Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt. Thomas P Fenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas P Fenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783039199044
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die beiden Unternehmen schliesslich auf ein «Gentlemen’s Agreement» einigen: Wander erklärte sich weiterhin bereit, ihren Kakao für die Herstellung von Ovomaltine bei Nestlé zu beziehen, als Gegenleistung durfte Nestlé aber keine ähnlichen Stärkungsmittel wie Ovomaltine in Europa, Nordamerika und einigen lateinamerikanischen und asiatischen Märkten verwenden.342 Abgesehen von diesen Ländern war Nestlé aber nicht mehr bereit, auf die Einführung von Milo zu verzichten, zumal das Unternehmen dort mit dem Erscheinen von Ovaltine herbe Rückschläge auf dem Gebiet der Kakaogetränke hinnehmen musste.343

      Der Vertrag zwischen Nestlé und Wander führte dazu, dass sich bei Nestlé auf dem Gebiet der Kakao- und Malzgetränke weltweit keine einheitliche Marke herausbildete: Während Nescao in Europa und Lateinamerika Verbreitung fand, wurde Milo vorwiegend in Afrika, Asien und Australien verkauft.344

      Parallel zur Entwicklung von Kakao- und Malzgetränken gelang es den Forschern von Nestlé Ende der 1920er-Jahre, Milkmaid Café au lait in Pulverform herzustellen. Auf eine Kommerzialisierung des Produkts wurde damals jedoch verzichtet, weil die Gewohnheiten der Milch- und Zuckerzugabe zum Kaffee von Land zu Land sehr unterschiedlich waren: Während die Briten gerne viel Zucker und Milch im Kaffee mochten, war dieser den Schweizern zu süss, und den Holländern hatte die weniger gezuckerte Schweizer Version wiederum zu wenig Milch. Aus diesem Grund kamen die Forscher auf den Gedanken, statt einer Milchkaffee-Mischung einen reinen, sprühgetrockneten Instantkaffee zu entwickeln. Bis 1929 gelang Nestlé auf diesem Gebiet allerdings kein nennenswerter Fortschritt.345

      Im Herbst desselben Jahres wurde Verwaltungsratspräsident Louis Dapples von einem Vertreter seines ehemaligen Arbeitgebers – der Banque Française et Italienne pour l’Amérique du Sud – angefragt, ob Nestlé der brasilianischen Regierung nicht in irgendeiner Form helfen könnte, die beträchtlichen Kaffeereserven abzubauen.346 Nachdem sich der Kaffeeanbau in Brasilien Ende des 19. Jahrhunderts zu einem sehr rentablen Geschäft entwickelt hatte und die Kaffeeproduktion Jahr für Jahr ausgeweitet worden war, überstieg diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Nachfrage. Als monopolistisch auftretender Kaffeeanbieter versuchte Brasilien das Angebot und damit die Kaffeepreise zu stabilisieren, indem der Staat die Kaffeeüberschüsse aufkaufte. Nachdem dieses System der Kaffeevalorisierung zwischen 1907 und 1912 einen zwiespältigen Erfolg gefeiert hatte, wurde es aufgrund der sinkenden Rohstoffpreise nach dem Ersten Weltkrieg abermals eingeführt: In São Paulo hielt die Regierung in grossen Lagerhallen die überschüssigen Kaffeebestände zurück, welche über Kreditaufnahmen bei Banken finanziert wurden. Das Angebot wurde dadurch künstlich knapp gehalten und die Kaffeepreise auf hohem Niveau stabilisiert. Geblendet von den kurzfristigen Profiten verpassten es die brasilianischen Kaffeeproduzenten allerdings, Angebot und Nachfrage rechtzeitig wieder ins Lot zu bringen, indem sie die Lagerbestände wieder abbauten. Stattdessen wurden diese andauernd erweitert, bis die Lagerhallen 1929 überquollen und die Banken ihre Kredite gefährdet sahen, falls die ungeheuren Kaffeelager nicht irgendwie vermindert werden konnten.

      Vor dem Hintergrund dieser Kaffee-Spekulationsblase, die am 11. Oktober 1929 schliesslich platzte und gemeinsam mit dem Einbruch der Börsenkurse in New York zwei Wochen später die Kaffeepreise ins Bodenlose fallen liess,347 schlug die Banque Française et Italienne pour l’Amérique du Sud Nestlé vor, einen in Wasser löslichen Kaffeewürfel (ähnlich wie ein Bouillonwürfel) herzustellen, der günstig war und die Kaffeezubereitung wesentlich erleichterte. Dank Nestlés weitverzweigtem Vertriebsnetz sollten die Würfel den Kaffeekonsum auch in Ländern fördern, wo dieser bisher nicht verbreitet war. Die Bank hoffte, dass der Konsum von Kaffee durch diese Massnahme um fünf bis zehn Prozent gesteigert werden und die riesigen Kaffeereserven in Brasilien in kurzer Zeit abgebaut werden könnten.

