Stattdessen nimmt der Angreifer den Ball mit der ersten Berührung drei Meter weit mit. Der Gegner verringert den Abstand seinerseits und kommt vier Meter näher. Jetzt sind von dem Zehn-Meter-Abstand noch ganze drei Meter übrig, und innerhalb von Sekundenbruchteilen sind die auch weg. Als Nächstes folgt ein Tackling und man kann zusehen, wie der Ball unkontrolliert zu einem Spieler des gegnerischen Teams rollt.
Es verblüfft mich, wie viele Fußballer und Fußballerinnen spielen, als wären sie Runningbacks in einem Football-Team. Sie nehmen einen Pass an, laufen mit Ball nach vorn und suchen den direkten Zweikampf. Ich werde nie verstehen, wieso ein Spieler freiwillig den Abstand aufgibt, der ihn von einem Verteidiger trennt. Dieses Polster verschafft dir Zeit. Es verschafft dir Zeit für eine gute Entscheidung und Zeit für ein Spielen des Balles unter möglichst wenig Druck. Warum sollte man darauf verzichten?
Mit dem längeren Ballführen in Richtung des Gegners nimmt man dem die halbe Arbeit ab! Es ist nicht deine Aufgabe, ihm den Ball näherzubringen. Er muss näher rücken, um dich unter Druck zu setzen. Spiel nicht für den Gegner! Mach nicht ihm das Leben leichter, indem du dich selbst in Schwierigkeiten bringst!
Wenn du den Ball geschickt angenommen und spielbereit am Fuß hast, ist es an dir, ihn jetzt sofort nach vorn zu spielen. Denn das stellt den Verteidiger vor ein Problem. Er muss überlegen, wie er den Pass nach vorn verhindern kann, anstatt zum Tackling anzusetzen. Der Angriff auf den ballführenden Spieler fällt aus, der Gegenspieler muss sich auf Seitwärtsbewegungen einstellen, wenn er den Pass abfangen will. Mit dem einleitenden Bewegungsablauf für ein Zuspiel hält man den Gegner letztlich an seinen Platz fest und erhält sich so das Polster.
Noch erstaunlicher ist, wie oft ein Spieler bereit ist, dieses Polster herzugeben, noch bevor er den Ball unter Kontrolle hat. In jeder Begegnung fallen mir Spieler auf, die mit dem Ball laufen, ohne ihn zu kontrollieren. Er verspringt ihnen vom Knie, vom Schienbein, vom Oberschenkel, vom Bauch. Was hofft man denn zu erreichen, wenn man den Ball nicht einmal sicher am Fuß liegen hat? Hol um Himmels willen erst einmal kurz Luft und sorg dafür, dass du den Ball am Fuß hast! Das Wichtigste zuerst, nicht wahr? Glaub mir, du bist besser beraten, wenn du auf die Bremse trittst und erst einmal den Ball kontrollierst, bevor du dich auf den 50-Meter-Sprint zum Ruhm begibst.
Wenn ich einer Mannschaft »An Ort und Stelle spielen« erklären will, setze ich sie dazu vor eine Aufzeichnung von einem Spiel der englischen Premier League, aber auch jede andere Profiliga käme infrage.
Immer gibt es kluge Spieler, die verstehen, wie wertvoll es ist, wenn man sich nicht selbst unter Druck setzt. Im Profifußball erhalten die Spieler vor allem im Abwehrbereich und im Mittelfeld regelmäßig Zuspiele, die sie so annehmen, dass der Ball sofort spielbereit am Fuß liegt. Ihre nächste Ballberührung ist meist ein Pass zu einem Mitspieler, wobei der Gegner gar nicht erst dazu kommt, Druck auszuüben.
Schau dir einmal eine Halbzeit eines Premier-League-Spiels an und zähle mit, wie oft beide Mannschaften den Ball an Ort und Stelle spielen. (Auch das direkte Weiterleiten des Balles mit nur einem Kontakt fällt in diese Kategorie.) Sieh dir dann eines eurer Spiele an und zähle auch hier mit. Es gibt schon einen Grund dafür, warum deine Mannschaft den Ball so oft verliert. Es gibt auch einen Grund dafür, warum man selten eine Jugendmannschaft sieht, die drei aufeinanderfolgende Pässe zustande bringt. Es liegt daran, dass die Spieler dieses ganz einfache Konzept noch nicht verstanden haben. Man kann nicht erwarten, im Ballbesitz zu bleiben, wenn man sich durch unbedachtes Losrennen ständig selbst in Schwierigkeiten bringt.
Lerne, an Ort und Stelle zu spielen. Dadurch wirst du sehr viel mehr Pässe an die Mitspieler bringen, und deine Mannschaft wird sehr viel häufiger im Ballbesitz sein.
