Christliche Sendung und die Sendung eines Christen / einer Christin in der Firmung wird man deshalb niemals nur mit rein anthropologischen Gründen erklären können. Und umgekehrt wird man die persönlichen Beziehungen im Leben von Christen niemals ganz ohne die weitere Perspektive Gottes verstehen können. Dazu gehören die freudigen Momente, mit Sicherheit aber auch die Brutalitäten des Alltags, die Christen in der Person Jesu deuten sollen und deuten können. Damit sind Christen immer auch auf die Offenbarung in ihrer konkreten Gestalt hingewiesen: auf die neutestamentlichen Berichte von Jesus, die niemals in ihrer Gänze zu entmythologisieren wären. Zugehörigkeit zur Kirche heißt deshalb, dass jeder Christ / jede Christin mit hinein genommen ist in die Liebesbeziehung Gottes, in die der Heilige Geist einführt und die in ihrer eschatologischen Vollendung immer noch Liebesbeziehung Gottes zu seinem Geschöpf ist.
Für die Firmung Jugendalter bietet das Bild vom Kleinkind in seiner Beziehung zu seiner Mutter keine Grundlage zur Verdeutlichung der Beziehung Gottes zum Menschen. In der Theologie Balthasars steht dieses Bild jedenfalls nicht für Fremdbestimmung, Infantilität oder auch Unmündigkeit, sondern für die personale Beziehung schlechthin, die jeder Christ / jede Christin in ihrem Leben mit gegeben ist. Gerade dann, wenn Menschen nicht mehr auf der Suche nach Gott sind, oder nichts mehr von ihm erwarten, müsste nach Balthasar ihnen Gott mit seiner Liebe entgegenkommen als der immer Größere. Diese unerwartete Ankunft Gottes zeigt sich schon in der Offenbarung, in der Gott den Menschen auf ganz andere Art und Weise begegnet, als sie das erwartet hätten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Gott auch heute Menschen überraschend zeigt, wenn sie gar nichts mehr von ihm erwarten289.
1.4.3 Firmung ist Empfänglichkeit und Entscheidung
Wenn Balthasar in Bildern von der Kirche spricht, dann gehören die Metaphern von Männlichkeit und Weiblichkeit zur Beschreibung des Verhältnisses von Gott zur Kirche mit hinein290. Die Kirche ist eben Sponsa Verbi – die Braut des Wortes und nimmt damit eine Rolle der Empfänglichkeit und der erhofften Fruchtbarkeit ein. Jeder Christ und jede Christin hat damit eine Art von weiblicher Eigenschaft, nämlich die der Empfänglichkeit291. Damit wäre Balthasars Blick auf die Rolle der Glaubenden in der Kirche aber nur sehr ungenügend beschrieben, denn sein Name ist untrennbar mit der so genannten dramatischen Theologie im 20. Jahrhundert verbunden. Das zeigt alleine schon der Titel einer seiner Arbeiten Theodramatik. Worauf es Balthasar hierbei ankommt, ist, zu zeigen, dass Aktivität in der Kirche möglich sei – auch wenn ihr zunächst eine Art von empfangender Weiblichkeit zugrunde liegt. Das Bild des Theaters, des Dramas hilft, dies zu verstehen. Karl-Heinz Menke erklärt diese Metapher folgendermaßen:
„Indem er aus der Welt des Theaters Analogien für die Schilderung des einzigartigen Dramas zwischen Gott und Mensch erhebt, spricht er von einer Bühne für das Drama der Weltgeschichte. Gott ist in Christus nicht nur der Autor und Regisseur, sondern auch der Ausführende dieses Dramas. Dennoch ist der einzelne Mensch nicht seine Marionette. Christi Stellvertretung eröffnet den Spielraum für mitspielende Personen, und zwar so, dass diese in dem Maße nicht nur scheinbar, sondern wirklich frei sind, indem sie die Rolle spielen, die ihnen zugedacht ist. Jede Rolle ist eine je einmalige Explikation der Sendung des Erlösers. Balthasar spricht von der exklusiven Sendung und Stellvertretung des Erlösers und den vielen Sendungen und inklusiven Stellvertretungen der Erlösten“292.
Im Grunde genommen heißt dies, dass sich in einem Drama freiheitlich verfasste Akteure gegenüber stehen und dass gerade in den Beziehungen Jesu Christi zu den Jüngerinnen und Jüngern ein Freiraum möglich wird, in dem Menschen in ihrer freiheitlich verfassten Existenz am „Selbststand der göttlichen Freiheit“293 teilnehmen können. Christliches Leben bedeutet also nicht nur Leben in einer empfänglichen, kontemplativen Grundhaltung, es impliziert „auch das, was die Einzelnen selbst aufgrund dieser Teilnahme an der verschenkten Liebe Christi leisten“294. Die vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung werden dadurch also erweitert, dass im Bild des Dramas prinzipiell alle alltäglichen Erfahrungen wieder in die Gottesbeziehung mit integriert werden. Denn gerade dadurch, dass sich die Christen von Jesus Christus her vertreten wissen, können sie ihre Sendung leben. Damit beschreibt Balthasar das Drama und die so genannte passive und aktive Stellvertretung der Christen durch Christus ganz ähnlich wie die Sendung Mariens, das Urbild der Kirche: aus ihrer empfangenden Grundhaltung heraus spricht sie ihr Fiat und wird somit aktiv295. Deshalb wird jedes Reden über die Kirche im Kern zur Christologie296 und findet sein End- und Herzstück in der Mariologie297. Gerade so wird ein Ergebnis der Auseinandersetzung Balthasars mit dem Exerzitienbuch Ignatius’ von Loyolas verständlich: „‚Indiferencia’ ist die aktive Bereitschaft, Gottes Wahl für je mich zu übernehmen. In diesem Sinne ergibt sich: ‚Indifferenz ist der Grundakt der Kreatur’“298.
