Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund. Benjamin Vogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benjamin Vogel
Издательство: Bookwire
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429063610
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angesehen werden.75 Danach wird die partnerschaftliche Dimension durch das biblische Bild des Ein-Fleisch-Werdens näher bestimmt.76 Die Gatten sind aufs Engste miteinander verbunden, bestreiten gemeinsam ihr Leben und „erfahren und vollziehen dadurch immer mehr und voller das eigentliche Wesen ihrer Einheit.“77 Diese eheliche Partnerschaft, die „Lebenseinheit der Ehegatten“78 wird nicht als Nebenzweck zur Fortpflanzung verstanden, sondern stellt einen „Wesenszug der Ehe“79 dar. Es geht hier um die Intersubjektivität der Partner und um die Bereicherung, die sie aus dem täglichen Miteinander erfahren.80

      Anschließend werden aus beiden Sinngehalten – und zwar gleichermaßen aus dem partnerschaftlichen wie dem prokreativen – die Wesenseigenschaften der Ehe abgeleitet: Treue und unauflösliche Einheit der Partner liegen in der Vereinigung und der Selbstschenkung der Gatten ebenso begründet wie im Wohl der Kinder.81 Die traditionelle Herleitung der Wesenseigenschaften allein aus dem bonum prolis wird damit überwunden.82 Auch daran lässt sich ablesen, dass die Konzilsväter eine Gleichrangigkeit zwischen beiden Werten vertreten.83 GS 48 schließt mit dem Auftrag an die Ehepartner und die ganze Familie, Zeugnis für das Wirken Christi abzulegen. Erreicht werden soll das „durch die Liebe der Gatten, in hochherziger Fruchtbarkeit, in Einheit und Treue“84 und durch die Kooperation der Familienmitglieder. Liebe ist hier wiederum nicht Synonym für die Ehe als Ganzes, sondern drückt den partnerschaftlichen Wert aus. Entscheidend ist, dass partnerschaftlichem und prokreativem Wert in gleicher Weise Zeugnischarakter zugeschrieben wird.85

      Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Konzilsväter in GS 47–52 die im CIC/1917 normierte und später lehramtlich wiederholt eingeschärfte Unterscheidung zwischen dem Primärzweck der Zeugung und Erziehung von Nachkommen und den Sekundärzwecken der gegenseitigen Hilfe bzw. dem Heilmittel gegen die Begierlichkeit aufgeben. Stattdessen etablieren sie neben dem prokreativen Sinngehalt der Ehe einen diesem gleichwertigen und eigenständigen partnerschaftlichen Sinngehalt. Die Verbindung der Ehepartner wird nicht länger in erster Linie als Gemeinschaft zur Fortpflanzung gesehen, sondern als gleichermaßen von beiden Werten geprägter Liebesbund. Dies lässt sich – trotz begrifflicher Unschärfen im Endtext – anhand der Textgeschichte aufzeigen. Beide Sinngehalte gehören zum Wesen der Ehe, zwischen ihnen besteht eine Balance und nicht eine Rangfolge.86 Insofern ist die konziliare Lehre auch eine Absage an ehetheologische Entwürfe, die der Paarbeziehung als solcher einen Vorrang vor der Fortpflanzung einräumten.87 Dass die Konzilsväter bewusst auf eine juristische Terminologie verzichteten, bedeutet indes nicht, dass mit dem Ehekapitel der Pastoralkonstitution keine verbindlichen Aussagen getroffen wurden.88 Vielmehr enthalten alle Konzilsbeschlüsse, auch das Ehekapitel von Gaudium et spes, „Grundsatzentscheidungen oder Fundamentalprinzipien“, die zwar rechtlich noch zu konkretisieren sind, aber die bereits eine Position bestimmen, „hinter welche die Kirche nicht zurück kann und will.“89 Tatsächlich hat die konziliare Rede von einem eigenständigen partnerschaftlichen Sinngehalt der Ehe im CIC auch eine rechtliche Konkretion erfahren.