      In Zusammenarbeit mit dem Institut de la Défense du Café en Europe wurde die Idee in den darauffolgenden Monaten weiter vorangetrieben. Die Nestlé & Anglo-Swiss beauftragte ihre Laboratorien in Vevey mit entsprechenden Forschungen,348 dämpfte aber gleichzeitig allzu grosse Hoffnungen der Südamerikaner bezüglich der Realisierbarkeit eines solchen Instantkaffeewürfels.349 Es zeigte sich jedoch rasch, dass ein solches Produkt mittels Extraktion und anschliessender Evaporation, wie sie damals zur Herstellung von Instantkaffee und Kondensmilch verwendet wurden, schon nach kurzer Zeit seinen typischen Geschmack verlor. Auch die nachträgliche Beigabe von fein gemahlenem Röstkaffee lieferte keine zufriedenstellenden Resultate.350 Aufgrund dieser Erkenntnisse erklärte die Nestlé & Anglo-Swiss das Kaffeeprojekt in dieser Form im April 1930 gegenüber den brasilianischen Initianten für beendet.351

      Trotzdem wurde in den Laboratorien in weniger hektischen Phasen an einem löslichen Kaffee weitergeforscht. Auch die Nestlé-Führung lieferte weiterhin Impulse, das Kaffeeprojekt weiterzuverfolgen: Von einer Reise aus den Vereinigten Staaten soll Louis Dapples mit einer Dose G. Washington’s Coffee in den Forschungslaboratorien erschienen sein und die Techniker beauftragt haben, einen Instantkaffee nicht in Würfel-, sondern in Pulverform herzustellen und diesen in Dosen unter Verschluss zu halten.352

      Zwar war es einfach, einen Löslichkaffee nach dem Vorbild von G. Washington’s Coffee herzustellen. Der Kaffeegeschmack konnte auf diese Weise jedoch nicht über längere Zeit konserviert werden. Eine interessante Entdeckung war in diesem Zusammenhang, dass sich das Kaffeearoma beim Milchkaffeepulver, welches in den 1920er-Jahren auf der Grundlage von Milkmaid Café au lait mit Hilfe des Egron-Verfahrens entwickelt worden war, viel länger in der Dose hielt als das reine Instantkaffeepulver.353 Deshalb nahm Nestlé zwischen 1932 und 1935 diese Spur unter der Leitung von Dr. Max Morgenthaler354 wieder auf, indem man Café au lait in Pulverform zu verbessern versuchte. Obwohl die Resultate vom Geschmack her zufriedenstellend ausfielen, wurde das Milchkaffeepulver schliesslich als marktuntauglich eingestuft, weil seine Löslichkeit zu wünschen übrig liess.355 Gleichzeitig entwickelten Nestlés Laboratorien in dieser Zeitspanne eine speziell konstruierte Extraktionsmaschine, in welcher mehrere Kaffee-Extraktionsabläufe nacheinander stattfanden. Im Unterschied zur Evaporation konnte das Trockenkonzentrat der Extrakte dadurch wesentlich erhöht werden, ohne dass die Ausbeute abnahm.356

      Da Morgenthalers Forschungsarbeiten nur sehr langsam voranschritten, beauftragte Nestlé zusätzlich Professor Dutoit von der Universität Lausanne mit Parallelstudien auf diesem Gebiet. Auch ihm gelang aber kein entscheidender Durchbruch, weshalb er 1934 das Kaffeeproblem für unlösbar erklärte.357 Als ein Jahr später immer noch kein verwertbares Forschungsresultat vorlag, glaubte selbst Nestlés technischer Direktor nicht mehr an ein positives Resultat.358 Spätestens am 16. August 1935 wurde die Kaffeeforschung von Nestlé offiziell für beendet erklärt.359

      Angesichts der bisherigen Fortschritte in den Laboratorien blieb Max Morgenthaler bezüglich der Herstellung eines löslichen Kaffee-Extrakts aber weiterhin optimistisch: «Was den Kaffee-Extrakt anbetrifft, so kann also gesagt werden, dass es prinzipiell möglich ist, einen konzentrierten Kaffee-Extrakt zu erhalten, der in Bezug auf Aroma und Geschmack vollwertig ist, bei gleichzeitig genügend guter Ausbeute des Kaffees»,360 zeigte er sich 1935 über den Forschungsstopp enttäuscht. Die in unzähligen Experimenten gewonnenen Erkenntnisse liessen ihn nicht mehr los. Mit selbst gekauften Kaffeebohnen verfolgte er das Problem der Geschmacks- und Aromakonservierung neben seiner Arbeit zu Hause weiter. Zudem gestand ihm Nestlé zu, in weniger hektischen Zeiten in den Nestlé-Laboratorien an den Kaffeeversuchen «à temps perdu» weiterzuarbeiten.361

      Nachdem Morgenthaler bereits beim Milchkaffeepulver auf der Basis von Milkmaid Café au lait aufgefallen war, dass die für Kaffee typischen Geschmacks- und Aromastoffe im gezuckerten Milchkaffee besser erhalten blieben, als dies im ungezuckerten der Fall war, fand er anhand von Tests mit mehreren Kaffee-Extraktionsverfahren heraus, dass diese Stoffe umso besser erhalten blieben, je stärker man die Kaffeebohne extrahierte, und dass durch die stärkere Extraktion bei höheren Temperaturen mehr Kohlenhydrate im Endprodukt vorhanden waren. Diese Beobachtung erlaubte es Morgenthaler, das Problem der Geschmacks- und Aromakonservierung zu lösen: Entgegen der damals vorherrschenden Lehrmeinung erkannte er, dass der Kaffeegeschmack nicht durch die Fettbestandteile