der Saison 1995/96 zum scheinbar sicheren Zweitliga-Absteiger FSV Mainz. Die Mainzer haben eine desolate Vorrunde gespielt, sie sind die schlechteste Mannschaft der Zweiten Liga. So schlecht zu sein, ist nicht gut, aber es ist so schlecht, dass man da was probieren kann, probieren darf oder gar muss.
Frank I
Wolfgang Frank, Jahrgang 1951, war einst Mittelstürmer unter anderem beim VfB Stuttgart und Borussia Dortmund und trotz 172 Zentimeter Größe ein guter Kopfballspieler. Vor seiner Mainzer Zeit war er als Trainer in der Schweiz und bei Rot-Weiss Essen tätig, damals in der Zweiten Liga. Mit RWE stand Frank 1994 im Pokalfinale, das allerdings mit 1:3 gegen Werder Bremen verloren ging.
Frank will beim FSV was Neues machen. »Wenn du Letzter bist, musst du was anders machen«, sagt Heidel. In der Winterpause kündigt Frank an: »Wir spielen jetzt 4-4-2, ohne Libero.« Heidel denkt: »Oh Gott, oh Gott, ohne Libero, auch das noch«, und: »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Die Spieler lassen sich auf Franks Ideen ein. Der lässt statt Manndeckung das Verschieben im Raum üben. Revolution machen immer diejenigen, die nichts zu verlieren und manches zu gewinnen haben. Das ist nicht nur im Fußball so. Frank betritt Neuland in Deutschland. Im Württembergischen Fußballverband gibt es einen Trainer, Helmut Groß, der seinen jungen Kollegen die Raumdeckung nahebringt, aber im Profifußball traut sich das bis dahin kaum jemand. Deutschland ist Libero-Land10.
Frank fängt ganz von vorne an: Pressing sollen seine Jungs spielen, den Gegner beim Spielaufbau stören, die gegnerischen Verteidiger angreifen, den Ball erobern, dann ist der Weg zum Tor nicht so weit. Franks erster Sieg: Er gewinnt die Mannschaft.
In Deutschland wird bei der Fußball-Berichterstattung häufig der Fehler in den Vordergrund gestellt, wenn, wie im Februar 2011, ein Mittelfeldspieler wie Bastian Schweinsteiger den Ball an Kevin Großkreutz verliert, der Lucas Barrios ins Spiel bringt, der ein Tor macht. Für das Umzingeln, das Pressing, die Leistung der Mannschaft, die gegen den Ball11 spielt und Schweinsteiger zum Fehler zwingt, fehlt der Blick. Solche Ballgewinne zeichnen modernen Fußball aus. Frank weiß das, Klopp weiß es von ihm.
Dennis Weiland im »Café Raab«
Ein solches Spielsystem funktioniert nur, wenn alle mitmachen, auch die Stürmer. »Einen kannst du vielleicht raus lassen«, schränkt der frühere Mainzer Mittelfeldspieler Dennis Weiland, 37, ein, der im »Café Raab« sitzt. Es ist Klopps Mainzer Lieblingscafé. Wir nehmen ein paar Tassen aufgeschäumte Milch, in denen ein Espresso schwimmt. Nicht weit davon entfernt steht Klopps Haus im angenehmen Mainzer Stadtteil Gonsenheim. Die Straße runter ist der Wald, in dem die Mainzer Spieler Kondition trainiert haben.
Unter Wolfgang Frank machen bei Mainz alle mit, wenn gegen den Ball gearbeitet wird. In Ulm auch. In Ulm, in der Dritten Liga, gibt es seit 1997 noch so einen Verrückten. Der heißt Ralf Rangnick. Im DFBPokal 1997/98 müssen die Mainzer mit ihrem Trainer Dietmar Constantini zum Drittligisten SSV Ulm 1846 und werden mit 4:1 verhauen. Bei Mainz ist Klopp nicht im Aufgebot. Klopp kommt mit Constantini