      Schon vor dem Ende des Konzils hatte Papst Paul VI. dazu ermahnt, bei der Revision des CIC die konziliaren Erkenntnisse zu berücksichtigen.90 Die mit der Redaktion des Eherechts befasste Studiengruppe (Coetus Studiorum De Matrimonio)91 war von Anfang an bestrebt, diesen Auftrag auch im Hinblick auf das konziliare Eheverständnis zu beherzigen. Dies erwies sich als nicht ganz einfach: Bereits bei den ersten Zusammenkünften machten die Konsultoren mehrere Vorschläge für einen Canon zur Beschreibung der Ehe.92 Einerseits enthielten alle Vorschläge neben der Hinordnung auf Zeugung und Erziehung von Nachkommen ein partnerschaftliches Element, das in der Mehrzahl der Entwürfe als conformatio93 der Gatten ausgedrückt wurde.94 Andererseits wurde die Zuordnung von prokreativer und partnerschaftlicher Dimension sehr unterschiedlich vorgenommen: Teils wurde eine Hinordnung der Ehe auf die wechselseitige Formung erklärt,95 teils wurde die conformatio als Strebeziel („Matrimonium […] tendit96) oder als causa der Ehe angesehen.97 Bei der Aufnahme der ehetheologischen Impulse von Gaudium et spes bestand Unsicherheit, welche rechtliche Relevanz den dortigen Aussagen zukommen sollte.98 Dabei wurde auch diskutiert, ob mit den altkodikarischen Begriffen „Primärzweck“ und „Sekundärzweck“ überhaupt noch operiert werden könnte99 und was das Fehlen einer Rangfolge der Zwecke in der Pastoralkonstitution bedeuten sollte.100 Strittig war ebenso die Frage nach der Aufnahme des amor coniugalis und dessen rechtlicher Relevanz.101 Zur Lösung dieser Fragen wurde mehrfach der Wunsch nach einer lehramtlichen Klarstellung geäußert,102 die jedoch offenbar ausblieb. Der Berichterstatter der Arbeitsgruppe, Pieter Huizing, teilte später mit, dass innerhalb des Coetus die Entscheidung gefallen sei, im Anschluss an Gaudium et spes auf den Zweckbegriff und die Zweckhierarchie zu verzichten.103 Zusammengefasst gab es zu Beginn des Revisionsprozesses Stimmen, die ein Umdenken im Sinne der Aussagen über die Ehe in der Pastoralkonstitution als notwendig erachteten,104 wohingegen andere ein Abrücken von der traditionellen Ehezwecklehre für nicht angeraten hielten.105 Eine ausdrückliche Übereinkunft über die strittigen Punkte wurde nicht erreicht. Das Ergebnis dieser ersten Beratungen war der Formulierungsvorschlag: „Matrimonium est intima totius vitae coniunctio inter virum et mulierem, quae indole sua naturali ad prolis procreationem et educationem ordinatur“.106 Zwei Konsultoren merkten dazu an, dass die Sekundärzwecke durch die Rede von der intima totius vitae coniunctio ausgedrückt seien107, der Sekretär lobte, dass mit dieser Formulierung die Nichtigkeit einer Ehe wegen Ausschlusses der Sekundärzwecke vermieden sei.108

      Das Resultat ist – betrachtet man sowohl dessen Zustandekommen als auch das Ergebnis selbst – mehrdeutig. Auffällig ist das oft bezuglos scheinende Nebeneinander von Aussagen und Konzepten in der Diskussion. Einzelne sprachen sich bspw. gegen eine Aufnahme des ius in corpus aus109, andere gingen darauf nicht weiter ein und schlugen später die Beibehaltung des altkodikarischen Konsensobjekts vor.110

      Die Beschreibung der Ehe als intima totius vitae coniunctio fand Eingang in das SchemaSacr. So lautet c. 243 § 1 des Schemas: „Matrimonium, quod fit mutuo consensu de quo in cann. 295 ss., est (intima) totius vitae coniunctio inter virum et mulierem, quae, indole sua naturali, ad prolis procreationem et educationem ordinatur.

      Auch anlässlich der Sichtung und Beratung der Antworten der Konsultationsorgane im Februar des Jahres 1977 hielt man an der Formulierung fest und entschied sich ausdrücklich dafür, die Begriffe intima111, totius112 und coniunctio113 beizubehalten.

      Allerdings wurde hinsichtlich der alleinigen Hinordnung auf Zeugung und Erziehung angefragt, ob hierin eine „indirekte Bekräftigung der Hierarchie hinsichtlich der Ehezwecke verborgen“ und es daher angezeigt sei, „auch andere Ehezwecke im Canon aufzuzählen“.114 Daraufhin antwortete ein Konsultor, dass der Coetus mit der Norm keine Zweckhierarchie ausdrücken wollte, die Ehezwecke jedoch in ihr enthalten seien,115 und schlug zur besseren Wiedergabe des Intendierten vor, die Norm um ein etiam zu ergänzen.116 Die Frage nach der Nennung anderer Ehezwecke wurde dahingehend positiv beantwortet, dass die Arbeitsgruppe die Aufnahme eines finis personalis matrimonii befürwortete und sich auf folgenden Formulierungsvorschlag einigte: „Matrimonium est viri et mulieris intima totius vitae coniunctio quae indole sua naturali ad bonum coniugum atque ad prolis procreationem et educationem ordinatur:“117

      An diesem Punkt der Revisionsarbeiten begegnet zum ersten Mal der Begriff des bonum coniugum.118 Zur Herkunft des Begriffs finden sich keine Angaben, es wird nur beschrieben, dass die Formulierung aus zwei Vorschlägen zusammengestellt wurde und allgemeine Zustimmung fand.119 Später stellte der Vorsitzende der Revisionskommission fest, dass diesem personalen Aspekt in Bezug auf den Ehekonsens auch rechtliche Relevanz zukomme.120 Nach weiteren Beratungen wurden die cc. 242 und 243 § 1 des Schemas zu c. 1008 Schema/1980 zusammengefasst. Die das Eherecht einleitende