Hinweis für Trainer: Wenn Ihnen dieser Zusammenhang klar ist, machen Sie ihn auch Ihren Spielern klar. Das wird sich sofort auf die Fähigkeit Ihres Teams, den Ball in den eigenen Reihen zu halten, auswirken. Ich schlage dazu die oben erwähnte Auswertung eines Profi-Spiels vor. Teilen Sie die Mannschaft in zwei Gruppen. Jede Gruppe soll eine Mannschaft genau beobachten und die Zahl der Pässe an Ort und Stelle festhalten, die die Spieler spielen. Lassen Sie, um das Thema fest in den Köpfen der Spieler zu verankern, darauf die Analyse eines eigenen Spiels folgen und auch hier die Zahl der an Ort und Stelle gespielten Pässe registrieren. Ich verspreche Ihnen, dass die Statistik ihre Wirkung auf die Spieler nicht verfehlen wird.
3. KAPITEL
Der unmögliche Pass
Mit der Verständigung, die meine Spieler untereinander auf dem Platz pflegen, bin ich grundsätzlich unzufrieden. Könnte ich sie jemals alle dazu bringen, im laufenden Spiel großzügig nützliche Informationen auszutauschen, würde das das Spielniveau deutlich heben, doch dazu später mehr. In diesem Kapitel geht es nicht nur darum, was man sagen soll, hier geht es darum, was man nicht und wann man es nicht sagen soll.
Kluge Spieler, die gut kommunizieren, sprechen über das, was für den Ball am besten ist. Sie lassen ihren Mitspielern präzise Informationen zukommen, die den Angesprochenen helfen, eine Lösung für die Spielsituation zu finden. Sie gleichen Schach-Großmeistern, die ihre Figuren zu einem gut aufgebauten Angriff anordnen, und leiten den Ball von einem Mitspieler zum nächsten weiter. So verhalten sich clevere Spieler.
Die meisten anderen sehen, wer den Ball hat, und beschränken sich darauf, seinen Namen zu brüllen: »Alex! Alex! Alex!«
Der arme Alex im Mittelfeld hat alle Mühe, sich gegen zwei entschlossene Gegner zu behaupten, und die einzige Hilfe, die ihm zuteilwird, kommt von zehn Mitspielern, die aus zehn verschiedenen Richtungen seinen Namen rufen. Was soll das? Euer Mitspieler weiß selbst, wie er heißt. Er braucht allerdings nützliche Informationen, die ihm aus seiner aktuellen unangenehmen Lage heraushelfen. Er braucht einen Mitspieler, der so etwas sagt wie: »Spiel zu Steve.« Das wäre ein brauchbarer Hinweis. Stattdessen hört er: »Alex! Alex! Alex!«
Die Verständigung, wie sie die meisten Spieler pflegen, ist im wahrsten Sinne des Wortes armselig – entweder sie reden nicht genug oder sie reden dummes Zeug. Spieler, deren einzige Kommunikation darin besteht, den Namen des Spielers zu rufen, der gerade am Ball ist, fallen in die zweite Kategorie.
Das Dümmste daran inspirierte mich zu dem Begriff vom »Unmöglichen Pass«.
Alex ist wieder am Ball. Diesmal hat ihn ein Gegenspieler, der absolut nicht lockerlässt, an die Seitenlinie abgedrängt. Der Ball befindet sich zwischen Alex und der Seitenlinie. Alex schirmt den Ball vor dem Gegenspieler ab. Und 20 Meter hinter dem Gegenspieler stehst du und rufst »Alex! Alex! Alex!«
Da stehst du also und verlangst von einem Mitspieler, der vom Gegner unter Druck gesetzt wird und dich nicht einmal sehen kann, den Ball durch den Gegner hindurch und über eine Entfernung von 20 Metern hinweg an deinen wartenden Fuß zu zaubern.
Meine Frage lautet: Wie um alles in der Welt soll er das anstellen?
Wie frei du dort stehst, ist mir egal. Mir ist auch egal, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass du ein Tor schießt, wenn du diesen Ball bekommst. Beides hat keinerlei Bedeutung, weil Alex DIR DEN BALL NICHT ZUSPIELEN KANN! Verstehst du das? Du verlangst einen UNMÖGLICHEN PASS von ihm! Das Einzige, was du mit deinem Rufen erreichst, ist, dass vielleicht ein nützlicher Hinweis, den ein anderer Mitspieler anzubringen versucht, übertönt wird.
Ich verstehe ja, dass du den Ball haben willst. Aber lass doch ein bisschen gesunden Menschenverstand walten, wenn das Problem gelöst werden soll. Es nützt deinem Team viel mehr, wenn du Alex eine Information zukommen lässt, mit der das Problem zu lösen ist. Durch deine Mitteilung gelangt der Ball vielleicht zu einem Mitspieler, der ihn dann an dich weiterleiten kann, sodass du zu einem Torerfolg kommst. Klingt einleuchtend, oder?
Verwende für die Verständigung mit deinen Mitspielern klare und präzise Worte, Formulierungen und Sätze. Sprich mit dem Spieler am Ball so, als wären ihm die Augen verbunden und er vollständig auf dich angewiesen. Er weiß nicht, was du denkst, wenn du seinen Namen rufst, aber er weiß genau,