Das Drama wird auf diese Weise zu einem Bild für menschliche Existenz überhaupt und gleichzeitig für die Offenbarung des persönlichen Gottes299. Durch den Kontakt mit dem persönlichen Gott und in der Teilnahme an dem Drama wird im Denken Balthasars auch der Mensch in vollem Sinn des Wortes zu einer Person300. Aufgrund dieses vielleicht einseitigen theologischen Interesses Balthasars am Drama als Bild für die Möglichkeit der aktiven Teilnahme am Erlösungsgeschehen wird auch darauf hingewiesen, dass Balthasar die Beziehungen zwischen Drama, Offenbarung und persönlichem Leben nicht in aller Präzision darstellen kann301. Jedoch hilft der Vergleich mit dem Drama Balthasar „to expand the capacities of the aesthetic form-splendor model“302. Genauer gesagt geht es Kevin Mongrain darum, dass Balthasar durch die Metapher des Dramas den Entscheidungsprozess des Menschen mit in seine theologische Sichtweise integrieren kann, weil jedes Drama in einem begrenzten zeitlichen Rahmen stattfindet. Das Drama der Heilsgeschichte mache demnach deutlich, dass die eigene Entscheidung gefragt ist, die persönliche Positionierung, wohin die eigene zeitliche Existenz hinweist. In diesem Sinn wird sich jeder Christ / jede Christin die Frage stellen müssen, worauf die eigenen persönlichen Entscheidungen ausgerichtet sind und welche Auswirkungen sie auf das persönliche Leben haben. Denn nur die Heiligen sind „die authentischen Interpreten des Theodramas“303. Jedes Lebensdrama findet damit nicht nur auf einer individuellen Bühne statt, es geht im letzten Sinn um die gesamte Freiheitsgeschichte „der Völker und der Menschheit“304.
Grundlage für die dramatische Theologie waren neben den Ausführungen Hans Urs von Balthasars auch die Untersuchungen Karl Barths und Gustav Auléns305. Die dramatische Theologie wurde von Raymund Schwaiger weitergeführt306. Gemeinsam ist diesen Herangehensweisen an die Theologie, dass sie mit dem Bild des Dramas den Charakter der Performativität in theologischen Aussagen stark betonen307. Der Nachweis und die Untersuchung dramatischer Elemente in der Theologie führen zu einer stark analytischen Arbeitsweise308. In einer nicht immer ganz spannungsfreien Debatte versucht demgegenüber die kommunikative Theologie, eine Elementarisierung verschiedener theologischer Disziplinen mittels des Grundgedankens der Kommunikation309.
1.4.4 Ergebnis
Firmung kann in den theologischen Werken Hans Urs von Balthasars von der Einmaligkeit der göttlichen Selbstoffenbarung und der Gabe Gottes im universale concretum Jesus Christus her verstanden werden. Obwohl Balthasar viele Zuschreibungen von Aufgaben macht, ist es schwierig, die aktive Rolle von Christinnen und Christen in der Welt verständlich zu machen. Letztlich gelingt Balthasar dies hauptsächlich mittels des Bildes des göttlichen Dramas und der Verbindung christlichen Lebens mit der Bereitschaft, am Selbstand der göttlichen Freiheit teilzunehmen. Aufgegeben ist dem Christen / der Christin, das persönliche Leben von Christus her zu gestalten, sich von der göttlichen Fülle in der Christusnachfolge beschenken zu lassen, sich also in das Wunder der Liebe zu überantworten. Damit hängt auch die Gabe der Charismen zusammen, die bei Balthasar aber stärker als bei Rahner mit einer Funktion in der Glaubensgemeinschaft verbunden werden. Eng mit der Gabe und Aufgabe verbunden erscheinen bei Balthasar die Biographie und das Glaubensleben. Der Sachfrage Biographie werden die Aufgabe, Gottes Wahl für das eigene Leben zuzulassen und das Loslassen von persönlicher Egozentrik zugeordnet. Dem Glaubensleben werden zugewiesen, die Bereitschaft, den Alltag in Beziehung zu Kirche und Jesus Christus zu verstehen, beziehungsweise den Alltag so zu gestalten, dass geistliches und weltliches