Vorwort des Herausgebers
Anna Elisabeth Suwandy befasst sich in dieser wissenschaftlichen Studie mit einem zentralen Thema des Religionsverfassungsrechts. Es ist bemerkenswert, dass sich die Autorin zur Bearbeitung des Themas einem Land zuwendet, das in der Öffentlichkeit als ein relativ liberales, mehrheitlich muslimisches Land bekannt ist. Zugleich sind die Progrome gegen Christen vor allem in der Provinz Aceh im Gedächtnis, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Indonesien gerichtet haben. Im Lichte der fortschreitenden Globalisierung und zunehmender relgiös ethnischer Konflikte in pluralen Gesellschaften erscheint es angebracht, sich die Konzepte multiethnischer und multireligiöser Staaten vor Augen zu führen, um zu erkennen, welche verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Bedingungen ein friedliches Zusammenleben der Völker und Denominationen ermöglichen oder behindern. Dazu ist unabdingbar, die einschlägigen Rechtsquellen zu konsultieren und zu analysieren. Anna Elisabeth Suwandy erschließt die teilweise schwierig aufzufindenden Rechtsquellen erstmals für den deutschen Sprachraum und führt die Normen, die Normetwicklung und die verfassungsrechtliche Praxis Indonesiens einer kritischen Reflexion zu. Aus dem Blickwinkel einer katholischen Theologie, einem christlichen Selbstverständnis und einer darin verankerten Sichtweise auf das Religionsrecht, muss das Thema auch die kirchlichen Stellungnahmen zur Religionsfreiheit reflektieren, um Entwicklungen, Übereinstimmungen oder Widersprüche zwischen und in den jeweiligen Konzeptionen aufzuzeigen. Vieles hängt bezüglich der Bewertung des Normenbefundes davon ab, wie die Religionsfreiheit in Indonesien von den dortigen Verantwortlichen rechtlich formuliert und in Übereinstimmung mit den religiösen Traditionen gedeutet wird. Der hier vorgestellte Befund vermag die Frage der Arbeit zu beantworten, bzw. einer differenzierten Beantwortung näher zu bringen.
Dieser Veröffentlichung liegt die im Sommersemster 2015 vorgelegte Qualifikationsarbeit von Anna Elisabeth Suwandy zum Master of Education zugrunde, die von der Johannes Gutenberg-Universität mit dem Preis für herausragende Abschlussarbeiten ausgezeichnet wurde.
Die Autorin und der Herausgeber danken dem Bistum Aachen und dem Zentrum für Interdisziplinäre Studien zum Religions- und Religionsverfassungsrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (ZIRR) für die Druckkostenzuschüsse.
Mainz, im März 2017 | Matthias Pulte |
1. Einleitung
Indonesien ist ein Land aus rund 17.500 Inseln1 und über 300 Ethnien2, die ihr jeweils eigenes Wertesystem, eine eigene Kultur, Weltsicht, Erinnerung, Vision und Religion haben. Es ist ein Land mit rund 255.000 Moscheen, 13.000 Hindutempeln, rund 2.000 buddhistischen Tempeln, etwa 1.300 konfuzianischen Tempeln und über 61.000 Kirchen.3 Leicht ist ersichtlich, dass es sich bei diesem Land um einen Staat mit einer sehr pluralistischen Gesellschaft handeln muss und die Forderung nach gegenseitiger Toleranz und Religionsfreiheit essentiell ist. Nahe liegt aber auch, dass diese Situation zu konstruktiven und auch destruktiven Konflikten innerhalb des indonesischen Archipels führen kann. Es ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung und die drittgrößte Demokratie der Welt und dennoch oder gerade deshalb ist es kein islamischer Staat, sondern ein Staat, der eine Heimat für viele Religionen sein will und die Religionsfreiheit in seiner Verfassung garantiert.4
Lässt man den Blick in die Vergangenheit Indonesiens schweifen, so erinnert man sich an eine Zeit, in der Indonesien als „das Musterland der Toleranz und des harmonischen Zusammenlebens zwischen Muslimen und Christen”5 galt, in denen Vertreter der christlichen Kirchen ihre Hochachtung „vor dem friedlichen Zusammenleben der Religionen und der von den Muslimen praktizierten Toleranz”6 aussprachen und in der christliche und islamische Feste gemeinsam begangen wurden.7 Doch die Fassade dieses harmonischen und dennoch so fragilen Gebildes ist bröckelig. Am 30. Mai 2013 erhielt der damalige Präsident Susilo Bambang Yudhoyono den World Statesman Award, eine Auszeichnung der Appeal of Conscience Foundation, einer amerikanischen Stiftung, die sich weltweit für Religionsfreiheit und Menschenrechte einsetzt. Geehrt wurde Yudhoyono damals für seine Verdienste um religiöse Toleranz. Aber es machte sich Unmut in Indonesien breit. Warum wird ein Präsident für seine Verdienste ausgezeichnet, wenn es diesbezüglich in seinem Land seit Jahren Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Zerstörung und sogar Tod gibt?8 Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass zu keinem Zeitpunkt Maßnahmen in Indonesien getroffen wurden, um Minderheiten bei der Ausübung ihrer Religion zu unterstützen bzw. sie vor Übergriffen von radikalen Gruppierungen zu schützen. Die indonesischen Medien nannten die Regierung von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono spöttisch nur „Autopiloten-Staat”9, war es doch im Land bekannt, dass sich dieser Präsident bzw. „der Staat zunehmend zugunsten einer konservativen, intoleranten, antipluralistischen Islaminterpretation positioniert und häufig mit Passivität auf die Verletzung von Religionsfreiheit und das Existenzrecht von religiösen Minderheiten reagiert.”10
Dem Titel dieser Arbeit ist also ein Fragezeichen an sein Ende gestellt, denn es soll erörtert werden, wie es um das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in Indonesien, auch im Hinblick auf dessen Verletzung durch Diskriminierung, Gewalt und nationale Gesetze bestellt ist.
Dazu widmet sich der erste Teil dieser Arbeit überblicksartig dem Grund- bzw. Menschenrecht der Religionsfreiheit. Da vor allem Christen immer wieder Opfer der Missachtung der Religionsfreiheit in Indonesien sind und sich massiver Gewalt ausgesetzt sehen, geschieht die Erarbeitung der Religionsfreiheit aus der Perspektive der Katholischen Kirche. Da es sich aber auch hier um ein verhältnismäßig junges Konzept handelt, wird überblicksweise die Situation vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil dargestellt. Grundlage stellen hier vor allem die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae11 und die Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate12 dar.
Nachdem die Religionsfreiheit aus der Perspektive des Christentums betrachtet wurde, soll außerdem die Religionsfreiheit aus einer völkerrechtlichen Perspektive beleuchtet werden. Dazu wird die gesetzliche Lage auf internationaler Ebene in Bezug auf von Indonesien unterschriebenen und ratifizierten völkerrechtlichen Dokumenten in den Blick genommen. Hier werden die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte13 (kurz: AEMR) von 1948 sowie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte14 (kurz: ICCPR) von 1966, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes15 (kurz: CRC) von 1989, die Vienna Declaration and Program of Action von 199316 und die ASEAN Human Rights Declaration17 aus dem Jahr 2012 untersucht.18
Da es sich bei Indonesien aber auch um den Staat mit der weltweit höchsten muslimischen Bevölkerung handelt und die Diskussionen, ihn als einen Islamstaat zu organisieren, immer wieder aufbrechen und es bereits mehrfache Versuche der Etablierung der Scharia gab, bzw. diese sogar in 16 Provinzen zum Beispiel in der Provinz Aceh19 bereits etabliert ist, wird auch das Verständnis der Menschenrechte bzw. insbesondere der Religionsfreiheit im Islam anhand der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Islam20 von 1981, der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam21 von 1990 sowie dem Covenant on the Rights of the Child in Islam22 von 2005 näher beleuchtet. Welches Verständnis hat der Islam von der Religionsfreiheit, wie steht er zu anderen Religionen und warum kommt es so häufig zu Anschlägen von radikalen Muslimen auf religiöse Minderheiten in Indonesien?
Der zweite Teil dieser Arbeit bezieht sich dann konkret auf die nationalen Gesetze Indonesiens und zeigt den Umgang mit Religionsfreiheit innerhalb des Staates. Dazu wird der Entwicklungsprozess der Verfassung Indonesiens skizziert und die sich wandelnde Garantie